Eindrücke von den Aktionen gegen das LNG-Terminal in Hamburg
von Ravi T. Kühnel
Die Sonne brutzelt, das Gas fließt, ganz Hamburg genießt den Sommer. Ganz Hamburg? Nein, ein von der Klimagerechtigkeitsbewegung bevölkertes Camp im Altonaer Volkspark hört nicht auf, dem Klimawandel Widerstand zu leisten.
Vom 9. bis 15.8.2022 fand in Hamburg ein großangelegtes Klimacamp statt, kombiniert mit Massenaktionen und Blockaden. Das große neue Thema der Klimagerechtigkeitsbewegung ist der Stop von Erdgas und Flüssiggas (LNG) sowie die Antikolonialisierung.
Organisiert wurde das Camp von einem breiten Bündnis aus linken und klimapolitischen Gruppen. Zuerst sollte es im zentral gelegenen Stadtpark stattfinden, dies wurde jedoch nicht erlaubt. Die Polizei hat auch im voraus versucht, das Camp komplett zu verhindern. Damit scheiterte sie jedoch vor Gericht in der dritten Instanz, so dass das »System Change Camp« auf den Elly Wiesen im Altonaer Volkspark stattfinden konnte.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung sieht in der Schwerpunktsetzung auf Gas eine logische Konsequenz. Der Atom- sowie der Kohleausstieg seien beschlossene Sache, nun gehe es an den nächsten fossilen Brennstoff, Gas. Auf die Frage hin, ob sich denn alle einig wären, den Fokus jetzt so stark auf das Gas zu setzen, kam lediglich die Rückmeldung, es seien ja weiterhin Gruppen gegen Kohle aktiv. Ob der Kohleausstieg eine so klar beschlossene Sache ist, bleibt allerdings in Hinblick auf die aktuelle, kriegsbedingte Energiekrise fraglich.
Die Aktionen
Ziel des System Climate Change Camp war es, fossile Infrastruktur zu blockieren und Massenaktionen durchzuführen. »Wir lassen uns nicht länger forttragen, wir sehen uns gezwungen, nun unsere ganzen Körper einzusetzen«, so eine Stimme aus der Pressekonferenz.
Bereits am Dienstag starteten die angekündigten Aktionen mit einem Banner-Drop von der Elbphilharmonie, auf denen klare Botschaften gegen den Bau von LNG-Terminals und gegen fossile Brennstoffe zu lesen waren. Am Mittwoch fand eine Demonstration mit rund 1800 Beteiligten statt. Die Hamburger Polizei fuhr ein Großaufgebot auf, da sie »Zustände wie zum G20-Gipfel« vermutete, und sperrte alle wichtigen Konzerngebäude ab. Dies hinderte die Aktivist:innen jedoch nicht an ihrer kämpferischen Demo.
Der darauffolgende Tag begann mit der Blockade der Zufahrt von Yara, einem der größten Düngemittelhersteller. Nachdem diese einige Stunden blockiert worden war, lösten die Aktivist:innen die Blockade selbstbestimmt wieder auf. Am darauffolgenden Tag fuhr man größere Geschütze auf, eine der Baustellen der elf geplanten LNG-Terminals wurde besetzt. Hunderte Aktivist:innen waren daran beteiligt.
Charly Dietz, Pressesprecherin von Ende Gelände begründete die Aktion: »Gas ist ein Klimakiller … die Förderung von fossilem Gas ist mit Vertreibung, Ausbeutung und Zerstörung verbunden. Europäische Konzerne machen Milliardengewinne durch koloniale Ausbeutung. Wir stellen uns diesem Klimaverbrechen entgegen und nehmen den Gasausstieg selbst in die Hand.«
Am Samstag fand dann die angekündigte Massenaktion statt. Rund 2000 Aktivist:innen zogen am Morgen in verschiedenen Fingern los Richtung Hamburger Hafen. An zwei verschiedenen Stellen wurde die einzige Schienenverbindung von und zu den Containerterminals von 400 Aktivist:innen blockiert. Weitere Gruppen blockierten Zufahrtswege, von den 2000 Aktivist:innen konnten alle ihr Blockadeziel erreichen. Auch die Kohlbrandbrücke wurde blockiert.
