›Die Einleitung von Grubenabwässern erfolgt praktisch ohne jegliche Kontrolle‹
Gespräch mit Dominik Dobrowolski
Die Vergiftung der Oder im Juli und August führte möglicherweise zu über tausend Tonnen getöteter Fische. Die langfristigen und weiträumigen Folgen für Ökosysteme und menschliche Nutzer:innen sind noch gar nicht abzusehen. Das war eine »Katastrophe mit Ansage«, sagen polnische Umweltschützer. Die Aufsichtsbehörden seien unterfinanziert oder nicht daran interessiert, die giftigen Einleitungen zu unterbinden.
Sind die Ursachen für das massenhafte Fischsterben mittlerweile bekannt?
Nein. Der Zustand der Oder wurde nicht laufend überwacht, er wird es immer noch nicht. Weil Wasserproben und getötete Tiere erst spät analysiert wurden, ist es nun sehr schwierig, die tatsächlichen Ursachen zu ermitteln. In den Medien werden verschiedene Hypothesen und Anschuldigungen geäußert. Der Bergbau scheint eine Rolle gespielt zu haben. Die regelmäßigen Einleitungen von Grubenabwässern aus dem Rybnik-Becken über den Gleiwitzer Kanal und aus dem Stausee »Zelazny Most« (auf der Höhe von Glogów) haben sicherlich den Salzgehalt in der Oder steigen lassen; dies wurde in einer Untersuchung der deutschen Behörden festgestellt. Außerdem traten Goldalgen auf, Algen, die für die Lebewesen im Fluss tödliche Gifte produzieren können.
Im Juli und August herrschten im ganzen Odergebiet Hitze und Dürre von historischen Ausmaßen. Wie wirken Trockenheit, sinkende Pegel und die Einleitung von Abwässern zusammen? Gibt es überhaupt die eine Ursache und womöglich einen Einzeltäter?
Abgesehen vom Salzgehalt und den Goldalgen wurden die Grenzwerte vieler anderer gefährlicher chemischer Verbindungen überschritten: Quecksilber und anderer Schwermetalle, Phenol und Petroleum. Bei Untersuchungen im Oppelner Abschnitt der Oder wurde außerdem ein hochgiftiges Lösungsmittel entdeckt.
Industrielle und kommunale Abwässer aus Kläranlagen werden regelmäßig in den Fluss eingeleitet. Zusammen mit dem niedrigen Wasserstand und der hohen Temperatur hatten die Schadstoffe dann tödliche Folgen für Fische, Weichtiere und Krebstiere. Verschlimmert wurde das durch die verwesenden Körper der getöteten Tiere. Etwa 300 Tonnen Fisch wurden aus dem Wasser gefischt, aber nach Angaben von Wissenschaftlern macht dies nur ein bis zehn Prozent der Gesamtmenge aus! Infolge der Zersetzung bildeten sich am Grund des Flusses tödliche anaerobe Bereiche und hohe Konzentrationen von Methan und Schwefelwasserstoff. In der Unteren Oder entstand in Tiefen von weniger als zwei Metern ein Sauerstoffmangel, der zu weiterem Fischsterben geführt haben könnte.
Was muss jetzt geschehen?
Es ist notwendig, alle illegalen Abwassereinleitungen zu ermitteln. Staatliche Stellen haben angeblich bereits damit begonnen. Dann müssen die Genehmigungen für unerlaubte Einleitungen aus Kläranlagen oder Grubengewässern überprüft werden um herauszufinden, ob die erlaubten Mengen und Grenzwerte der Abwässer überschritten werden. Gleichzeitig muss ein Netz zur Überwachung der betroffenen Flüsse aufgebaut werden, damit die Bedrohungen angegangen werden können.
Welche Rolle spielen die fossilen Energieträger und ihre Abwässer? Werden die Gewässer durch behördliche und verbotene Abwassereinleitungen stark belastet? Gibt es ausreichende Kontrollen und Rechtsvorschriften?
Die Einleitung von Grubenabwässern in die Oder, aber auch in die Weichsel, erfolgt praktisch ohne jegliche Kontrolle. Ich möchte auch daran erinnern, dass sich in den Speicherbecken des Bergbaus die Goldalgen vermehren konnten, weil die salzhaltige Speicherbecken mit warmem Wasser ideale Bedingungen für ihre Vermehrung bieten. Die Bergwerke melden die Mengen erst nach der Ableitung ihrer Abwässer. Für solche Einleitungen sind keine Genehmigungen erforderlich; sie dürfen sogar erfolgen, wenn der Wasserstand im Fluss sehr niedrig ist.
