Solidarität mit wem?
von Angela Klein
»Heizung, Brot und Frieden« fordert eine Berliner Initiative gegen die Teuerungswelle in diesem Herbst. Die Losung spielt auf die Parole an, unter der die russische Revolution die Beendigung des Ersten Weltkriegs und den Sturz des Zaren erkämpfte. Eine ähnliche Initiative gegen die Preissteigerungen macht sich in Großbritannien breit und nennt sich Enough! (Es reicht!).
Irgendwann läuft der Krug über. Wenn im Herbst klar wird, was der Gas-Notfallplan für die einzelnen Haushalte real bedeutet, könnte das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Schon der aktuelle Eiertanz um die nach den Sommerferien zu ergreifenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist eine Umdrehung zuviel: Schulen auf oder zu? Flächendeckende Maskenpflicht ab 1.Oktober in öffentlichen Räumen ja oder nein? Einheitlich oder je nach Bundesland verschieden? Auf angepassten Impfstoff warten oder nicht? Sollen Corona-Infizierte überhaupt noch in Quarantäne?
Schon die Pandemie hat die soziale Ungleichheit massiv verschärft. Denn das Infektionsrisiko hängt maßgeblich von der Arbeits-, Wohn und Lebenssituation ab: Gegenüber erwerbstätigen Versicherten hatten Bezieher:innen von Arbeitslosengeld I ein um 18 Prozent höheres, Bezieher:innen von Arbeitslosengeld II sogar um 84 Prozent höheres Risiko, mit Covid-19 im Krankenhaus zu landen.
Es sind dieselben, die im Herbst die Hauptlast der Inflation tragen werden. Schon 2019 hatte fast jeder Dritte am Ende des Monats nichts mehr, was er oder sie auf die Seite legen konnte. Nur in Rumänien passierte das noch mehr Menschen, der EU-Durchschnitt lag damals bei 27 Prozent. Die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben 300 Euro auf dem Konto. Das sind Millionen Menschen. Wovon sollen sie im Herbst noch die Strom- und Heizrechnung zahlen?
Die Tafeln haben einen Aufnahmestopp verhängt, sie können den Andrang nicht mehr bewältigen. Menschen fragen Campingplatzbesitzer nach einem dauerhaften Stellplatz, weil sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Und da geht es nicht »nur« um Obdachlose und von Hartz-IV Betroffene, sondern auch um Menschen mit fester Anstellung. Jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor, im Osten doppelt soviel wie im Westen – zusammen mit den offiziell erwerbslos Gemeldeten sind das 12 Millionen Menschen. Das ist sozialer Sprengstoff.
Solidarität?
Nun, so wird uns verkündet, sollen die Verbraucher die Einnahmeausfälle der Gasunternehmen schultern und notfalls auch solidarisch für die Ukraine frieren.
Aber mit wem sind wir eigentlich solidarisch? Wir sollen Waffen liefern. Die müssen ersetzt werden – ein gutes Geschäft für die Rüstungsindustrie. Ist hier unsere Solidarität gefragt? Die Gaslieferungen hat Russland auf 30 Prozent heruntergefahren, weil Deutschland unter dem Druck der USA NorthStream 2 nicht ans Netz gelassen hat. Das sollte dazu dienen, dass Russland von einer wichtigen Geldquelle abgeschnitten und damit gezwungen wird, die Invasion in die Ukraine zu beenden. Oder dass Putin so massive innenpolitische Probleme bekommt, dass ein wichtiger Teil der Oligarchie sich wegen entgangener Geschäfte von ihm abwendet.
Nichts davon ist eingetreten. Mit Öl und Kohle verdienen die Oligarchen weiterhin Milliarden. Die Gasknappheit wiederum spült Geld in die Taschen der Ersatzlieferanten in den USA und Qatar. Die Frage lautet auch hier wieder: Solidarität mit wem?
