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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2022

Bei der Umsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen gibt es viele Widerstände
von David Stein

In Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine hat der Rat der Europäischen Union am 23.Februar 2022 ein umfangreiches Sanktionspaket beschlossen. Dieses wurde inzwischen mehrfach erweitert.

Betroffen sind von den Wirtschaftssanktionen der russische Finanzsektor und sonstige Unternehmen. Adressaten der Individualsanktionen sind mehr als tausend Individuen und über achtzig Organisationen in Russland und im Ausland, die den Krieg gegen die Ukraine nach Ansicht des Rats unterstützen.
Die Individualsanktionen betreffen Staatspräsident Putin und Außenminister Lawrow, 351 Abgeordnete der russischen Staatsduma, weitere Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats, Kreml-Sprecher Peskow, Vertreter des Militärs, aber auch über vierzig Oligarchen, wovon viele die Stahl­indus­trie in Russland kontrollieren bzw. den russischen Staat mit Militärgütern und Technologie versorgen.
Personen, die auf der EU-Sanktionsliste gelistet sind, dürfen nicht mehr in EU-Länder einreisen. Außerdem werden ihre Vermögenswerte wie Immobilien, Jachten oder Kapitalanlagen sowie ihre Konten in der EU einer Verfügungsbeschränkung unterworfen. Damit wird das Ziel verfolgt, nicht nur die Wirtschaft, sondern neben der politischen auch die wirtschaftliche Nomenklatura zu sanktionieren, soweit sie mit dem System Putin verflochten ist und den Krieg (wirtschaftlich) unterstützt.
Die EU-Staaten gehen dabei von der Annahme aus, dass die gelisteten Oligarchen mit ihren wirtschaftlichen Ressourcen fähig und willens sind, die russische Kriegsmaschinerie zu finanzieren.
Die Zahlen sehen auf den ersten Blick beeindruckend aus. Russische Oligarchen konnten im Mai 2022 in der EU nicht mehr über ihre Luxusjachten, Immobilien und andere Vermögensgegenstände verfügen – das betraf ein Volumen von knapp 10 Milliarden Euro. Anfang April hatte es noch 6,7 Milliarden Euro betragen. Hinzu kommen eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank bei den Zentralbanken in der EU und sonstigen Kreditinstituten. (Offizielle Zahlen werden hierzu nicht veröffentlicht. Die BIZ, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, schätzte das Volumen vor der Inva­sion im September 2021 auf 300 Mrd. Euro, die EU-Kommission auf 20 Mrd. Euro.)
Am häufigsten wurden Oligarchengelder in europäische Immobilien investiert. So besitzen Roman Abramowitsch und seine Familie ­allein 46 Immobilien in Frankreich, Österreich und Großbritannien. Zusammen mit ihrem Landbesitz, den Privatflugzeugen und den Firmenanteilen liegt das bisher aufgespürte Vermögen der Familie bei mehr als 7 Milliarden Euro.
Anders als die meisten Wirtschaftssanktionen – wie der Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr oder Embargos bzw. Importverbote für Gas oder Erdöl, die sich für die sanktionierenden Staaten als zweischneidiges Schwert erweisen können und bereits erweisen – sind Sanktionen gegen Oligarchen, so die Hoffnung des Rats, zumindest kurzfristig nicht mit hohen Kosten, Wohlfahrtsverlusten bei der Bevölkerung des sanktionierenden Landes und einem offenen Ausgang hinsichtlich der angestrebten Erfolge verbunden.

Defizite im deutschen Rechtssystem
Deutschland hinkt bei der Umsetzung der Sanktionen im Vergleich zu anderen EU-Staaten deutlich hinterher. Ende Mai 2022 wurde Vermögen, das Oligarchen zuzuordnen ist, in einem Volumen von 143 Millionen Euro eingefroren. Ende Februar waren dies gerade einmal 342000 Euro. Dafür gibt es Gründe.
Der bestehende Rechtsrahmen der EU-Sanktionsverordnungen wird durch die deutschen Vollzugsregelungen nicht vollständig abgedeckt.
Bis zum Inkrafttreten des im Hauruckverfahren verabschiedeten SanktionsdurchsetzungsgesetzesI durch den Bundestag im Mai 2022 gab es in Deutschland nicht einmal die notwendigen gesetzlichen Kompetenzen, wonach man hätte verlangen können, dass Personen im Rahmen der Ermittlungen über die einzufrierenden Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen Auskünfte geben und hierüber Unterlagen beibringen.
Diese Lücke besteht seit über 20 Jahren, sie bestand auch schon bei den UNO-Sanktionen im Gefolge des 11.9.2001, sie wurde aber von den verschiedenen Bundesregierungen nie geschlossen. Es gab bis Mai 2022 auch keine geeignete Rechtsgrundlage, die von Brüssel sanktionierte Personen zur Offenlegung ihrer unter die Verfügungsbeschränkung fallenden Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen verpflichtet.
Ein weiteres Defizit des Status quo ist, dass zwar Gelder auf Konten durch das Einfrieren blockiert werden. Bei anderen Vermögensgegenständen wie Grundstücken oder Jachten ist dies in Deutschland – anders als in der Mehrzahl der EU-Staaten – aber nicht der Fall. Sie können zwar nicht veräußert, aber sie können nach wie vor genutzt werden.
Es gibt bisher im übrigen keine zentrale Einheit auf Bundesebene, deren Aufgabe es als administrativ arbeitende Finanzpolizei u.a. wäre, Vermögenswerte kriminellen Ursprungs (etwa Geldwäsche) oder Vermögenswerte von sanktionierten Personen und Unternehmen aufzuspüren. Stattdessen ist die Zuständigkeit auf mehrere Behörden des Bundes und der Länder verteilt und damit zersplittert, was die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten und ein schnelles Handeln erheblich erschwert.

