Alles über LGBTIQA+
von Ravi T. Kühnel
Kathrin Köller, Irmela Schautz: Queergestreift. Alles über LGBTIQA+. München: Hanser, 2022. 283 S., 22 Euro
Mit Queergestreift. Alles über LGBTIQA+ haben Kathrin Köller und Irmela Schautz ein Buch geschrieben, dass das Zeug hat ein Standardwerk in Aufklärung über LGBTIQA+ zu werden.
Die beiden Autorinnen haben sich mit dem Buch das Ziel gesetzt, Hürden abzubauen, den Blick für Diversität zu öffnen und Lust auf Wissen zu machen. Sie wollen Aufklären über Begrifflichkeiten, den historischen Kontext und gesundheitliche, rechtliche sowie gesellschaftliche Themen rund um die LGBTIQA+-Bewegung. Dafür schreiben die Autorinnen nicht nur über betroffene Personen, sondern lassen sie selbst zu Wort kommen und haben Teile des Buches mit ihnen zusammen erarbeitet. Die Autorin Kathrin Köller ist seit langer Zeit in queeren Themen zu Hause, die Illustratorin Irmela Schautz liebt es, inhaltlich und kreativ herausgefordert zu werden.
Das Buch hat einen sehr klaren Aufbau. Die Kapitel sind sortiert nach L – Lesbian, G – Gay, B – Bi/Pansexual, T – Trans/Non-Binary, I – Inter*, Q – Queer und A+ – A-Sexual. Jedes Kapitel wird von einem Gedanken eines jungen, queeren Menschen eingeleitet. Ein Interview mit Expert:innen aus der Community bildet den Mittelpunkt der Kapitel, dieser wird gerahmt mit Aufklärung rund um das Thema. An den Seiten der Artikel finden sich Randinformationen, sowie Aufklärung über Begrifflichkeiten. Jedes Kapitel endet mit Infos zu den einzelnen Community Days, sowie Tipps, Ressourcen und Kontakten.
Das gesamte Buch ist durchzogen mit wunderschönen, sehr gelungenen Illustrationen. Eingeleitet werden die Kapitel mit dem jeweilig thematisch passend illustrierten Buchstaben der Community. Ebenso hervorzuheben sind die Checklisten für Freund:innen oder Eltern, die dabei helfen können, zu Allies, also zu Verbündeten zu werden.
Sex und Gender
Die einzelnen Kapitel sind unterschiedlich lang. Das ist bewusst gewählt. Einige Themenbereiche sind schneller zu erläutern als andere. Eine Sexualität wie z.B. lesbisch ist schneller erklärt als eine Geschlechtsidentität wie nichtbinär oder trans, über die ganze Bücher geschrieben werden.
Im Buch geht es einerseits um Sexualität, andererseits um Geschlechtsidentitäten. Da wäre es sehr hilfreich und notwendig gewesen, vorher den Unterschied zwischen »Sex« und »Gender« zu erläutern; im Deutschen verwenden wir meist die Begriffe »biologisches« und »soziales« Geschlecht. Wobei diese Begriffe nicht sehr genau sind. Der Kern ist, dass wir abseits unserer primären und sekundären Geschlechtsmerkmale ein »soziales« Geschlecht besitzen, eine Geschlechtsidentität. Geschlechterrollen sind sozial und kulturell geprägt. Die Geschlechtsidentität ist etwas persönliches, etwas, was man selbst empfindet und wahrnimmt, und das kann sich von den Geschlechtsmerkmalen unterscheiden.
Unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen
Die einzelnen Kapitel klären hervorragend über diverse Themen und Begriffe auf, nutzen Metaphern und Veranschaulichungen, wenn etwas komplizierter wird – dies trägt ungemein zum Verständnis bei. Durch den klaren Aufbau des Buches findet man sich gut zurecht. Es gibt nur wenige Elemente, die einem als betroffene Personen fehlen. Etwa, dass es innerhalb der LGBTIQA+-
Bewegung auch zu Diskriminierungen kommt. Vor allem Trans- und Inter*-Personen haben es auch innerhalb der Bewegung schwer. Der Grund liegt darin, dass es auch innerhalb der queeren Familie an Aufklärung mangelt.
Ebenso wäre es erwähnenswert gewesen, dass die einzelnen Communities unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen machen. Manche Gruppen, wie z.B. lesbische Frauen, sind besser gesellschaftlich anerkannt als z.B. Transfrauen. Auch die Tatsache, dass es Menschen gibt, die aufgrund einer Behinderung oder anderer Hautfarbe mehrfach diskriminiert werden, wird nur angerissen. Intersektionalität und Queerfeminismus sind wichtige Themen in bezug auf LGBTIQA+ und sollten auch in einem Aufklärungsbuch ihren Platz finden. Ebenso, dass es Terfs gibt, »Feministinnen«, die nicht nur Transpersonen ausschließen, gezielt gegen sie vorgehen, Propaganda gegen sie verbreiten, sondern sogar versuchen, innerhalb der LGBTIQA+-Bewegung ihren Platz zu finden, fehlt im Buch völlig. Besonders positiv aufgefallen ist, dass im Buch nicht von Homo- oder Transphobie gesprochen wird, sondern explizit von Feindlichkeit – schließlich ist es in den meisten Fällen eine genau solche. Und Hass wird anders bekämpft als Angst.
Das Buch mag für Jugendliche konzipiert sein, es ist jedoch für jeden geeignet. Queergestreift ist ein herausragendes Aufklärungsbuch und sollte in jeder Bibliothek, in jeder Schule, in jeder Uni, in jedem Stadtteilladen, in jedem Polit- und Parteibüro, in jeder psychiatrisch- und psychotherapeutischer Praxis, in jeder Aufklärungs- und Beratungsstelle, kurz: in jedem Bücherregal stehen. Keinem Buch ist es bisher gelungen so klar und präzise, mit einfacher Sprache und gut strukturiert über die queere Bewegung aufzuklären. Queergestreift hat das Zeug zu einem Standardwerk zu werden. Ich empfehle es jedem, ausnahmslos.
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