DIE LINKE vor der Entscheidung
von Thomas Goes
Eine Partei links der Sozialdemokratie und der Grünen ist bitter notwendig. Einen politischen Raum gibt es für eine linksreformistische Partei, die in der Lage ist Hoffnungen und Sehnsüchte aus unterschiedlichen Milieus der arbeitenden Klassen aufzugreifen, die den Kämpfen in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern einen Ausdruck geben kann.
Sie müsste daher vielfältige Problemrohstoffe aufgreifen und klare politische Alternativen zuspitzen, um die sich Unzufriedene sammeln können, sie müsste organisierende Linke und Partei in Bewegung sein, weil so Hoffnung entsteht und neue Ideen zur Welt kommen. Aber sie müsste eben auch gestalten und umsetzen wollen und können. Sie müsste an einem gesellschaftlichen Bündnis arbeiten, unterschiedlichen Klassenmilieus, Menschen aus Verbänden und Gewerkschaften, verschiedenen Bewegungen und Initiativen verbinden. DIE LINKE müsste mit dem Gesicht zu den Leuten diskutieren, nicht über sie. Sie müsste einen Weg zum Sozialismus suchen, mit Betonung aufs „Suchen“, weil sich dieser eben nur – wenn überhaupt – aus der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Widersprüchen und den Kämpfen ergibt. DIE LINKE braucht den Pluralismus wie die Luft zum Atmen, die Bereitschaft zum Zuhören und zum Kompromiss, sie braucht ihre revolutionäre Strömungen, sie braucht Reformer:innen und viele andere. DIE LINKE müsste sich erneuern, um diese Kraft zu werden.
Eine konservative Linke
In den vergangenen Jahren hat sich die LINKE enorm verjüngt und Menschen mit neuen politischen Erfahrungen gewonnen. Nicht zuletzt die Erfolge der AfD, die Geflüchtetensolidarität, und auch das Auftauchen der Klimagerechtigkeitsbewegung haben in der Partei etliche Diskussionen hervorgerufen entlang derer sich neue Allianzen herausgebildet haben, alte Strömungslogiken durcheinandergewirbelt wurden.
Die Nuancen dieser Debatten können hier kaum nachgezeichnet werden. Zentrale Persönlichkeiten waren Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, um die sich eine zunächst relevante, dann immer kleiner werdende Minderheit der Partei sammelte. Sollte die LINKE nun eine internationalistische Partei sein, die sich für Geflüchtete einsetzt? Oskar und Sahra meinten eher nein, Sahra begann ihre Polemik gegen die Parteimehrheit, indem sie Anfang 2016 von einem Gastrecht für Flüchtlinge sprach, das diese auch verlieren könnten, wenn sie sich nicht angemessen benehmen. Es folgten Jahre der innerparteilichen Streitigkeiten, in denen Geflüchtete zuallererst als Problem dargestellt wurden.
Zusammen hing das mit der Frage, wie die Erfolge der AfD erklärt werden könnten – für Wagenknecht und Co. sind Wähler:innen der AfD in im Kern Sozialprotestler:innen, die man gewinnen kann, wenn man gesellschaftspolitisch konservativ auftritt, ansonsten aber sozialkritisch ist. Deshalb sammeln sich um Wagenknecht Kräfte, die auch der Meinung sind, die LINKE dürfe in puncto Klimapolitik nicht „grüner werden als die Grünen“. An der Diskussion über einen eigenen linken Green New Deal, die durch den Ex-Vorsitzenden Bernd Riexinger angeregt wurde, hat sich dieses Spektrum nicht konstruktiv beteiligt.
Überformt wurde das alles durch den Streit darüber, wie eine feministische Alltagskultur in der LINKEN aussehen müsste, und was „Klassenpolitik“ in einer Gesellschaft heißt, in der sich der gesellschaftliche Gesamtarbeiter rasant verändert hat, höhere Qualifikationen sich verallgemeinert haben und große Teile gerade der unteren Klassenmilieus auf Migrationserfahrungen zurückblicken können. Dass eine linke Partei für einen Paketlieferanten, dessen Großeltern aus der ländlichen Türkei eingewandert sind, ebenso da sein muss wie einen gutverdienenden Industriearbeiter oder eine junge Studierende, wurde zum Zankapfel. Diese „verbindende Klassenpolitik“ wurde denn auch von der Wagenknechtlinken zu ihrem Gegenteil erklärt, zu einer Ausrichtung auf Akademiker:innen. Orwell lässt grüßen.
In diesen Diskussionen standen führende Köpfe der Antikapitalistischen Linken z.T. Seite an Seite mit Reformer:innen – aufgrund echter Übereinstimmungen. Harald Wolf, Minister a.D., und Thies Gleiss von der AKL, sind sich z.B. einfach einig, dass die LINKE nur dann eine Zukunft hat, wenn sie eine Partei des grünen Sozialismus wird. Erstes Opfer der innerparteilichen Fraktionierung wurde die einst einflussreiche Strömung der Sozialistischen Linken. Mittlerweile ist sie zum Anhängsel von Wagenknecht geworden. Zuerst spaltete sie sich, die sog. Bewegungslinke entstand, sodann blutete sie personell und intellektuell aus. Von der ehemaligen Vielfalt der Strömung ist kaum etwas übrig, jüngst ist ihr strategischer Kopf, Ralf Krämer, aus der Partei ausgetreten, er hält eine neue Partei für notwendig.
