Queere Menschen in Deutschland sind kaum mehr sicher
von Ravi T. Kühnel
Der Tod von Malte C. nach einem Angriff auf dem Christopher Street Day in Münster. Kurz darauf eine Gruppe Jugendlicher, die in Bremen eine Transfrau zusammenschlugen. Ein Schlag mit der Flasche in Frankfurt. Angriffe auf queere Menschen auf den CSDs in Dresden, Dortmund und Ulm. Das sind nur die bekannten queerfeindlichen Angriffe der ersten beiden Septemberwochen. Die Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland nimmt massiv zu. Wir wären selbst schuld, heißt es im Netz. Wie umgehen mit dem Hass?
1051 Fälle von Hasskriminalität gab es in Deutschland im Jahre 2021. Davon sind 190 Gewalttaten. Die Dunkelziffer ist viel höher. Hasskriminalität sind für queere Menschen wie mich Alltag. Angezeigt werden die wenigsten, erstens, weil sie selten zur Anzeige kommen, zweitens weil von der Polizei selbst Queerfeindlichkeit ausgeht. In Deutschland bestehen außerdem eklatante Forschungslücken in bezug auf Hasskriminalität gegen LGBTQIA-Personen. Ihr Ausmaß, die Erscheinungsformen und die Hintergründe werden nicht untersucht. Auch nicht, wie Polizei und Justiz mit Fällen von Angriffen auf LGBTQIA umgehen. Dies gilt es dringend zu ändern, bisher scheint das Thema für die Innenministerien von Bund und Ländern nicht relevant zu sein.
Der Fall Malte C.
Am Rande des CSD Münster belästigte ein zunächst unbekannter junger Mann, Nuradi A., zwei Frauen mit homofeindlichen Äußerungen, es fielen Aussagen wie »lesbische Hure«. Malte C., ein 25jähriger trans Mann, bekam dies mit und eilte zu Hilfe. Er bat den Täter freundlich, die Beleidigungen zu unterlassen. Daraufhin schlug dieser Malte mit der Faust ins Gesicht. Malte verlor das Gleichgewicht, woraufhin der Täter erneut zuschlug. Malte fiel zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf den Asphalt auf. Wenige Tage später erlag er seinen Verletzungen. Nuradi A. wurde am Tag des Todes von Malte von der Polizei gefasst und sitzt seitdem in U-Haft. Gegen ihn wird wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Der 20jährige Täter hat russische Staatsbürgerschaft und lebt seit acht Jahren mit seiner Mutter in Deutschland. Sein Vater lebt in der queerfeindlichen russischen Teilrepublik Tschetschenien. Sein Hobby ist Boxen. Nuradi A. soll laut Focus vor dem Schlag Malte C. als trans Mann erkannt haben und rief: »Du bist kein richtiger Mann!« Die Tat geschah daher aus transfeindlichen Motiven.
Kurz danach geschah in Bremen folgendes: Eine 57jährige trans Frau wurde in einer Straßenbahn von einer 15köpfigen Gruppe von Jugendlichen und Kindern zunächst als »Scheiß Transe« beschimpft, sie rissen ihr die Perücke vom Kopf. Anschließend schlug ein Jugendlicher ihr mehrmals mit den Fäusten ins Gesicht, angefeuert von seinen Begleitern. Erst als andere Fahrgäste eingriffen, ließen die Täter ab. Die 57jährige erlitt multiple schwere Gesichtsverletzungen. Aus der Tätergruppe wurden bereits vier Kinder im Alter von 12 und 13 gefasst und befragt. Derjenige, der zuschlug, ist weiterhin nicht ermittelt.
