Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2022

Gewinnt die extreme Rechte den Kampf um die Krisenlösungen?
von Alexander Jüschke

Die AfD will als »rechte Bewegungspartei« aus den steigenden Lebenshaltungskosten politischen Profit schlagen. Völkisch-nationalistische Kräfte geben die Richtung vor.

Mit dem relativ schnellen Abflauen der Demonstrationen gegen die Covid-19-Maßnahmen im Frühjahr hatten in der AfD nur die wenigsten gerechnet. Die Partei verlor ihr zeitweise wohl wichtigstes Mobilisierungsthema und vermochte es kurzfristig kaum noch, sich als Opposition gegen die Ampelkoalition zu präsentieren. Die steigenden Energiepreise verschaffen ihr nun unverhofft ein neues Thema.
Die Haltung der AfD zu den Protesten gegen die Pandemiemaßnahmen war nicht ganz einheitlich gewesen. Die fundamental-oppositionelle Rhetorik der »Querdenker« ging einigen AfD-Bundestagsabgeordneten zu weit; einige sahen in den Urhebern gar »staatsfeindliche Elemente«.
Die Differenz zwischen Teilen der AfD und der Querdenker-Bewegung machte die Junge Freiheit (JF) Ende November letzten Jahres selbst zum Thema, als sie einen zustimmenden und einen ablehnenden Kommentar zur Impfpflicht veröffentlichte. In einem davon sprach sich Karlheinz Weißmann – völlig im Gegensatz zum Rest der Neuen Rechten – für eine Impfpflicht aus, was er mit staatspolitischen Erwägungen begründete.
Weißman ist der Gründer des Instituts für Staatspolitik (IfS), das mittlerweile von Götz Kubitschek geleitet wird. Im Unterschied zu den Kritiker:innen einer angeblichen »Gesundheitsdiktatur« befürwortete er diese Maßnahme als das Instrument eines starken und durchregierenden Staates, der zur Verteidigung der staatlichen Ordnung in Pandemie-Zeiten die »Volksgesundheit« gewährleisten müsse (JF 48/21).
Solche Positionen blieben in der AfD und in ihrem Umfeld aber eindeutig eine Ausnahme. Weißmanns Plädoyer für einen gesetzlich verpflichtende Impfung gegen Covid-19 stand in deutlichem Gegensatz zur allgemeinen AfD-Linie. Götz Kubitschek reagierte fast entschuldigend auf den Kommentar seines ehemaligen Mitstreiters. Als verbeamteter Lehrer habe dieser die Rolle eines »Staatsdieners« eingenommen, der »Staat, Institutionen, Ordnung, Gehorsam und die Bereitschaft zur Unterordnung auch dann geschützt und gefördert sehen will, wenn sich all das gegen das Volk gekehrt hat«. Zudem habe Weißmann nicht verstanden, dass es sich bei den coronabedingten Maßnahmen inklusive des Lockdowns in Wahrheit um eine Art Testlauf gehandelt habe. So solle mithilfe von Angst sowie der Denunziation von Ungeimpften das »Volk« immer weiter gespalten werden, um es schließlich effektiver als zuvor im Sinne des Staates und der Eliten zu konditionieren.
Kubitschek interpretierte die Corona-Proteste als Ausdruck des allgemeinen Volkswillens und als politischen »Türöffner«. Mit ihrer Hilfe könne die AfD als mobilisierende Bewegungspartei in jene Gesellschaftsschichten vorstoßen, die kritisch gegenüber Lockdown sowie der Impflicht eingestellt sind und die durch den Staat geschaffenen »Ausnahmebedingungen« ablehnen. Dahinter steht die zutreffende Ansicht, dass die AfD nur erfolgreich sein kann, wenn sie weiterhin Ängste und allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu schüren vermag. Deshalb müsse sich die Partei als Teil einer »Mosaik-Rechten« umso mehr darum bemühen, dem »Volkszorn« eine Stimme zu geben und die »außerparlamentarische Vernetzung« zu intensivieren, sprich: die Zusammenarbeit mit extrem rechten Gruppen sowie mit den im Zuge der Corona-Krise entstandenen Bürgerinitiativen.

