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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2022

Das Selbstbestimmungsgesetz bleibt hinter den Erwartungen zurück
von Ravi T. Kühnel

Das Selbstbestimmungsgesetz, welches das verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) ablösen soll, mag auf den ersten Blick als Erfolg aussehen, bleibt jedoch weit hinter den Versprechen zurück. Für Transpersonen ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das zentrale Versprechen des Selbstbestimmungsgesetzes war, dass das TSG abgeschafft wird. Dieses Versprechen wird eingelöst. Statt nun zwei teure Gutachten machen zu lassen und entwürdigende und extrem intime Fragen beantworten zu müssen, die mit Transidentität nichts zu tun haben, wird es in Zukunft möglich sein, mit einer persönlichen Erklärung vor dem Standesamt den Geschlechtseintrag sowie den Namen ändern zu lassen. Möglich ist dies bereits ab 14 Jahren, dann jedoch nur mit Zustimmung der Eltern.
Derzeit ist es noch so, dass Änderungen des Vornamens und Geschlechtseintrags in zwei unterschiedlichen Gesetzen mit verschiedenen Voraussetzungen geregelt sind. Das nun eine Erklärung reicht und die Gutachten wegfallen, ist eine Erleichterung für betroffene Personen. Das war es leider auch schon mit den eingelösten Versprechen.
Die Änderungen sollten zunächst Ende des Jahres in Kraft treten. Dies wird jedoch nicht geschehen. Der Entwurf wird da frühestens verabschiedet sein, sein Inkrafttreten ist erst für die zweite Jahreshälfte 2023 geplant.

Ungerechtes Gesundheitssystem
Unbehandelte trans Personen haben oft hohen Leidensdruck, nicht nur weil sie meist diskriminiert werden, weil ihr »passing« nicht ausreichend ist, sondern auch, weil sie unter teils starker Körperdysphorie leiden. Geschlechtsangleichende Behandlungen sind zwingend notwendig, um den Leidensdruck zu verringern.
Wird das neue Selbstbestimmungsgesetz daran etwas ändern? Pustekuchen. Gesundheitspolitische Änderungen waren zwar versprochen, fallen jedoch im neuen Selbstbestimmungsgesetz komplett hinten runter.
Versprochen wurde, dass Behandlungsmethoden im Rahmen einer Transidentität in Zukunft als Kassenleistung gelten. Aktuell müssen betroffene Personen einen wahren Spießroutenlauf vollziehen. Sie brauchen verschiedene Gutachten, Indikationsschreiben, Alltagstests, jahrelange Therapie, einen Translebenslauf und vieles mehr, um nur eine Aussicht auf eine Bewilligung durch die Krankenkasse zu haben. Die Genehmigung liegt in der Willkür des Sachbearbeiters. Selbst dann werden die Kosten meist nicht komplett von der Krankenkasse übernommen. Das können sich nicht alle Menschen leisten.
Am Beispiel der Mastektomie, zeigt sich die Ungerechtigkeit des Gesundheitssystem. Wünschen Männer auf Grund einer Gynäkomastie eine Mastektomie, müssen sie lediglich eine Indikation des Facharztes einreichen, damit die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Wünschen trans Männer eine Mastektomie, ist diese an viel mehr Bedingungen und Unterlagen geknüpft. Sie müssen diverse Befunds- und Behandlungsberichte verschiedener Fachärzte und Alltagstests anschleppen, um überhaupt einen Antrag auf eine Mastektomie stellen zu können. Sie müssen auch mindestens ein Jahr lang in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sein. Auch nach der Mastektomie sind sie gezwungen, eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen, sie könnten ja auf die Behandlung traumatisch reagieren. Dies ist aber absurd, wenn die Entfernung der Brust der sehnlichste Wunsch war.
Das sind starke Unterschiede, obwohl beide Personengruppen die gleiche Aussage treffen: Ich bin ein Mann, ich sollte diese Brüste nicht haben, sie sorgen für Leid.

Das Leid bleibt
Fassen wir zusammen: Wir müssen noch mindestens ein Jahr warten, bis wir unseren Namen ändern lassen dürfen. Wir müssen noch ein Jahr warten, bis wir endlich unser richtiges Geschlecht eintragen lassen dürfen und somit unangenehme Situationen vermeiden können. Doch was ist mit allem anderen? Wo bleiben die dringend notwendigen gesundheitspolitischen Änderungen? Wie lange sollen wir noch leiden und für jede Behandlung kämpfen? Eine Antwort darauf hat keiner. Das Ressort, das für das Selbstbestimmungsgesetz verantwortlich war, fühlt sich dafür nicht zuständig. Das Ressort Gesundheit sieht Änderungen bisher nicht vor und stellt sich taub. Leere Versprechen vom neuen Queerbeauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann, Schweigen im Walde bei allen anderen.
Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Anfang, doch der Kampf für die Rechte queerer und Transmenschen ist noch lange nicht zu Ende.

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