Mehrheiten der LINKEN haben sich in den vergangenen Jahren wiederholt entschieden DIE LINKE als internationalistische, feministische, antifaschistische und ökologische Reformpartei aufzustellen, die in Bewegungen aktiv sein will, vor Ort an Initiativen teilnehmen und neben Kommunalpolitik auch selbst Initiativen aufbauen will. Anspruch und Wirklichkeit sind zwei paar Schuhe, aber gegen diesen Kurs entstand mit der Initiative „Aufstehen“ im Jahr 2018 der erste Versuch der Parteispaltung, der damals kläglich scheiterte. An der Spitze sollte Sahra Wagenknecht stehen. Keine Woche verging seither, in der Wagenknecht die Presse nicht wissen ließ, die LINKE habe die kleinen Leute fallen lassen – völlig unabhängig davon, was die Partei eigentlich tat oder tut. Mietenkampagne? Egal. Streikunterstützung? Egal. Programmatisch begründet hat sie ihr Projekt in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“, in dem sie sich in erster Linie gegenüber einer angeblich intoleranten, ja „totalitären“ Linken abgrenzt. Gemeint sind Feminist:innen, Antirassist:innen und Antifaschist:innen. Zurecht wurde das als das Gegenentwurf zum Erfurter Programm kritisiert, das die LINKE als rebellische antikapitalistische Reformpartei begründet, die sich auf verschiedene soziale Bewegungen bezieht und auf gesellschaftliche Kämpfe stützt.
Alte Konfliktlinien in der Partei, etwa der Streit, ob die LINKE regieren sollte oder nicht, sind nicht verschwunden – die zerstörerische Konfliktdynamik der letzten Jahre hatte mit ihnen aber wenig zu tun.
Die faktische innere Spaltung
Auf dem Parteitag im Juni 2022 wurde in Abstimmungen deutlich, wie schwach die Wagenknechtlinke in der Partei heute ist. Rund 15 Prozent der Delegierten gehörten dazu. Destruktiv ist diese Minderheit, weil sie im „kommunikativen Kraftzentrum“ der Partei, der Bundestagsfraktion, aufgrund des Bündnisses mit Reformer:innen um Dietmar Bartsch, einflussreiche Sprecher:innenpositionen innehat. Der Realo Bartsch trägt daher auch eine Hauptschuld für die Malaise, in der sich das Reformer:innenlager befindet, eine Malaise, die sich nicht zuletzt in wütenden Aufrufen gegen Wagenknecht ausdrückt, die es in den vergangenen zwei Monaten gab.
Diese Appelle sind aber auch eine Reaktion auf das offene Geheimnis, dass im Umfeld Wagenknechts für die Abspaltung von der Partei sondiert wird. Kurz nach dem Parteitag wurde aus der Bundestagsfraktion berichtet, wagenknechtnahe Abgeordnete wie Klaus Ernst und Sevim Dagdelen sammelten dafür Abgeordnete – und um im September zur Frage der Energiepolitik im Bundestag sprechen zu können, drohte Wagenknecht Bartsch damit, sollte er sie nicht reden lassen, die Fraktion zu verlassen. Diether Dehm, ein schillernder Anhänger Wagenknechts und lange Strippenzieher in der Bundestagsfraktion, plädierte im Augst auf dem Pressefest der DKP für eine Konkurrenzkandidatur bei der Europaparlamentswahl 2024. In Landesverbänden wurden Unterstützer:innen gesammelt, in Bayern organisierte Klaus Ernst ein Treffen der sog. „populären Linken“, wie sich die Wagenknechtlinke nun nennt, von dem Landesvorstandsmitglieder ausgeschlossen wurden. Gemeinsamkeiten gegenüber Wagenknecht betonen seit Juni Teile des Netzwerkes Marx21, nachdem lange Zeit der Zwist dominierte. Der Grund: Verlässt Wagenknecht die Partei, sehen sie ihre friedenspolitischen Positionen marginalisiert. Dass zwischen ihrer eigenen Kritik am russischen Angriffskrieg sowie ihrem Bekenntnis zur Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und den Positionen Sahra Wagenknechts, Dieter Dehms oder Sevim Dagdelens ansonsten Welten liegen, scheint an Bedeutung zu verlieren.
Auf der anderen Seite steht eine Mehrheit der Partei, die im Laufe der nun über 5 Jahre andauernden Richtungsauseinandersetzungen zueinandergefunden hat, ohne ein gemeinsames politisches Projekt zu verfolgen oder in zentralen strategischen Fragen einig zu sein. Verständigungsversuche zwischen dieser vielfältigen Mehrheit und der Wagenknechtlinken sind wiederholt gescheitert, egal welcher Parteivorstand dies in den letzten Jahren versucht hat. Zuletzt ist Janine Wissler damit auf die Nase gefallen.
Die Partei ist in ernsten Schwierigkeiten, und die Wahlniederlagen sind nur Ausdruck davon. Nicht nur prominente Köpfe wie Ulrich Schneider, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, verlassen aufgrund der Äußerungen Wagenknechts die Partei, Mitglieder treten aus und insbesondere aktive Mitglieder hören auf - viele aufgrund der Unzufriedenheit mit den öffentlichkeitswirksamen Auftritten Wagenknechts, einige aufgrund des Umgangs mit ihr in der Partei.
Die Partei muss sich entscheiden: Ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken. Eine plurale linksreformistische LINKE hat jedenfalls keine Chance, wenn die öffentlichkeitswirksame Selbstzerstörung weitergeht.
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