Extragewinne für Energiekonzerne, Trostpflaster für die Bürger
von Violetta Bock
Krisen gehören zum Kapitalismus. Doch selten überlappen sie sich dermaßen und beschleunigen sich gegenseitig, dass Stabilität absehbar nicht vorstellbar ist. Pandemie, Inflation, Wirtschaftskrise, Krieg und Klimakatastrophe – da ist es selbst für die Herrschenden schwer, die Folgen in ihrem Sinne zu zügeln. Die Antwort der letzten Jahre war stets: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren.
Mit Ende des Dürresommers und Beginn der Heizperiode werden die Preissteigerungen zunehmend real. In Nordrhein-Westfalen verkaufen Bäcker schon ein Inflationsbrot, manche Universitäten überlegen gar, im Winter die Hörsäle zu schließen, statt sie der Öffentlichkeit zugänglicher zu machen. Stadtwerke sprechen von einem Strompreisanstieg von sechzig Prozent in 2023, noch größere Steigerungen werden befürchtet. Monopole reiben sich unterdessen die Hände. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit beziffert die Extragewinne der großen Energiekonzerne infolge des Kriegs in der Ukraine auf 113 Milliarden Euro allein in Deutschland (Öl: 38 Milliarden, Gas: 25 Milliarden). Betrachtet man den gesamten Mineralölmarkt, ergeben sich für dieses Jahr an die 1150 Milliarden US-Dollar Extraprofite.
Entlastungspakete: eine Flickschusterei
Andere Länder führen die Übergewinnsteuer und den Gaspreisdeckel ein, Spanien das Null-Euro-Ticket bis Jahresende, Schottland verbietet Mieterhöhungen. Und die deutsche Bundesregierung? Hier wird behauptet, so etwas wäre nicht EU-konform.
Das dritte Entlastungspaket setzt die Flickschusterei auf Kosten der Bevölkerung fort. Mit Steuerentlastungen werden mittlere und obere Einkommen bedacht, Einmalzahlungen gibt es für Rentner:innen und Studierende, die im letzten Paket gänzlich »vergessen« wurden. Es finden sich große Ankündigungen mit vielen Fragezeichen, wie bei der Strompreisbremse und dem ÖPNV-Ticket.
Es ist absurd, ein Ticket zwischen 49 und 69 Euro als Fortsetzung des 9-Euro-Tickets zu bezeichnen. Die soziale Wirkung war es, die das 9-Euro-Ticket so attraktiv machte. Nicht nur für Hartz IV-Empfänger:innen ist das angedachte Ticket nicht mehr zu bezahlen. Sie werden im dritten Paket lediglich auf das kommende Bürgergeld verwiesen. Statt der geforderten dreistelligen Erhöhung sind lediglich etwa 50 Euro mehr ab Januar zu erwarten. Auch hier lehnt Lindner sich zurück und schiebt die Verantwortung auf die Länder. Zum 1.Januar soll das neue Ticket kommen, Mitte Oktober sollen Details verabschiedet werden. Die Länder fordern mehr Geld vom Bund. Aber auch im Nahverkehr sind die Energiekosten gestiegen und der Ausbau des ÖPNV muss trotzdem vorangetrieben werden. Zudem stehen im neuen Jahr Tarifverhandlungen im ÖPNV an, sowohl bei Ver.di als auch bei der EVG. Von den groß angekündigten 65 Milliarden Euro im Entlastungspaket sollen die Länder 19 Milliarden Euro tragen. Noch ist daher unklar, ob sie im Bundesrat ihre Zustimmung erteilen.
Trostpflaster oder Bremse?
Statt einer Übergewinnsteuer oder einem Energiepreisdeckel, wie er inzwischen weit über Die LINKE und den DGB hinaus gefordert wird, hat sich die Ampel für eine Strompreisbremse für den Basisverbrauch entschieden. Auch hier: Details zu Höhe und Beginn sind unklar. Vorerst wird auf eine Einigung in der EU über eine Gewinnabschöpfung am Strommarkt gewartet. Nur wenn diese nicht zustande kommt, soll die Bremse eingeführt werden. Der Deckel wurde in eine Expertenkommission verschoben.
