Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2022

Die Anbiederung an die Rechte zahlt sich nicht aus
von Kjell Östberg

Das Ergebnis der Parlamentswahlen löst ein Erdbeben aus
Bei den Wahlen zum schwedischen Riksdag am 11.September verloren die Sozialdemokraten die Regierungsmacht. Sie werden durch eine rechtsgerichtete Regierung aus Moderaten (Konservativen) und Christdemokraten, möglicherweise auch Liberalen ersetzt werden, die sich um die aktive Unterstützung der rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Schwedendemokraten bemüht und dabei völlig auf diese angewiesen ist.

Für die Wähler:innen war das wichtigste Thema die Gesundheitsfürsorge und die Klimakatastrophe. Doch der aggressiven Rechten gelang es angesichts einer passiven, ideenlosen Sozialdemokratie, den Wahlkampf mit Diskussionen über Kriminalität zu dominieren, einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität zu behaupten und die Auseinandersetzung über die Klimakrise zu vermeiden, stattdessen für den Ausbau der Atomkraft zu werben.
Die Rechte hat ein Bild gezeichnet, wonach Schweden von einer unkontrollierten Welle der Gewalt heimgesucht werde. Tatsächlich ist die Kriminalität, einschließlich der Gewaltkriminalität, in den letzten Jahrzehnten im allgemeinen zurückgegangen. In einem Bereich ist jedoch ein beträchtlicher Anstieg zu verzeichnen, nämlich bei den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kriminellen Banden, vor allem im Zusammenhang mit Drogen. Hunderte von Menschen wurden dabei getötet, die meisten von ihnen Bandenmitglieder, aber auch Schaulustige. Dies wurde als Vorwand genutzt, um deutlich härtere Strafen und Repressalien zu fordern.
Das Ergebnis ist ein Rechtsruck. Er ist vor allem innerhalb des rechten Blocks zu beobachten. Dessen Wahlerfolg ist ausschließlich den Schwedendemokraten (SD) zuzuschreiben. Die anderen rechten Parteien haben alle Stimmen verloren. Die SD hingegen legten um rund drei Prozentpunkte zu und sind mit Abstand die größte Partei auf der Rechten. Eine kommende bürgerliche Regierung ist vollständig von ihrer Unterstützung abhängig.
Das bedeutet nichts weniger als ein Erdbeben in der schwedischen Politik. Lange Zeit herrschte, nicht zuletzt auf der Linken, die Auffassung, der Erfolg der Schwedendemokraten sei vor allem darauf zurückzuführen, dass unzufriedene Lohnabhängige, die eigentlich noch Sozialdemokraten sind, aus Protest für die SD stimmten und mit einer etwas radikaleren sozialdemokratischen Politik schnell zurückgewonnen werden könnten. Das ist eine grobe Unterschätzung der derzeit erfolgreichsten politischen Partei Schwedens.

Der Erfolg der Partei
Die SD haben eine kompetente und entschlossene Führung, die ihre Wurzeln in rassistischen und faschistischen Bewegungen hat. Sie hat systematisch eine starke Partei aufgebaut. Nicht zuletzt ist es ihr gelungen, die kommunalen und staatlichen Zuschüsse, die politische Parteien erhalten, für sich zu nutzen. Die Schwedendemokraten sind auch die erfolgreichste aller Parteien, in der Nutzung der sozialen Medien und bei der Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit als der wichtigsten verbindenden Botschaft . Dies hat ihnen nicht zuletzt einen wachsenden Einfluss unter jüngeren Menschen verschafft.
Die Wahlerfolge der Partei sind beachtlich. Bei ihrem Parlamentsdebüt im Jahr 2010 erhielt sie 5,7 Prozent. Seitdem ist die Unterstützung auf 12,9 Prozent, 17,5 Prozent und in diesem Jahr auf 20,6 Prozent gestiegen. Versuche der Linken, die Wähler:innen der SD für sich zu gewinnen, sind gescheitert. 86 Prozent ihrer Wähler:innen aus dem Jahr 2018 haben in diesem Jahr wieder für die Partei gestimmt, eine einzigartig hohe Parteitreue. Unter männlichen Lohnabhängigen sind sie seit langem die stärkste Partei. Aber auch große Gruppen von Unternehmern und, nach der letzten Wahl, auch von Landwirten wählen SD.
Die Partei ist politisch homogen. Die überwiegende Mehrheit ihrer Wähler:innen bezeichnet sich selbst als rechtsgerichtet und identifiziert sich stark mit dem nationalkonservativen und fremdenfeindlichen Credo der SD. Die Verbindungen der Partei zu rassistischen und faschistischen Gruppen sind für sie kein Problem.
Bis zur Wahl 2018 gab es auch innerhalb der schwedischen Bourgeoisie eine Grenze des Anstands gegen eine Zusammenarbeit mit einer fremdenfeindlichen und rechtsextremen Partei. Diese Linie ist längst überschritten worden. Zuerst gelang es die Wirtschaft, die Schwedendemokraten dazu zu bringen, eine weitere Privatisierung des schwedischen Sozialstaats zu akzeptieren. Dann dauerte es nicht lange, bis die Vorsitzende der Christdemokraten, Ebba Busch, die Möglichkeit einer organisierten parlamentarischen Zusammenarbeit eröffnete. Schnell verschwanden alle roten Linien.
Das Ergebnis sehen wir jetzt. Heute haben die SD die traditionellen bürgerlichen Parteien überflügelt und sind jetzt die dominierende rechte Partei. In allen Regionen außerhalb der Großstädte erreichen sie in der Regel 25–30 Prozent der Stimmen und übertreffen damit die Moderaten, die führende bürgerliche Partei der letzten 45 Jahre, um bis zu zehn Prozentpunkte. Sie haben nun außerordentlich gute Möglichkeiten, die Politik der neuen Regierung zu beeinflussen, auch wenn sie ihr wahrscheinlich nicht formell beitreten werden.

