Der Fußball, die FIFA, Katar und das große Geld
von Volker Brauch
Es gab einmal eine Zeit, da war das Tragen von Werbebotschaften auf dem Trikot verpönt und verboten. Der DFB war aus moralischen Gründen dagegen, dass sich Spieler als laufende Litfaßsäulen in der Bundesliga präsentieren. 1973 wurde das gekippt.
Der seinerzeit klamme Bundesligaverein Eintracht Braunschweig schloss zum ersten Mal einen Werbevertrag mit der Getränkefirma Jägermeister für 100.000 Mark ab, und Spieler trugen diese Werbebotschaft dann auf ihrem Trikot. Andere Vereine zogen nach. Spätestens ab dem Zeitpunkt verlor der Fußball seine Unschuld. Heute sind Fußball und das große Geld, der Kommerz, untrennbar miteinander verwoben. Der Fußballsport in den Ligen ist eine Kapitalanlage und verspricht immensen Profit. Heute sind die am besten bezahlten Fußballstars in Werbespots von Konzernen und Unternehmen zu sehen. Pay-TV, der Verkauf von Fernsehrechten, elektronische Bandenwerbung in den Stadien, die Umbenennung von Stadien nach ihren Geldgebern wird oft als vollkommen normal begriffen. RB Leipzig spielt in der Red Bull-Arena und Bayern München in der Allianz-Arena für das Sponsering von Millionen Euro. Immer mehr internationale Spitzenspiele werden aus der Taufe gehoben, die als Dukatenesel für noch mehr Profit der Sponsoren sorgen sollen. Ölmilliardäre aus Nahost und Russland finanzieren europäische Spitzenclubs mit irrsinnigen Summen und ermöglichen den internationalen Menschenhandel der Fußballlegionäre. Der Fußball als Projektionsfläche der Sehnsüchte mitfiebernder Fans ist fest in der Hand des Kommerzes, Exzesse eingeschlossen. Der Fußball, in der Funktion von Brot und Spiele, der Massen von Menschen begeistern kann, ist in seiner kommerziellen Funktion aber nichts anderes als das Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse, und steht nicht im Gegensatz zu ihnen. Die exzessartige Kapitalisierung des Profisports entwickelt sich immer weiter in nicht nachvollziehbare Dimensionen. Saudi-Arabien bietet 300 Millionen Euro für Christiano Ronaldo, Katar legt fast eine Milliarde auf den Tisch, um den französischen Spitzenstar Mbappé beim Club Paris Saint-Germain zu halten.
Fußballweltmeisterschaften
Die Kommerzialisierung im Rahmen des Weltfußballverbands FIFA und Fußballweltmeisterschaften macht da natürlich keinerlei Ausnahme. Die Ausrichtung der Spiele ist ein regelmäßiges Gezerre zwischen den sich bewerbenden Nationen, begleitet von Korruptionsversuchen. Die Austragung dieser Megaspiele versprechen Wirtschaftswachstum, lukrative Investitionen und wirtschaftliche Expansion. Erinnert sei an das deutsche Sommermärchen 2006, dem ein deutlicher Korruptionsgeruch bis heute anhaftet. Erinnert sei beispielsweise auch an die WM 2014 in Brasilien. Mit dem Bau der Stadien und der Neugestaltung des Areals darum wurden seinerzeit zehntausende Kleinhändler vertrieben und schafften dort einen Ausnahmezustand. Die örtliche Wirtschaft profitierte so gut wie nicht von diesem Großevent. In den Stadien und auch davor war der Verkauf von Produkten lediglich den Großsponsoren erlaubt. Es kam zu Zwangsumsiedlungen der verarmten Bevölkerung aus ihren Slums um Stadien bauen zu können. 170.000 Menschen wurden aus ihren Behausungen vertrieben, zum Teil mit Polizeigewalt und ohne Vorwarnung. Ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Arbeitsunfälle mit Verletzten und Toten, mangelhafte Sicherheit auf den Baustellen sind nachgewiesen. Diese unmenschlichen Bedingungen sind heute dokumentiert und sollten die FIFA eigentlich dazu bewegen solche Vorkommnisse bei zukünftigen Sportveranstaltungen zu verhindern. Wenn aber Verträge mit Coca-Cola, McDonalds, Adidas, Budweiser und der FIFA abgeschlossen werden, die Profite in Milliardenhöhe bringen, schaut man gerne über solche „Belanglosigkeiten“ hinweg. Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen sind Teil des großen Geschäfts.