Neben der Wohngeldreform lockt Scholz die Gewerkschaften mit der Ermöglichung einer abgabenfreien Inflationsprämie von bis zu 3000 Euro. Sie sind sein Angebot an die anstehenden Tarifverhandlungen wie in der Metall- und Elektroindustrie, bei der Post und im öffentlichen Dienst. Das setzt den Kurs der Orientierung auf Einmalzahlungen wie schon in der Pandemie fort und soll die Industrie entlasten, den Unmut der Arbeiter:innen dämpfen und berechtige Lohnforderungen delegitimieren. Von einer Erhöhung der Löhne wird so, mehr oder weniger geschickt, abgelenkt.
Die Pakete kitten und beruhigen kurzfristig. Sie verwirren, während sich die nächsten Einschnitte ankündigen. Ohne die Eigentumsfrage zu stellen, allein zur Verhinderung von Spekulation, bleiben die Ursachen unangetastet.
Rechnungen vor dem Rathaus verbrennen
Während in Neapel Arbeitslose ihre Rechnungen vor dem Rathaus verbrennen und in anderen Ländern die Gewerkschaften zu Demonstrationen gegen die Preissteigerungen aufriefen – Großbritannien beerdigte wegen der Queen die angesetzten Streiks für September gleich mit – ist die Beteiligung an Protesten in Deutschland zahlenmäßig noch verhalten, jedoch steigend.
Auf ihre spezielle Lage machten etwa Bäckereien unter dem Motto »Alarmstufe Brot« in Hannover aufmerksam, Thüringer Krankenhäuser unter dem Motto: »Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Gefahr!« Mit 5000 Teilnehmer:innen erlangte der Auftakt der LINKEN am 5.September in Leipzig überregionale Beachtung, es gelang eine deutliche Abgrenzung nach rechts. An immer mehr Orten sowie überregional gründen sich Bündnisse. Noch gibt es kein gemeinsames Dach – auch weil Gewerkschaften und Sozialverbände auf bundesweiter Ebene noch die Distanz zur LINKEN wahren. Sie rufen für den 8.Oktober in über 30 Städten zum Aktionstag »Mietenstopp« auf. Mit »Genug ist genug« (wirsagengenug.de) wird unterdessen, angelehnt an die Kampagne in Großbritannien, der Versuch gestartet, einen gemeinsamen Anlaufpunkt zu schaffen.
Neben dem Heraushalten rechter Kräfte deutet sich eine Kernfrage für gemeinsame Proteste an: Wird es gelingen, die Energiefrage und ihre Rolle für die Gesellschaft offensiv zur Sprache zu bringen? Eine Öffnung für russisches Gas folgt der fossilen Logik, die auch die Ampel eingeschlagen hat, indem sie Kohlekraftwerken, der Öffnung weiterer LNG-Terminals und der auch technisch absurden Forderung nach Verlängerung der Atomkraftwerke das Wort redet. Proteste gegen die Inflation sollten daher die Kritik an der verschleppten Energiewende aufgreifen und gerade jetzt Menschen von der Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien in öffentlicher Hand überzeugen. Damit wird nicht nur strategisch der Schulterschluss zur internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung geebnet, sondern auch die Frage ins Zentrum gerückt: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Haben wir nicht genug davon, dass der Kapitalismus Gesellschaften von einer Krise in die nächste jagt?
Ökosozialismus oder Barbarei
Der Club of Rome hat einen neuen Bericht vorgelegt mit verschiedenen Zukunftsszenarien. 1972 wurde er bekannt durch die Studie Grenzen des Wachstums. Heute treibt ihn die Zerstörung der Ökosysteme und die Wahrung des sozialen Friedens um. Er beschreibt zwei Szenarien: Wird keine Kehrtwende eingeleitet, führe dies in den nächsten 50 Jahren zu dysfunktionalen Gesellschaften und der Zerstörung ganzer Weltregionen.
Es gäbe jedoch eine Alternative, um den Planeten vor der Klimakatastrophe zu retten. Im Kern fordern die Autor:innen drastische Schritte auf Kosten der Reichen. Zur Umverteilung des Reichtums seien international Kehrtwenden in den Bereichen Ernährung, Energie, Stärkung der Frauen, Bekämpfung von Armut und Ungleichheit notwendig. Sie kritisieren das herrschende ökonomische Modell. Für die Umprogrammierung der Ökonomie wenden sie sich jedoch an die Regierungen. Der Bericht stellt damit nicht ganz die Frage: »Ökosozialismus oder Barbarei?« Tatsächlich geht es aber genau um diese.
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