Das einzige greifbare Ergebnis der Sanktionen ist, dass jetzt Anlagen gebaut werden, um Flüssiggas aus dem Ausland zu beziehen – es wird also nur der Anbieter gewechselt, und die neuen Bezugsquellen sind deutlich klimaschädlicher als die alten. Das freut auch RWE, weil die Kohlekraftwerke Aussicht auf Verlängerung haben. Für die Atomkraftbetreiber könnte das sogar bedeuten, dass sie das Atomausstiegsgesetz ein zweites Mal kippen können. Gilt unsere Solidarität den Energiekonzernen und der Atomlobby?
Weder Gas, noch Kohle und Atom
Das ist kein Plädoyer für NordStream 2. Viel zu lang haben die Bundesregierungen darauf verzichtet, Ansätze für einen Ausstieg auch aus dem Gas zu entwickeln. Jetzt wurden sie unangenehm mit der Nase darauf gestoßen.
Trotzdem ist die Lage nicht ausweglos: Eine Studie der Berliner Denkfabrik Zero Emission hat errechnet: Wir brauchen weder das Gas aus Russland noch verlängerte Laufzeiten für Kohle- und Atomkraftwerke, wenn wir die knapp 10000 bestehenden Biogasanlagen ans Gasnetz anschließen und für den fehlenden Strom die Windkraft schnell ausbauen. Die Versorgungslücke könnte problemlos gefüllt werden.
Für diese Maßnahmen veranschlagen die Forscher 40 Milliarden Euro, nicht einmal die Hälfte der 100 Milliarden für die Bundeswehr-Aufrüstung. Putins Erpressungsversuche würden ins Leere laufen und es würde in eine ökologische Zukunft statt in Rüstung und fossile Energieträger investiert.
Für das Programm der Bundesregierung, das bar jeder Vernunft so unverhohlen fossile Lobby und Rüstungsaktionäre begünstigt, sollte es keine Akzeptanz geben. Dazu kann man nur sagen: Ya basta! Es reicht!
Auf die Straße!
Die herbstliche Mobilisierung der Unzufriedenen und Ausgebeuteten kann sich auf vier Parolen konzentrieren:
– Zugang zu Energie ist ein Menschenrecht. Der Grundbedarf muss mindestens für Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Niedriglöhner kostenlos sein.
– Keine Verlängerung der Laufzeiten für AKW und Kohlekraftwerke und kein Bau von LNG-Terminals. Lützerath muss bleiben!
– Automatischer Inflationsausgleich für Löhne und Gehälter.
– Kein Privatbesitz in der Energieversorgung. Sie muss in öffentliche Hand, damit die gesellschaftlich notwendigen Maßnahmen auch durchgesetzt werden können.
Dafür die Praxis der Montagsdemonstrationen wieder aufzunehmen, ist goldrichtig – sie gehören der Linken, erst der DDR-Opposition, später den Protesten gegen die Agenda 2010. Auch wenn einige Rechte sie kapern wollen: Wir dürfen dieses klassisch linke Feld nicht den Nationalisten überlassen.
Demonstrieren allein wird aber nicht helfen, wenn die Gasrechnung im Briefkasten liegt. In Großbritannien haben sie darauf die richtige Antwort gefunden: Don’t pay! Zahlt nicht!
Es ist der prägnanteste Aufruf aller Zeiten, er besteht aus einer Forderung und zwei Ankündigungen:
– Wir fordern eine Senkung der Energierechnungen auf ein erschwingliches Niveau.
– Wir werden unsere Lastschriften ab dem 1.Oktober streichen, wenn wir ignoriert werden.
– Wir werden diese Maßnahme ergreifen, wenn bis dahin 1 Million Unterschriften eingegangen sind.
Dafür enthält der Aufruf eine ausführliche Anleitung, wie die Kampagne aufgebaut werden kann. Bis zum 22.8. haben bereits mehr als 110000 Menschen unterschrieben, dass sie dem Aufruf Folge leisten werden (https://dontpay.uk/). Das ist etwas anderes als die in Deutschland üblichen unverbindlichen Bekenntnisse!
»Don’t pay« könnte ein Vorbild sein für den Widerstand gegen Lohn- und Sozialraub auch hierzulande.
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