Die WM 2010 brachte dem Weltfußballverband beispielsweise einen Gewinn von 2,5 Mrd. Schweizer Franken.
Die FIFA, die WM 2022 und Katar
Für die beginnende Weltmeisterschaft ab dem 20. November (das Eröffnungsspiel wurde einen Tag vorverlegt), werden etwa 1,2 Millionen Fußballfans erwartet. 32 Teams in 64 Spielen in acht Stadien werden für vorweihnachtliche Stimmung sorgen. Der ursprüngliche Plan der FIFA hingegen sah 48 Nationalmannschaften vor, was einen zusätzlichen Millionenumsatz gebracht hätte. Die Vergabe des Austragungsortes Katar wurde im Dezember 2010 entschieden. Seit dem Zeitpunkt nehmen Kritik und Proteste nicht ab. Im Mai 2020 gab es New Yorker Enthüllungen, dass drei FIFA-Funktionäre gekauft wurden um Katar den Zuschlag zu geben. Die Whistleblowerin Bonita Mersiades legte offen, dass vor Vergabe aller Nationen versucht wurde Stimmen zu kaufen. Im gleichen Jahr legte das US-Justizministerium nach langen Ermittlungen Beweise vor, die belegen, dass Katar tatsächlich Schmiergelder gezahlt hat. Amos Adamu und Reynald Temarii, zwei FIFA-Exekutivmitglieder, wurden mit versteckter Kamera gefilmt, wie sie ihre Stimme vor der Abstimmung anboten. Nach Enthüllung wurden sie gesperrt. Der deutscher Journalist Jens Weinrich sagt:“ Im Grunde war da schon alles entschieden“. In Suiten der Hotels wurden am Vorabend der Abstimmung die Deals gemacht. Phaedra Almajid, seines Zeichens Mitarbeiter der Presseabteilung des katarischen Bewerbungskomitees, berichtet von Bestechungsmillionen an Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees.
Nicht nur am Vergabeprozess der WM wurde Kritik geäußert. Der arabische Kleinstaat Katar, einer der reichsten der Welt, ist nicht bekannt für Demokratie, Meinungsfreiheit und der Einhaltung von Menschenrechten. Frauen, lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) werden unterdrückt und diskriminiert.
Nach eigenen Kriterien der FIFA hätte die WM überhaupt nicht in Katar stattfinden dürfen. Der Weltverband hat sich 2017 selbst dazu verpflichtet „innerhalb der Organisation und bei all ihren Tätigkeiten ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen.“ Letztlich war der Profit doch mehr wert als die Moral.
Wanderarbeiter*innen und Migranten*innen arbeiten schon immer unter unwürdigen und ausbeuterischen Verhältnissen in Katar. Das ist seit langem bekannt und überhaupt nicht neu. Mit der Entscheidung 2010 potenzierte sich die Situation der Betroffenen allerdings. Die Ärmsten der armen Länder wie Pakistan, Bangladesch, Indien, Philippinen, und besonders Nepal bauen seit Jahren eine Infrastruktur auf, die neue Metrostationen, Flughäfen, circa 100 Hotels und sieben neue Stadien umfasst. Die geschätzten Baukosten belaufen sich auf 200 bis 300 Millionen. Damit ist die WM 2022 die teuerste der Fußballgeschichte. Die Bedingungen, unter denen hier gearbeitet wird, sind brutal und ähneln moderner Sklaverei. Die wirtschaftliche Abhängigkeit findet in einem System statt, das auf Menschenrechte keinen Wert legt. Immer wieder berichten am Bau Arbeitende von Ausbeutung, keinerlei gesundheitlichem Schutz bei Temperaturen bis zu 50 Grad, Lohndiebstahl, dem Zurückhalten von auszuzahlenden Löhnen über Monate, unbezahlten Überstunden, keinerlei freien Tagen, unwürdigen Massenunterkünften mit verdreckten Sanitäranlagen und verhinderbaren Arbeitsunfällen. In der Coronazeit wurden Bauarbeiter tagelang ohne Essensversorgung gelassen. Wer bei 40 Grad bis zur Erschöpfung arbeitet, hat ein hohes Risiko zu sterben. Diese Bedingungen führen immer wieder zu Todesfällen in einem Ausmaß, das beim Bau der Infrastruktur