Systemfehler im europäischen Sanktionsmechanismus
Sanktionen, die sich gezielt gegen Oligarchen richten, sind jedoch nicht nur in Deutschland, sondern in allen EU-Staaten, in Großbritannien und in den USA mit einem gravierenden Umsetzungshindernis konfrontiert: Die Vermögensverhältnisse der Oligarchen, ihre Finanzströme sowie die tatsächlichen Eigentumsstrukturen bei Kapitalanlagen, Wertpapieren oder Grundstücken und deren wirtschaftlich Berechtigte sind weitgehend intransparent. Das Interesse staatlicher Instanzen, dies zu ändern, war bis zur russischen Invasion im Februar gering.
Das Problem und die verhaltenen staatlichen Gegenmaßnahmen sind vergleichbar mit der Intransparenz illegaler Kapitalakkumulation im organisierten Wirtschaftsverbrechen, also von Kapital, das aus Straftaten einschließlich der Steuerhinterziehung stammt und dann gewaschen wird.
Oligarchen bedienen sich vergleichbarer Methoden, um die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse durch Briefkastenfirmen in Offshore-Staaten, Stiftungen und Strohleute zu verschleiern. In den Grundbüchern sind Gesellschaften als Eigentümer der Grundstücke eingetragen, meistens mit Sitz in Steuerparadiesen, die allerdings von den Oligarchen faktisch kontrolliert werden und deshalb ihnen zuzuordnen sind. Das Aufspüren von Oligarchengeldern und die Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten wird so zum Katz-und-Maus-Spiel.
Selbst der Rechtsrahmen der EU-Sanktionen steht auf tönernen Füßen. Auch Staaten wie Italien, die aufgrund ihres langen Kampfes gegen die Mafia gute Instrumente haben, können Vermögenswerte nur einfrieren, aber nicht endgültig einziehen und diese verwerten, z.B. für den Wiederaufbau der Ukraine. Das ist ausgeschlossen, weil die Oligarchen in ihrer Verfügungsgewalt blockiert werden, aber Eigentümer der Vermögensgegenstände bleiben.

Wie wär’s mit einem Deal?
Die EU-Kommission will dies nun ändern, um das Vermögen der Oligarchen endgültig einzuziehen. Hierzu hat sie Ende Mai 2022 verschiedene Vorschläge unterbreitet. Ein Kern­element ist, dass sie auf EU-Ebene die bewusste Umgehung von EU-Sanktionen zu einem Straftatbestand machen will. Dies würde ermöglichen, Verstöße dagegen in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zu verfolgen, zu bestrafen, die Vermögensgegenstände einzuziehen und für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.
Die Reaktion der Mitgliedstaaten war verhalten. Finanzminister Lindner (FDP) verwies auf den Schutz des Eigentums – auch des Eigentums von Oligarchen – und erklärte, Deutschland sei zwar offen für eine Debatte darüber, beschlagnahmtes russisches Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen. Man müsse aber zwischen Mitteln des Staates – wie etwa der russischen Zentralbank – und privaten Mitteln unterscheiden. «In unserer Verfassung gibt es Garantien für Privatvermögen», sagte Lindner. Justizminister Buschmann, ebenfalls FDP, äußerte sich ähnlich.
Allerdings hat der Bundestag im Mai 2022 im SanktionsdurchsetzungsgesetzI bereits eine vom Wirtschafts- und Finanzministerium erarbeitete und vom Justizministerium gebilligte Auskunftspflicht beschlossen, die auf Oligarchen gemünzt ist. Sie müssen nun Auskunft darüber geben, welche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen in Deutschland den EU-Sanktionen unterliegen. Tun sie dies nicht, erfüllen sie einen Straftatbestand nach dem Außenwirtschaftsgesetz, der die Einziehung ihres Vermögens grundsätzlich zulässt.
Dieses Gesetz nimmt somit im Ergebnis die Pläne der EU-Kommission vorweg. Es ist jedoch bei solchen Äußerungen des Finanzministers und Justizministers davon auszugehen, dass die Regelung in der Praxis keine oder allenfalls eine symbolische Wirkung entfalten wird.
Kanada und die USA bevorzugen andere Maßnahmen, die vermutlich auch in der EU mehrheitsfähig wären. Sie schlagen einen Deal vor, dass sich sanktionierte russische Oligarchen in einer Art Ablasshandel freikaufen können. Das wäre eine Win-win-Situation für beide Seiten.
Die Ukraine erhielte einen Teil der eingefrorenen Gelder, die Oligarchen würden von der Sanktionsliste gestrichen, bekämen ihr Luxusleben im Westen zurück, und nicht nur die beiden FDP-Minister, sondern der ganze Westen würde sich eine öffentliche Enteignungsdebatte ersparen. Denn die könnte von den als bad guys gelabelten Oligarchen leicht auf andere Unternehmen überschwappen, die ihr Vermögen durch Steueroptimierungsmodelle, Verschiebung in Steueroasen oder in der Vergangenheit als Profiteure des deutschen Faschismus aufgehäuft haben.

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