Reaktionen im Netz
Vor allem nach dem Tod von Malte C. gab es im Netz rege Anteilnahme. Auch an den Solidaritätskundgebungen und Demonstrationen beteiligten sich Menschen aus der Zivilgesellschaft. Die Bundesregierung brüstet sich damit, mehr gegen Queerfeindlichkeit zu tun, bleibt jedoch unkonkret. Ein anderer, nicht gerade kleine Teil der Gesellschaft äußert sich im Netz jedoch so: »Sind sie ja selbst dran schuld. Diese ständige Sichtbarkeit erhöht doch den Hass. Ständig muss ich was davon lesen.«
Diese Aussagen kommen meist von weißen, privilegierten, heterosexuellen Cis-Männern. Der Teil der Gesellschaft, der als einziger nicht auf Grund von Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe oder Identität systematisch unterdrückt wird. Marginalisierte Gruppen haben den Mund zu halten, weil es unbequem für den weißen Mann ist. Weil sie um ihre Privilegien fürchten müssen. Es ist eine höchst patriarchalische Aussage. Genau dieselbe Forderung stellten Männer auch zu Zeiten der großen Frauenrechtsbewegungen und man hört sie in bezug auf Gewalt gegen schwarze Menschen. Doch wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen, wir werden nur lauter.
Was tun?
Queerfeindlichkeit lässt sich nur gesamtgesellschaftlich und auf verschiedenen Ebenen langfristig bekämpfen. Dies beginnt schon sehr früh. Bereits in der Erziehung müssen dafür die Grundsteine gelegt werden. Indem wir ein Bewusstsein schaffen für andere Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten. Es gibt mittlerweile viele großartige Kinderbücher, die nicht nur eine weiße, cis- und heteronormative Welt zeigen.
Wir sollten unsere Kinder nicht in starre Geschlechterrollen pressen. Und wir sollten sie selbst entscheiden lassen, womit sie spielen wollen. Stattdessen wird ihnen das zumeist vorweggenommen. Jungs bekommen Dinos und Autos, Bücher über Feuerwehrmänner. Mädchen Puppen und Plastikküchen und Bücher über Liebe und Prinzessinnen.
Diese patriarchalische Erziehung ist etwas, das wir verlernen müssen, und das ist aktive Arbeit. Ein Kind muss lernen, es gibt nicht nur heterosexuelle Liebe, Gender ist ein Spektrum. Wie soll es sich sonst je mit seiner Geschlechtsidentität auseinandersetzen können? So viele trans Kinder leiden und töten sich teils sogar, weil sie sich so falsch fühlen, so unpassend. Weil sie die Existenz einer Transidentität nicht kennen. Nie aufgeklärt wurden, über Sex und Gender. Homosexuelle Kinder, die Angst vor ihren sexuellen Neigungen haben, weil nie darüber geredet wird, dass es nicht nur Liebe zwischen Mann und Frau gibt.
Queerfeindlichkeit beginnt in unserer Sprache. Identitäten zwischen Mann und Frau sind sprachlich unsichtbar. Wir differenzieren sprachlich noch nicht einmal zwischen Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (soziales Geschlecht). Gender existiert in unserer Sprache schlicht nicht, das macht es umso schwerer, es kulturell und gesellschaftlich zu akzeptieren. Sprache hat unglaublich viel Macht, wir sollten diese nutzen!
Wir brauchen rund um das Thema Queer mehr Aufklärung. Bestehende Beratungsstellen sollten staatlich besser unterstützt werden, der Aufbau neuer gefördert. Queere (Jugend-)Zentren gehören unterstützt, statt sie wie in Köln zu kürzen. Queerfeindliche Hasskriminalität muss besser erfasst werden. Wir benötigen mehr empirische Daten über Hintergründe, Ausmaß und Erscheinungsbilder von LGBTQIA*-feindliche Taten. Der Umgang von Polizei und Justiz mit diesen gehört unabhängig untersucht.
Angestellte dieser Institutionen müssen besser geschult werden. Ärzt:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen und Erzieher:innen müssen Kenntnis über Sexualitäten und verschiedene Geschlechtsidentitäten haben und geschult sein im Umgang mit diesen. trans Personen verdienen ein Recht auf medizinische Versorgung und menschenwürdige Gesetze.
Lasst uns gemeinsam die Ketten des Patriachats zerbersten. Alle Menschen verdienen Grundrechte und Gleichberechtigung.
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