Die Polizei reagierte mit massiver Gewalt. Schutzfolien wurden entfernt, Schmerzgriffe angewendet, Pfefferspray sowie Wasserwerfer eingesetzt. Teils kam es zu regelrechten Hetzjagden mit dem Schlagstock auf einzelne Gruppen. Einer Gruppe wurde über Stunden die Versorgung mit Trinkwasser verwehrt. »Was wir hier erleben, ist ein großangelegter Angriff der Hamburger Polizei auf die Demokratie und Versammlungsfreiheit … Wir erleben einen neuen Höhepunkt an polizeilicher Gewalt und Willkür gegen unsere Klimaproteste. Die staatlichen Organe machen sich wieder einmal zu Handlangern der fossilen Industrie. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und unseren Protest fortsetzen.« So Luka Scott, Sprecherin von Ende Gelände.
Kritik an den Blockaden
Im Vorfeld hatte es Kritik an den Blockadeaktionen von Aktivist:innen der Gruppen linksjugend Solid Berlin, sowie Revolution Hamburg. Sie verteilten Flyer auf der Demonstration am Donnerstag und kritisierten harsch, die Blockadeaktionen würden in einen bestehenden Arbeitskampf eingreifen, es gebe keinerlei Zusammenarbeit mit den Hafenarbeiter:innen und man würde mit den Blockaden die Argumente der Rechten stärken. Sie riefen zu solidarischen Diskussionen auf dem Camp auf. Doch anstatt in Kommunikation mit Ende Gelände zu treten, in vorhandenen Workshops oder auf der Pressekonferenz Bedenken einzuwerfen, zu diskutieren oder Fragen zu stellen, oder gar einen eigenen Workshop anzubieten, um ihr Anliegen zu thematisieren, veranstalteten diese Gruppen zeitgleich zu den Blockaden eine eigene Kundgebung in Solidarität mit den Hafenarbeiter:innen.
So kann kein solidarischer Diskurs stattfinden, die radikale Linke sollte stets mit der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammenarbeiten, Kritik solidarisch einbringen und mit dazu beitragen, gesellschaftliche Kämpfe zu verbinden. Auf Nachfrage der SoZ berichtete jemand vom Podium der Pressekonferenz, im Vorfeld hätten durchaus Gespräche mit den Hafenarbeiter:innen stattgefunden. Doch diese Kämpfe zu verbinden, braucht eine längere Vorbereitungszeit. Der Hafen sei ein Ort verschiedener politischer Kämpfe. Die Veranstalter sind jedoch optimistisch, in Zukunft die Kämpfe wenigstens teilweise verbinden zu können. Im Hambacher Forst hatte es ja auch funktioniert.
Internationale Orientierung
Abseits der Aktionen war die Stimmung im Camp trotz der sengenden Hitze fröhlich und kämpferisch. Das Wetter hätte kaum passender sein können, um über den Klimawandel zu diskutieren. Sonne, keine Wolken, 30 Grad, selbst der Boden war komplett verdorrt und hart.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist seit je her sehr weiß und deutsch, dies versucht man immer mehr aufzulösen. Das Camp und die Aktionstage boten vielen internationalen Stimmen und BiPoCs (Black, Indigenous, People of Colour) eine Bühne. Es gab ein Zelt für BiPoCs und Workshops unter Ausschluss von weißen Menschen. »Dies ist noch lange nicht das Ziel, das man erreichen möchte, aber ein Anfang«, so ein Mitglied des Awareness-Teams.
Die neue internationale Orientierung hat auch strategische Gründe. Esteban Servat aus Vaca Muerta erklärt: »Es ist an der Zeit, dass sich die europäischen Klimabewegungen der Herausforderung stellen und aus der eurozentristischen Blase ausbrechen, um sich mit den Menschen an den Frontlinien der Extraktion auf der anderen Seite der Welt zu verbinden und gemeinsam zu kämpfen, in echter Kameradschaft und Internationalität.«
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