Für alle reicht es nicht
von Ingo Schmidt
Allen will die Regierung es recht machen. Steigende Rüstungsausgaben für die NATO-Verbündeten, etikettenschwindlerisch als Sondervermögen deklariert. Steuerentlastungen und Subventionen für Unternehmen und Haushalte, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Und das unter erschwerten Bedingungen:
Der Kampf der EZB gegen die Inflation wird nur Erfolg haben, wenn die Zinsen soweit erhöht werden, dass sie zu einem massiven Einbruch von Investitionen und Konsum führen, sodass Unternehmen trotz gestiegener Energiekosten ihre Preise senken müssen. Ohne eine schwere Rezession bleiben die Preise hoch oder steigen sogar weiter, während die verkauften Mengen stagnieren oder sinken.
Das Stagflationsszenario, das die EZB und andere Zentralbanken nach eigenem Bekunden vermeiden wollen, wird durch die aktuellen Zinserhöhungen immer wahrscheinlicher. Steigende Finanzierungskosten sind nicht nur der Mechanismus, der kreditfinanzierte Investitionen und Konsumausgaben in Richtung Stagnation oder Rezession drückt. Sie treiben auch den Schuldendienst der Bundesregierung in die Höhe. Gut für die Gläubiger, schlecht für eine Regierung, die es nicht nur allen recht machen will, sondern auch noch ihre finanzpolitischen Prinzipien, neudeutsch: Schuldenbremse, einhalten will.
Früher oder später wird die Regierung zugeben, dass es mit der Schuldenbremse nichts wird. Und wird dann wohl auch erklären, dass es doch nicht für alle reicht. Sie ahnt es schon und warnt deshalb vor Massenprotesten.
Sondervermögen Bundeswehr
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die Bundesregierung, neben unmittelbaren Finanz- und Militärhilfen an die Ukraine, Sanktionen gegen Russland und eine massive Aufrüstung beschlossen. Das zur Finanzierung vorgesehene Sondervermögen von 100 Mrd. Euro entspricht in etwa den drei Entlastungspaketen – geschätztes Gesamtvolumen: 95 Mrd. Euro –, die die Bundesregierung in Reaktion auf die Energiekrise geschnürt hat. Diese Krise wurde durch die Sanktionen gegen Russland nicht ausgelöst, aber drastisch verschärft.
Das Sondervermögen Bundeswehr übersteigt die Rüstungsetats der vergangenen Jahre um das Doppelte und nimmt sich auch im Vergleich mit dem Gesamthaushalt des Bundes beachtlich aus. Dieser hatte 2021 ein Volumen von knapp 498 Mrd. Euro, für das laufende Jahr sind 495 Mrd. Euro geplant. Kein Wunder, dass das Sondervermögen von den Regeln der Schuldenbremse ausgenommen wurde. Bei den Entlastungspaketen wird es aber noch jede Menge Druck geben, das letzte Paket abzuspecken und andere Haushaltsposten zu kürzen. Dennoch werden die Vorgaben der Schuldenbremse im nächsten Jahr nicht eingehalten werden können.
Im Gerangel um Entlastungen und Kürzungen in einzelnen Posten der öffentlichen Haushalte wird sich die Regierung verschleißen, obwohl sie in einem Punkt klare Prioritäten gesetzt hat: Kanonen sind wichtiger als Butter und die natürliche Umwelt. Sondervermögen Bundeswehr, Sanktionen gegen Russland und Entlastungspakete stehen ganz im Zeichen einer fossilen Konterrevolution.
Die für die Rüstung vorgesehenen Ausgaben wurden nicht nur von der Schuldenbremse ausgenommen. Sie werden darüber hinaus als »Sondervermögen« deklariert. Ein haushaltsrechtlicher Terminus, der praktisch die Einrichtung von Schattenhaushalten erlaubt und hohen ideologischen Gebrauchswert hat. Werden öffentliche Ausgaben, insbesondere für Soziales, ansonsten als Kosten und unproduktiver Konsum denunziert, suggeriert der Begriff Vermögen, dass hier in die Zukunft investiert wird. Erst recht, wenn es sich um ein Sondervermögen handelt.
Investitionen in den Krieg haben stets Tod, Vertreibung und Elend unter den »Bekriegten« produziert. Aber es gab Zeiten, in denen die »Bekriegenden« auf Arbeitsplätze und die Aneignung des Vermögens der Bekriegten hoffen durften und entsprechend begeistert in den Krieg zogen. Diese Begeisterung gibt es nicht mehr. Zu sehr hat es sich rumgesprochen, dass in der kapital- und technologieintensiven Rüstungsindustrie nicht mehr viele Jobs zu haben sind. Zu sehr fragen sich die Leute in den Metropolen, weshalb Märkte und die dort gehandelten Vermögenswerte mit militärischer Gewalt erobert werden müssen, nachdem auch die ärmsten Länder Teil des Weltmarkts wurden und ihre Rohstoffe und Arbeitskräfte zu Niedrigpreisen anbieten. Nicht ganz zu Unrecht haben sie den Eindruck, dass die von Bundeskanzler Scholz verkündete Zeitenwende das Ende des für die Metropolen so günstigen Zugangs zu den Weltmärkten einläutet.