Sozialdemokratische Anpassung
Die Sozialdemokraten haben die letzten acht Jahre regiert, obwohl die bürgerlichen Parteien (inkl. der SD) eine Mehrheit im Parlament hatten. Dies war möglich, weil zwei bürgerliche Parteien, die Liberalen und die marktliberale Zentrumspartei, ein politisches Abkommen mit den Sozialdemokraten getroffen hatten, u.a. um die SD von politischem Einfluss fernzuhalten.
In diesem Abkommen machten die Sozialdemokraten weitreichende Zugeständnisse und akzeptierten unter anderem niedrigere Steuern für Spitzenverdiener, weniger Arbeitsplatzsicherheit für abhängig Beschäftigte und die Einführung von marktgesteuerten Mieten. Die sozialdemokratische Regierung hat außerdem eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Einwanderung einzudämmen und die schwedische Flüchtlingspolitik auf das niedrigste Niveau in der EU zu bringen. Die Grenzüberwachung wurde verschärft, die Familienzusammenführung erschwert, und Flüchtlinge können nicht mehr mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung rechnen.
Im diesjährigen Wahlkampf verfolgten die Sozialdemokraten die Taktik, ihr Programm im wesentlichen dem der Rechten anzupassen. Themen wie die Klimakrise oder die Verteidigung des Sozialstaats, die formal Teil des Wahlprogramms der Sozialdemokraten waren, spielten höchstens eine untergeordnete Rolle. Die Partei versuchte vielmehr, die Rechten mit Forderungen nach härteren Strafen noch zu überbieten – eine ständig wiederkehrende Botschaft war, die Regierung habe doch rund 70 Gesetze in dieser Richtung vorgelegt. Sie schlug Sondergesetze für »nichtnordische« Menschen vor und akzeptierte die neue Atomkraft.
Ihre bemerkenswerteste Kapitulation war jedoch die Entscheidung, die 200jährige offizielle schwedische Neutralitätspolitik aufzugeben und den Beitritt zur NATO zu unterstützen. Dabei war die erste Reaktion der Sozialdemokraten nach dem 24.Februar gewesen, ein schwedischer NATO-Beitritt würde die sicherheitspolitische Lage in Nordeuropa weiter destabilisieren.
Nach einer intensiven Kampagne der rechten Parteien gab die Parteiführung dem Druck jedoch nach, ohne die Mitglieder zu fragen. Ihr Hauptgrund war sicherlich, dass sie das Thema aus dem Wahlkampf raushalten wollte, und das ist ihr gelungen. Der NATO-Beitritt und der Krieg in der Ukraine wurden im Wahlkampf völlig ausgeblendet.

Stimmenverluste der Linkspartei
Trotz eines Stimmenzuwachses von 28,3 auf 30,4 Prozent fuhren die Sozialdemokraten ihr zweitschlechtestes Ergebnis in 111 Jahren ein. Der Stimmenzuwachs lässt sich dadurch erklären, dass es auch innerhalb des linken Blocks einen Rechtsruck gab. Die Linkspartei erzielte ein mittelmäßiges Ergebnis und fiel von 8 auf 6,7 Prozent. Deren Parteiführung führte eine amerikanisch inspirierte Kampagne rund um den Parteivorsitzenden und versuchte, sich als die neuen Sozialdemokraten zu präsentieren. Besonderes Augenmerk wurde auf den Versuch gelegt, die von den Schwedendemokraten angezogenen »Arbeiter in den Kleinstädten« zurückzugewinnen.
Deshalb spielte die Linkspartei Themen wie die Notwendigkeit, zur Rettung des Klimas den Lebensstil zu ändern, herunter. Sie unterstützte den Vorschlag der bürgerlichen Parteien, den Benzinpreis stark zu senken. Außerdem forderte sie, einer eventuellen rot-grünen Regierung beizutreten, auch dann, wenn ihr die neoliberale Zentrumspartei angehören würde – das war die einzige bürgerliche Partei, die darauf bestand, nicht mit den Schwedendemokraten zusammenzuarbeiten. Infolgedessen verlor die Linkspartei vor allem bei den Arbeitenden, die sie zu erreichen versuchte, während die Schwedendemokraten ihren Erfolg in diesem Umfeld fortsetzten.
Andererseits hat die Linkspartei, ebenso wie die Sozialdemokratie, in den größeren Städten gut abgeschnitten. Schweden ähnelt somit vielen anderen europäischen Ländern mit roten Großstädten und einem blauen (oder blau-braunen) Land.
Die Kräfte, die heute vor allem Widerstand gegen die rechte Welle leisten, gehören zu den Bewegungen, die gegen Klimakrise, Rassismus, sexuelle Unterdrückung und soziale Sparmaßnahmen kämpfen. Einige Gewerkschaften, vor allem im Bereich der Wohlfahrt und der sozialen Dienstleistungen, haben sich ebenfalls radikalisiert.
Heute steht die Linke vor der gewaltigen Aufgabe, mit diesen Kräften eine breite Gegenoffensive aufzubauen, in deren Mittelpunkt die Klimakrise und die Verteidigung des Sozialstaats stehen.

Quelle: https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7822

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