Auf der Suche nach einem zugkräftigen Thema
Insgesamt blieb das Mobilisierungspotenzial gegen die Ampelregierung allerdings begrenzt, seit im März die Corona-Maßnahmen vorerst beendet wurden. Die AfD versuchte daraufhin, die niederländischen »Bauernproteste« als neues Thema für sich zu erschließen. Der Unmut der Landwirte richtete sich vor allem gegen die neuen EU-Umweltgesetze, durch die die Bodenbelastung verringert werden soll, außerdem gegen geringe Preise für ihre Erzeugnisse.
Der agrarpolitische Sprecher und AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka sagte im Juli voraus, dass auch in Deutschland solche Demonstrationen zu erwarten seien. Nach dem Vorbild der Niederlande seien die Landwirte dazu bereit, mit ihren Traktoren Verkehrswege wie beispielsweise Brücken zu blockieren. Angesichts der Notlage vieler Menschen in der Landwirtschaft und dem ständigen »Bauern-Bashing« sei es wichtig, sich als Partei mit deren Forderungen zu solidarisieren und ihre Anliegen öffentlich zu unterstützen.
Im Juli reisten dann einige Mitglieder der Jungen Alternative (JA) mehrmals in die Niederlande, um sich einen Eindruck vom dortigen Protest zu verschaffen. Mit dabei waren auch Personen des Medienteams »Filmkunstkollektiv« unter der Führung von Simon Kaupert, einem ehemaligen NPD-Mitglied, das der Identitären Bewegung (IB) nahesteht.
Allerdings blieben die Protestaktionen in den Niederlanden regional begrenzt und konnten auch keine größere Wirkung in Deutschland erzielen. Deshalb verlor die AfD schnell das Interesse an der Bewegung, obwohl sie parteiintern von einigen als Nachfolger der antisemitisch-völkischen »Landvolkbewegung« in Schleswig-Holstein aus den 1920er Jahren gehandelt wurde, die dem Nationalsozialismus den Weg bereitete.
Dass die AfD so schnell das Interesse an den Bauern verlor, lag vor allem am Krieg in der Ukraine. Dessen ökonomische Folgewirkungen wurden im Sommer auch in Deutschland spürbar, weil die Sanktionspolitik Deutschlands gegenüber Russland in Verbindung mit der hohen Inflation insgesamt zu einer erheblichen Verteuerung der Energiepreise führte. Die Partei erkannte die Gelegenheit, den Unmut darüber auszunutzen, insbesondere die weit verbreitete Angst des Mittelstands, ins Prekariat abzusteigen.

Gegen Sanktionen gegen Russland
Als Antwort auf die Krise forderte die AfD, die Gas-Pipeline Nord Stream 2 zu öffnen, und kritisierte ansonsten vor allem den Umgang mit Russland, dem gegenüber sie jegliche Sanktionen ablehnt.
Die Forderung, Nordstream 2 zu öffnen, brachte die Identitäre Bewegung gewohnt spektakulär zum Ausdruck: Sie besetzte unter der Leitung des österreichischen IB-Sprechers Martin Sellner Ende August einen Terminal der Anlandestation in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern, ausgestattet mit Werkzeug und Rauchtöpfen.
In Erwartung eines »heißen Herbsts« setzte die AfD in Zusammenarbeit mit den »Freien Sachsen« auf eine Art Querfront-Strategie. Sie versuchten Anfang September in Leipzig, eine Kundgebung der Partei Die LINKE zu unterwandern, und kündigten zeitgleich einen eigenen Protestzug an. An dieser Demonstration nahmen auch einige AfD-Vertreter teil. Die Freien Sachsen veröffentlichten im Internet eine Einladung, in der neben dem Szene-Rechtsanwalt Martin Kohlmann auch die LINKEN-Politiker Sören Pellmann und Gregor Gysi als Redner angekündigt wurden. Auf diese Weise sollten mehr Menschen als bisher erreicht und die Grenzen zwischen rechts und links aufgeweicht werden. Allerdings verhinderten linke Demonstranten mit einer Vielzahl von Blockaden an diesem Tag den Aufmarsch, der nach kurzer Zeit wieder aufgelöst werden musste.

›Mosaik-Rechte‹ inklusive Rechtsextreme
Ganz anders Anfang Oktober im thüringischen Gera: An einem Montagabend gingen mehrere tausend Menschen unter dem AfD-Motto »Deutschland zuerst« gegen die Regierungspolitik auf die Straße. Die Demonstrant:innen kritisierten nicht nur die Preissteigerungen, sondern in gleichem Maß auch die Sanktionen gegen Russland, die staatliche Energiepolitik und die Covid-19-Maßnahmen. Die Demonstration zeigte, wie verschiedene rechte Milieus sich einander annähern und die AfD selbst vor der Beteiligung neonazistischer Kräfte (etwa aus NPD, »Freie Sachsen«, »Dritter Weg«) nicht zurückschreckt.
Demzufolge störte es offenbar nur sehr wenige, dass neben hochrangigen AfD-Politikern wie Björn Höcke oder dem Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer auch der Parteivorsitzende der Freien Sachsen, Martin Kohlmann, als Redner auftrat – ein veritabler Neonazi. Dies galt ebenfalls für die Thüringer AfD, die trotz des Unvereinbarkeitsbeschlusses ihrer Partei offenbar kein Problem darin sah, gemeinsam mit diesen Gruppierungen in der Öffentlichkeit aufzutreten.
Besonders in Ostdeutschland ist ein Protestpotenzial gegeben, das über alle Parteigrenzen und unterschiedlichen Anliegen hinweg bereit ist, gemeinsam auf die Straße zu gehen und die Politik der »Altparteien« infrage zu stellen. Die Nähe bzw. die fehlende Abgrenzung zur extremen Rechten kann als Ergebnis des Machtgewinns des völkisch-nationalistischen Flügels auf dem AfD-Bundesparteitag im Juni verstanden werden. Dieser Strömung ging es im Sinne des Konzepts der »Mosaik-Rechten« vor allem darum, nach außen Einigkeit herzustellen und den internen Richtungsstreit zu beenden. Die innerparteiliche Kritik an der Einbindung rechtsextremer Kräfte ist seitdem völlig verstummt.

Der Autor arbeitet als Politikwissenschaftler in der Nähe von Hamburg.

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