einer WM noch nicht erlebt wurde. Der englische „Guardien“ geht laut Angaben der Heimatländer mittlerweile von 6500 Toten seit 2010 aus. Amnestie International beziffert die Todesrate mit 15.000 Toten auf den Baustellen, wobei diese Statistik der letzten zehn Jahre alle Ausländer in Katar erfasst, also z.B. auch Touristen. Es handelt sich vorwiegend um körperlich gesunde Männer im Alter um 30 Jahre. Weder Katar noch die FIFA zahlen im Todesfall irgendeine Entschädigung. Der Totenschein, ausgestellt ohne genauere Untersuchung, weist i.d.R. Herz- Kreislaufversagen ohne weitere Angaben oder Suizid aus. Die katarische Regierung, und dem schließt sich FIFA-Boss Gianni Infantino an, beziffert lediglich drei Todesfälle als offizielle Zahl bei Arbeitsunfällen. Ohne Obduktionen, ohne Untersuchung oder Nachforschung wird hier bewusst nicht genau hingeschaut. Immer wieder kündigten die katarischen Behörden stärkere Kontrollen und Verbesserungen bei den Arbeitsverhältnissen an, was von der FIFA als “vorbildliche Arbeit“ eingestuft wird. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Ankündigungen und Versprechen häufig als heiße Luft, als Reformen auf dem Papier und PR. Die gesetzlichen Verbesserungen werden in der Praxis regelmäßig ausgehöhlt, umgangen und nicht kontrolliert.
Alles das ist dem Weltfußballverband bekannt, oder er hätte es wissen können. Es bestand von Anfang an die Möglichkeit mit der Vergabe und dem Abschluss von Sponsering-Verträgen Vorgaben und Bedingungen wie Menschenrechte an Katar zu stellen, die auch von der FIFA hätten kontrolliert werden müssen. Die Mentalität des „Geht uns nichts an“ und des Wegschauens bringt der FIFA-Präsident Infantino auf den Punkt, wenn er sagt: „Die FIFA ist nicht die Polizei der Welt oder verantwortlich für alles, was auf der Welt passiert“. Ein Scheinargument und die Ablehnung von Verantwortlichkeit. Ist es Zufall, dass er seinen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt mittlerweile nach Katar verlegt hat?
Die WM 2022 ist vieles, ein Fest der Völkerverständigung ist es nicht, auch wenn die FIFA, Coca-Cola, Adidas, Bayern München, Mc Donalds, Hyundai und der Emir von Katar im Verbund ein weltoffenes und makelloses Sportevent der schönen Bilder ausrufen.
Gegen diese schmutzigen Geschäfte regt sich Widerstand. In deutschen Stadien gab es immer wieder Transparente gegen die WM und gegen Gier und Profitdenken. Fans und Ultras der Fußballclubs sprechen sich öffentlich gegen Sportveranstaltungen dieser Art deutlich aus. Für viele klebt Blut am Pokal. Laut des Meinungsforschungsinstituts YouGov lehnen 48% der Befragten die Teilnahme der deutschen Nationalmannschaft in Katar ab.
Es gibt mittlerweile Kneipen, die keine Spiele dieser Weltmeisterschaft übertragen werden. Selbst Nationaltorwart Manuel Neuer, halbherzig und Jahre zu spät, wird bei der WM eine Armbinde tragen, die für Menschenrechte und Toleranz steht.
Nur wenn sich eine breite Öffentlichkeit, Sportvereine und Fans zusammen klar gegen Profit und die Pervertierung des Sports positionieren, und es nicht bei kleinen symbolischen Äußerungen belassen, gibt es die Chance der Macht des Geldes, Ausbeutermethoden, Korruption und der Omnipotenz der FIFA etwas entgegen zu setzen.
In Leipzig wollen Studenten ein Parallelturnier unter dem Namen „Amateur Sports Against Profit“ ins Leben rufen. 16 Amateur-Teams aus der ganzen Welt sollen parallel zu den Anstoßzeiten der WM gegeneinander spielen. Ein Bewusstsein, Sport ohne Kommerz und Profit zu verstehen, ist nicht tot zu kriegen.
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