Eine Ausstellung im Gasometer Oberhausen
von Rolf Euler
Der Gasometer in Oberhausen ist schon lange Ausflugsziel erster Güte und die Ausstellung, die jetzt dort läuft, ist noch einmal einen ausführlichen Besuch wert. Sie heißt »Das zerbrechliche Paradies« und betrifft den gegenwärtigen bedrohten Zustand des Lebenssystems Erde.
Der alte, über 100 Meter hohe Gasriese des früheren Stahlwerks am Rhein-Herne-Kanal wurde vor vielen Jahren saniert und dient seitdem als Ausstellungsraum besonderer Art. Feuer und Flamme, Fußball, Mond und Erde, Christos und Jeanne Claudes Verhüllungstechnik: Immer wurde der hohe, leere Raum mit Kunst und Technik angereichert, die Besuchenden zum Staunen gebracht.
Über die Kunst im Raum kann man gern streiten, über die eindringliche Aussage der jetzigen Fotoausstellung gibt es wohl Konsens: das »Paradies« der Erde in großformatigen Fotos auf zwei Ebenen – unten die Natur in all ihrer Pracht und Widersprüchlichkeit, oben der zerstörerische Einfluss des Menschen.
Eine Etage für das Paradies
Alle Elemente der Erdgeschichte werden dargestellt: das Meer und seine Bewohner von den frühen Einzellern bis zum Buckelwalweibchen, dessen Auge den Betrachtenden anschaut. Das Feuer der Vulkane und die Blitze der Gewitter – zerstörerisch und auch fruchtbare Erde hinterlassend. Die Wälder des Amazonas mit Papageien und Schmetterlingen. Die Wüste mit der kargen Oberfläche und den an sie angepassten Lebewesen. Die hohen Berge mit Wald, Wasser und Eis. Polarregionen und ihre Lebensformen. Bilder von Bergen, Wasserfällen, Waldgebieten, Eiswänden – alles wunderbare Erinnerungen, was diese Welt ausmacht, was seit vier Milliarden Jahren sich auf der Erde entwickelt hat. Was Wind, Wasser und Erdbeben anrichten. Was an kleinstem und größtem Leben gedeiht.
Fotos, die oft Preise gewonnen haben, wie das, wo der Adler aus wenigen Zentimetern Entfernung ins Objektiv schaut. Oder der gewaltige »Karwentsmann«, der Wellenberg, dessen Wucht deutlich wird. Wölfe, Bären, Elefanten, Insekten, Fische und Schlangen in ihren Lebensräumen werden gezeigt, und wie sie Nahrung jagen und erbeuten. Da sind gelungene »Schnappschüsse« der fliegenfangenden Eidechse, des zupackenden Fuchses mit seiner Beute im Maul oder des Faultiers im Baum, auf das der Fotograf lange gewartet hat. Diese Fotos zeigen das breite Spektrum des Lebens in der unteren Etage des Gasometers.
Eine Etage für das Zerbrechen
Umso wichtiger ist es, in der zweiten Etage die Fotos der Bedrohung all dieser Lebensräume durch die ausbeuterische Tätigkeit des Menschen zu betrachten.
Die Reproduktion einer Karikatur aus den 1970er Jahren zeigt ein riesiges Stadion voller Menschen, umgeben von Wolkenkratzern und Straßenschluchten, und auf dem »Spielfeld« wächst Wald, der von den Zuschauenden »bestaunt« wird. Einige Fotos weiter dann die brennenden Wälder in Brasilien, die Folgen der Brände voriges Jahr in Australien. Wer denkt nicht bei dem vor verkohlter Kulisse flüchtenden Känguru mit Baby im Beutel an das napalmgetroffene flüchtende Kind in Vietnam? Ein Foto zeigt eine Frau im Auto, die einen kleinen Koala im Arm hält und nach Hilfe telefoniert – so sind Millionen Tiere bei dem Brand in Australien gestorben und werden hier als unsere »Gefährten« gezeigt.
Den spielenden Eisbärkindern mit ihrer Mutter in der unteren Etage wird das Foto des abgemagerten, auf nacktem Fels nach Nahrung suchenden Eisbären in der oberen Etage entgegen gesetzt.