Die Gasumlage
Zuallererst wird dabei an Gasimporte aus Russland gedacht. Auch wenn sich vorher kaum jemand dafür interessiert hat – in den letzten Wochen ist es zu einem Gemeinplatz geworden, dass die Weltmarkterfolge der deutschen Wirtschaft in den letzten Jahren von billigem russischem Gas abhingen. Zuvor wurden dafür, je nach Standpunkt, die Hartz-Reformen Gerhard Schröders oder die Ausbeutung billiger Zulieferer im nahen und fernen Ausland verantwortlich gemacht.
Doch die Geschichte von den Gasimporten ignoriert nicht nur die Rolle billiger Arbeitskraft im Kampf um Weltmarktanteile, sondern auch andere Rohstoffe. Die meisten davon, insbesondere Öl, waren von den frühen 2000er Jahren bis zum Ende des von Ökonomen so bezeichneten Rohstoffsuperzyklus 2014 sehr teuer. In vielen Fällen deutlich teurer als heute. Außerdem ist die Geschichte blind für die Konkurrenzverhältnisse zwischen den westlichen Metropolen, deren Regierungen sich öffentlich stets als demokratische Einheitsfront gegen die Autokratien in anderen Teilen der Welt präsentieren.
Lange bevor russische Soldaten in der Ukraine einmarschierten kritisierten die USA, unterstützt von Großbritannien und Kanada, Importe aus Russland und boten Öl und Gas aus Nordamerika und der Nordsee an, obwohl die dortigen Reserven deutlich geringer sind als in Russland. Ebenso wie die Preise anderer Rohstoffe steigen die Preise für Öl und Gas seit dem Ende der ersten Corona-Lockdowns im Sommer 2020: drastisch in Nordamerika, explosionsartig in Europa einschließlich Brexit-Britannien. Seit der Verhängung der Sanktionen gegen Russland entwickeln sie sich auf beiden Seiten des Nordatlantik jedoch sehr ungleich: eine Ladung, die für 60 Mio. Dollar in den USA eingekauft wird, lässt sich in Europa für rund 275 Mio. Dollar verkaufen.
Auch ohne diese Extragewinne machen Energieproduzenten seit Beginn der Preissteigerungen für Gas, Öl und Kohle riesige Gewinne. Für Versorgungsbetriebe ist das ein Problem, weil sie die steigenden Beschaffungspreise nicht an ihre Kunden weitergeben können. Mittlerweile hat die Bundesregierung die Weitergabe solcher Preissteigerungen ermöglicht. Trotzdem hat sie obendrauf die sog. Gasumlage beschlossen. Sie soll die Verluste ausgleichen, die Versorgungsbetriebe infolge der Preis- und Profitsteigerungen der Energiekonzerne erleiden. Für die Versorger ist das eine Subvention, die die steigenden Gewinne der Energieproduzenten absichert.
Die Entlastungspakete
Nach geltendem EU-Recht sind die Strompreise an den Preis des jeweils teuersten, zur Stromerzeugung verwendeten Rohstoffs gebunden. Deshalb führt die Explosion der Gaspreise zu steigenden Strompreisen. Um populären Forderungen nach einer Übergewinnsteuer den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die Bundesregierung in ihrem letzten Entlastungspaket eine Strompreisbremse angekündigt. Die Gasumlage ist damit nicht vom Tisch und die Strompreisbremse wurde der EU zur Ausarbeitung konkreter Pläne zugeschoben.
Wenn daraus nichts wird, würde die Bundesregierung das im Alleingang machen. Im Klartext: Der medienwirksame Begriff Strompreisbremse wird in den Mühlen der EU-Bürokratie geschreddert bis sie in Vergessenheit gerät.
Die anderen zuletzt beschlossenen Maßnahmen folgen den Prinzipien der vorangegangen Entlastungspakete: Die Bezieher niedriger Einkommen werden mit Einmalzahlungen abgespeist, die deutlich hinter den erwarteten Preis- bzw. Kostensteigerungen zurückbleiben. Der Nutzen von Entlastungen, die formal allen zugutekommen, steigt mit dem Einkommen. Das war beim Tankrabatt so. In armen Haushalten steht aber kein spritfressender SUV vor der Tür.
In noch viel größerem Umfang gilt das für die jetzt vorgesehenen Steuersenkungen. Diese, übrigens schon im Koalitionsvertrag festgeschriebene, Maßnahme gegen die kalte Progression soll die privaten Haushalte insgesamt um 10 Milliarden Euro entlasten. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung werden 70 Prozent davon in die Taschen der oberen 30 Prozent der Einkommensbezieher fließen.
Ingo Schmidt ist Ökonom und leitet das Labour Studies Program der Athabasca University in Kanada.
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