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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2022

Eine neue alptraumhafte Bedrohung
von Klaus Meier

Die sog. IV. Generation von Atomkraftwerken ist weitaus gefährlicher als die bestehenden
Wenn man den aktuellen Umfragen Glauben schenken darf, ist es den Atombefürwortern in Deutschland dank eines medialen Trommelfeuers tatsächlich gelungen, wieder eine Mehrheit für den Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke zu erreichen. Es wäre eine Fehler, wenn die Ökologiebewegung dies auf die leichte Schulter nehmen würde.

Denn der neue gesellschaftliche Rückenwind für Atomtechnologien öffnet das Tor für neue kleine und modulare Reaktoren der sog. IV.Atomgeneration. Der englische Begriff lautet Small Modular Reactor (SMR). Insgesamt gibt es weltweit 70 verschiedene Mini-AKW-Konzepte in Vorbereitung, die von zahlreichen Startups und den dahinter stehenden Kapitalgebern entwickelt werden.

Die Befürworter verbreiten zahlreiche Mythen über die SMRs: Sie sollen den Brennstoff effizienter nutzen, angeblich sicherer sein, weniger Atommüll produzieren sowie konkurrenzfähig gegenüber Windkraft und Solarenergie sein. Da sie eine höhere Sicherheit hätten, könnten sie auch in die Nähe von Großstädten gebaut werden, wodurch auch ihre Wärmeenergie zum Heizen der Häuser nutzbar wäre.
Zu den Befürwortern der SMRs gehört der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Bereits im Februar 2022, also noch vor dem Ukrainekrieg, erklärte er, dass diese SMRs »völlig neu« seien und »mit der alten Kernenergie nichts zu tun« hätten. Man müsse sich mit ihnen beschäftigen. Auch sein Stellvertreter Carsten Linnemann erklärte: »Wir sollten … immer offen für alle Innovationen sein, auch im Bereich der Kernkrafttechnologie, anstatt immer gleich alles zu verteufeln.« Frankreichs Präsident Macron geht sogar schon weiter: Er will neben großen Kraftwerken auch modulare Mini-AKWs bauen lassen.
Die dem SMR zugrundeliegenden Konzepte werden als etwas völlig Neues verkauft. Tatsächlich gehen sie aber auf Reaktorprototypen und Ideen aus den 60er und 70er Jahren zurück. Weil sie damals als schwer beherrschbar eingeschätzt wurden, wurden sie aussortiert und es setzten sich stattdessen die Leichtwasserreaktoren durch, die z.B. in Deutschland und Frankreich überall gebaut wurden. Nun werden ausgerechnet ältere, noch gefährlichere Reaktorkonzepte wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt und zur angeblich fortschrittlichen IV.Reaktorgeneration erklärt.

Spiel mit dem Feuer: Kühlung mit flüssigem Natrium
Ein wichtiger Antreiber für die SMR-Technologie ist der milliardenschwere Microsoft-Gründer Bill Gates. Für eine Milliarde Dollar baut die von Gates gegründete Firma Terrapower zusammen mit dem japanisch-amerikanischen Konzern GE Hitachi im US-Bundesstaat Wyoming ein mit flüssigem Natrium gekühltes Miniatomkraftwerk.
Die von Gates und anderen favorisierten SMRs sollen mit flüssigem Natrium gekühlt werden. Der vor Selbstbewusstsein strotzende Multimilliardär ist von seiner Technologie völlig überzeugt: »Wir glauben, ein Modell entwickelt zu haben, bei dem alle wichtigen Probleme gelöst sind.« Er erklärt weiter, dass »Natrium die Energiebranche grundlegend verändern wird«.
Tatsächlich ist Natrium als Kühlmittel hochgefährlich, denn es entzündet sich an der Luft. Ein Natriumbrand kann den Reaktor schwer beschädigen und hochradioaktives Material freisetzen. Ein weiteres Problem entsteht, wenn das heiße Metall mit Wasser in Berührung kommt. Dann entsteht hochexplosiver Wasserstoff und eine stark ätzende Natronlauge. Beim Atomunfall in Fukushima war es Wasserstoff, der einzelne Anlagen des Kernkraftwerks explodieren ließ und zu einer erheblichen Freisetzung von radioaktivem Material führte.
Ein weiteres Problem ist die Wechselwirkung zwischen flüssigem Natrium und dem Kohlenstoff in den Reaktorwänden, die zu einer schnellen Versprödung und zu Rissbildungen in den Reaktorwänden führt.

Unbeherrschbar und teuer
Die Natriumtechnologie ist nicht neu und anders als Bill Gates behauptet, machte sie in der Vergangenheit nur Probleme. Ein Beispiel ist der schnelle Brüter Monju in Japan, bei dem es immer wieder zu Natriumaustritten kam. Er wurde 1995 in Betrieb genommen, lief dann aber aufgrund zahlloser Probleme nur 250 Tage. Auch in Frankreich wurde eine Natriumkühlung mit dem sog. Schnellen Brüter Superphenix versucht. Die Bauzeit dauerte elf Jahre und in der kurzen Laufzeit kam es immer wieder zu gefährlichen Natriumlecks. Die Anlage war schlicht unbeherrschbar und zu teuer. Deshalb wurde sie 1997 stillgelegt.
Natriumgekühlte schnelle Reaktoren haben im Vergleich zu den heute üblichen Leichtwasserreaktoren einen erheblichen Sicherheitsnachteil: Sie besitzen einen positiven Rückkoppelungseffekt. Dies bedeutet, dass bei einem fehlerbedingten Temperaturanstieg des Natriumkühlmittels automatisch auch die Leistung des Reaktors zunimmt. Dieser Effekt könnte ungebremst zu noch höheren Temperaturen und einem raschen Druckanstieg im Reaktor führen. Es besteht dann die Gefahr einer Zerstörung des Reaktors, die mit radioaktiven Freisetzungen verbunden wäre. Dass das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, zeigt die Katastrophe von Tschernobyl von 1986. Der damalige Atomunfall wurde durch einen positiven Rückkoppelungseffekt verursacht.