Die Krater des Hambacher Braunkohletagebaus werden ebenso eindrucksvoll in Szene gesetzt wie hunderte von Erdölpumpen in den USA, tausende Autos in Straßenschluchten, riesige Hochhäuser in Shanghai. In deren Nachbarschaft bzw. Schatten Reste der kleinen, traditionellen Häuser der zu verdrängenden Bewohner. Die bis zum Horizont reichenden Plastikmeere der Gemüseplantagen in Spanien stehen neben der Einöde von Getreidefeldern. Zwei erdölverschmierte Pinguine neben ihrer kleinen, noch sauberen Herde auf dem schwindenden Eis zeigen mehr als viele Worte die verschmutzende Übernutzung des Meeres. Störche, die im Plastikmüllberg stochern, um Nahrung zu finden, die Schildkröte mit dem Fischernetz um Kopf und Körper – auch an diesen beispielhaften Fotos wird das »Zerbrechen« des »Paradieses« gezeigt. Ganz deutlich auch in dem Bild eines riesigen Kraters in der sibirischen Tundra: mitten im Wald hat sich ein Loch aufgetan, weil der Permafrost schmilzt und dadurch Hohlräume entstehen, die zum Einbruch führen.
Auch die Fotos in der oberen Etage beeindrucken durch technische und fotografische Höchstqualität in Formaten von rund 2 mal 1,5 Meter. Ihre Abfolge wird mit einem Rundgang gekennzeichnet, mit kurzen Beschreibungen und Hinweisen versehen, mit einigen längeren Erklärungstafeln eingeleitet. Wer aus der unteren Etage den Eindruck hatte, die Natur sei »eigentlich noch ganz in Ordnung«, der wird in der oberen deutlich eines »Schlechteren« belehrt. Mit Erläuterungstafeln, die an Deutlichkeit nichts an der Klimakatastrophe zu leugnen übrig lassen, werden die verschiedenen Krisen im Eis, in den Gebirgen, im Ozean, in den Städten geschildert.
Eines der verstörendsten Fotos zeigt zwei Urlauber, die scheinbar ungestört auf der Sonnenliege vor einem Trümmerhaufen aus Balken, Bäumen und Gegenständen, die ein Tsunami am Ufer hinterlassen hat, Ferien machen – eindringlicher kann man den Kontrast kaum zeigen.
Zwei Tafeln zeigen den massiv gewachsenen »Fußabdruck« der Menschen in den verschiedenen Ländern. Sicher ist auch hieran nicht zu erkennen, dass die 10 Prozent reichsten Teile der Bevölkerung in den reichsten Ländern für 50 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sind, aber deutlich wird, wie absolut wenig die Länder Afrikas dazu beitragen und wie groß die »Sünden« Chinas, der USA und Europas sind. Es wird auch nicht auf das Grundübel der expansiven und rohstoffverbrauchenden Wirtschaftsweise, den Kapitalismus, verwiesen – »die Menschen« sind es nicht, die den Planeten zerstören, sondern eine Profit über Leben setzende Art der Produktion und die damit verbundene Vernichtung von Natur und Leben.
Ein Sektor für die Hoffnung
Auf der oberen Ebene gibt es einige Bildtafeln mit Beispielen für Versuche, anders zu produzieren und zu leben. Da sind die begrünten Hochhäuser, die Solarfelder, die Windräder und die Bemühungen weniger Initiativen, in der Wüste Bäume zu pflanzen. Dazu Videointerviews, etwa mit Maja Göpel, von Weizsäcker und Luisa Neubauer, die erneut auf das Handeln der Verantwortlichen bzw. auf weiteren Druck von unten drängen.
Wie bei der vorigen Ausstellung schwebt im Gasometer ein großer Erdball, der von der dritten Ebene beobachtet werden kann. Auf vielfältige Weise werden die Zustände tags und nachts, die Winde, die Meeresströmungen, Wolken und Lichtverschmutzung, die Rückgang des Eises an den Polen nach und nach auf die Erdkugel projiziert. Einige Minuten muss man sich gönnen, um wie die Astronauten aus der Raumstation die »kleine blaue Kugel« im Weltall zu betrachten und sich Gedanken zu machen, dass wir entgegen der irren Mars-Phantasien eines Elon Musk auf das gemeinsame Leben auf dieser »Kugel« angewiesen sind: »Earth First!«
Ich empfehle immer allen, die gut zu Fuß sind, den Gasometer über die offene Außentreppe zu besteigen, eine Weile auf dem Dach das Revier von oben (wieder) zu sehen und dann im Inneren mit dem Glasaufzug an der Erdkugel vorbei zur Ausstellungsebene zu fahren.
»Das zerbrechliche Paradies« ist bis zum 30.Dezember 2022 anzusehen – und angesichts der großartigen und verstörenden Fotos Anlass weiterzudenken, was zu tun ist.
Das zerbrechliche Paradies bis zum 30.12.22 im Gasometer Oberhausen, Arenastr.11 (www.gasometer.de/de/ausstellungen/das-zerbrechliche-paradies).
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