Gibt es eine Praxis des organisierten Wegschauens seitens der Behörden – wenn ja, warum?
Es fällt mir schwer zu sagen, ob sie »ein Auge zudrücken«, aber die verantwortliche Behörde, Woda Polska (Polnisches Wasser), ist ein zentralistischer Wasserkopf, wo die Kommunen kein Mitspracherecht beim Umgang mit den Gewässern haben. Sie arbeitet langsam. Sie hat nicht genügend Ressourcen, Personal und Mittel, um den Zustand der Gewässer zu überwachen und solche Katastrophen zu verhindern. In der Geschichte der Vergiftung der Oder gibt es viele Beispiele für Untätigkeit und große Verzögerungen nach der Meldung alarmierender Ereignisse. Ein berüchtigtes Beispiel sind die Phenol-Einleitungen aus dem Chemiewerk in Brzeg Dolny. Seit vielen Jahren fordern Anwohner, Angler und lokale Behörden ein Eingreifen, aber bisher ist noch nichts Konkretes geschehen.
Du beklagst, wie viele andere Umweltschützer, den Import von Schadstoffen aus Europa nach Polen. Mittlerweile hat sich in diesem Bereich ein florierender Markt entwickelt. Woher kommen diese Gifte?
In Polen werden immer noch neue illegale Deponien entdeckt. In der Regel handelt es sich um unbeschriftete Fässer, der Inhalt ist nicht ersichtlich. Erst nach einer Analyse stellt sich heraus, dass der Inhalt toxisch ist. Auf diesen Deponien landen Abfälle aus Deutschland, Großbritannien, aber auch aus dem übrigen Europa. Die lückenhafte Überwachung von Abfalltransporten, die Unfähigkeit vieler lokaler Behörden und kriminelle Handlungen führen dazu, dass in Polen illegale Mülldeponien und damit ökologische Zeitbomben entstehen.
Der Ausbau der Oder ist zwischen der polnischen und der deutschen Regierung umstritten. Wie sehen polnische Umweltschützer das?
Die Katastrophe an der Oder hat sich in einem Abschnitt der Oder angestaut, der in den letzten Jahren stark kanalisiert worden ist. In der ersten Phase der Katastrophe wurde die größte Anzahl an getöteten Fischen im Abschnitt zwischen Glogów und Kostrzyn eingesammelt. Ein kanalisierter Fluss kann sich viel schlechter selbst reinigen als ein Fluss mit einem natürlichen Lauf.
Natürlich protestieren Umweltgruppen in Polen gegen die Kanalisierung der Oder, aber auch anderer Flüsse. Die Kanalisierung von Flüssen scheint mir nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch völlig unsinnig zu sein. Die Investitionen verschlingen gigantische Summen an öffentlichen Geldern, und in der öffentlichen Meinung herrscht der Eindruck, dass in großem Umfang finanzielle Mittel veruntreut werden.
Wie siehst du die Zukunft der Oder?
Die Oder ist ein internationaler Fluss, sie beginnt in der Tschechischen Republik und ist ein gemeinsamer Fluss von Polen und Deutschland. Daher ist ein gemeinsames Vorgehen der drei Länder erforderlich. Wir brauchen einen gemeinsamen Plan für die Oder: Wie soll sie aussehen, wozu soll sie dienen, welche sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen kann sie erfüllen? Es ist notwendig, den Fluss zu renaturieren, die Überschwemmungsgebiete zu erweitern, die Deiche zu entfernen und gleichzeitig die Bebauung in überschwemmungsgefährdeten Gebieten zu verbieten.
Entscheidend wird die kontinuierliche Überwachung und die Eindämmung der Verschmutzung sein. Die Artenvielfalt muss möglichst weitgehend wiederhergestellt werden. In Polen wurde zu diesem Zweck die Initiative #ODROdzenie (www.siepomaga.pl/odrodzenie) ins Leben gerufen. Sie will die Populationen bedrohter oder ausgelöschter Arten wieder ansiedeln und insgesamt die Fischarten nach der Katastrophe wieder vermehren. Nächstes Jahr sollen die Bestände wieder aufgestockt werden.
Dominik Dobrowolski aus Wroclaw engagiert sich seit den 80er Jahren in der polnischen Umweltbewegung. Beruflich organisiert er Fahrrad- und Kanutouren auf der Oder und ökologische Bildungsveranstaltungen an Schulen.
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