Flüssigsalzreaktoren
Ein weiteres AKW-Projekt aus der Hexenküche der Atomkraftdesigner sind Flüssigsalzreaktoren (Molten Salt Reactor – MSR). Das Konzept stammt aus den USA, wo in den 60er Jahren ein solcher Forschungsreaktor getestet wurde. In den MSR-Reaktoren wird der nukleare Brennstoff direkt in flüssiges, geschmolzenes Salz von 700 °C gegeben, das dann in einem schnellen Kreislauf durch den Reaktor fließt. Die heutigen Atomdesigner geben an, das Reaktorprinzip sei so vielversprechend und sicher, dass diese AKWs ohne Stahl- und Betonschutzhülle konzipiert werden. Das ist der wesentliche Grund, warum sie kostengünstiger als heutige Leichtwasserreaktoren sind.
Bisher sind alle MSRs nur Konzeptentwicklungen. Aber China will bereits 2024 einen ersten Prototyp in Betrieb nehmen. In den USA gaben 2021 mehrere Unternehmen zusammen mit der US-Energiebehörde bekannt, dass sie je einen Testreaktor in Tennessee und in Idaho bauen wollen. Mit dabei ist erneut Bill Gates’ Unternehmen TerraPower.
Im Gegensatz zu Reaktoren mit festem Brennstoff entstehen bei Salzschmelzereaktoren die radioaktiven Spaltprodukte nicht fest eingeschlossen in den Brennstäben, sondern in dem flüssigen Salzschmelzekreislauf. Dazu gehören auch gasförmige Radionuklide wie Xenon-135. Diese Gase müssen aus dem heißen Flüssigsalzkreislauf mit Hilfe der Einleitung eines kontinuierlicher Stroms von Heliumgasblasen entfernt werden. Das ist schwierig und teuer. Es besteht dabei die Gefahr, dass größere Gasmengen freigesetzt werden.
Xenon-135 zerfällt zwar schnell, aber daraus entsteht dann Cäsium-137, das zu den besonders umweltschädlichen Radionukliden gehört. Es lagert sich konzentriert auf dem Boden und anderen Oberflächen ab. Mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren ist Cäsium-137 weitgehend verantwortlich für die anhaltende radioaktive Kontamination in den Regionen um Tschernobyl und Fukushima. Um die Gefahr einschätzen zu können: Allein in der normalen Betriebszeit von zwei Monaten könnte ein Salzschmelzereaktor mit 1000 Megawatt Leistung etwa so viel Cäsium-137 aus dem Kern freisetzen wie die gesamte Menge, die durch den Unfall in Fukushima in die Umwelt entlassen wurde.
Ein weiteres problematisches Radionuklid ist das gasförmige Tritium. Es ist sehr mobil und kann nicht wirksam aufgefangen werden. Selbst mit einem kostspieligen Abgaskontrollsystem würden die MSR im Normalbetrieb unweigerlich weit mehr Tritium und andere Radioisotope in die Umwelt abgeben als die heutigen Reaktoren mit Feststoffbrennstoff.

Nur wenige Minuten bis zur nuklearen Katastrophe
Kritisch beurteilt werden muss bei einem Schmelzsalzreaktor, dass die geschmolzenen Salze dauerhaft auf einer hohen Temperatur (über 600 °C) gehalten werden müssen, damit sie im flüssigen Zustand bleiben. Wenn Bereiche des Fluids zu kalt werden, besteht die Gefahr, dass das Salz auskristallisiert und Rohre verstopft. Das würde den Kühlmittelfluss blockieren und zu einem gefährlich schnellen Temperaturanstieg im Reaktor führen. Viel Zeit zum Verhindern einer Katastrophe bliebe nicht.
Eine französische Studie weist darauf hin, dass es im Fall eines Stromausfalls oder eines anderen Unfalls, der mit einem Verlust der Wärmeabfuhr verbunden ist, nicht länger als acht Minuten dauern würde, bis der Kern sich auf 1200 °C aufheizt. Bei dieser Temperatur würde es aber bereits zu einem Versagen der metallischen Strukturmaterialien des Reaktors und einer katastrophalen Freisetzung der gefährlichen Radionuklide in die Umwelt kommen.
Die neuen Reaktorkonzepte der IV.Generation beinhalten unter dem Strich ein deutlich größeres Sicherheitsrisiko als die heute im Einsatz befindlichen Leichtwasserreaktoren. Diese Technologien sollten von der Ökologiebewegung kontinuierlich kritisch bewertet werden, damit uns nicht in wenigen Jahren leichtfertige Politiker vom Typus Friedrich Merz damit beglücken.

Der Autor ist Mitglied im Netzwerk Ökosozialismus.

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