Die grüne Balance finden
von Albrecht Kieser
Es ist leichter, Menschen zu regieren, denen Angst und Schrecken die Sinne verschlägt und die Sprache vernebelt. Leute also, die nur noch dem einzigen Ziel folgen, stündlich ihr nacktes Überleben zu sichern. Allerdings: Wer nichts mehr zu verlieren hat, könnte noch wütender werden als Uneinsichtige. Die Balance zu finden zwischen erlaubter Kritik und volksgemeinschaftlichem Schulterschluss, ist also heute eine vorrangige staatspolitische Aufgabe.
Die zu lösen, dafür laufen derzeit die Kräfte vieler Helfender zusammen:
Die Werbung. Sie verdreht die Sprache, verdreht ihren Gehalt. »Machen, was wirklich zählt«, »Etwas Gutes machen« oder »Die Demokratie schützen« meint nun, zur Bundeswehr gehen und das Töten lernen oder zum Verfassungsschutz gehen und das Töten kaschieren.
Die Polizei. Sie tötet bereits. Hier einen syrischen Flüchtling, da einen russischen Mietrückständler. Sie agiert unberechenbar. Nicht ständig. Ein paar Aktionen genügen, um Schrecken zu verbreiten.
Die Medien. Sie finden das Töten zuhause nicht in Ordnung. Aber dass Ordnungskräfte angespuckt oder verhauen werden, ist erst recht nicht in Ordnung. Ohnehin gibt es Wichtigeres: Den Krieg gewinnen! Einig gegen Russland! Kollateralschäden sind bedauernswert. Aber es wird ja geholfen.
Die Sozialpolitik. Sie hilft den Milliarden. Und verschweigt, dass sie für die Einzelnen wenig übrig hat. Das zu kaschieren nimmt sie Anleihen bei der Werbung und stolpert in die sprachliche Regression: Doppelwumms.
Die Große Politik. Sie ist alternativlos. Wer das anders sieht, wird zum „Delegitimierer“ erklärt. Delegitimierer sind die neuen Vaterlandsverräter. Großpolitik will die Volksgemeinschaft und wieder wer sein in der Welt. Jede kluge Delegitimierung solchen staatlichen Handelns wird als rechtsradikal, wahlweise verschwörungstheoretisch eingetütet. Werbung und Medien helfen.
Die Wirtschaft. Ist unschuldig. Ausbeutung war gestern. Imperialismus vom letzten Jahrhundert. Heute scheint alles grün.
Die Grünen. Scheinen grün. Trompeten, der Sieg im Krieg sei alternativlos.
Jede Balance ist ein artistischer Akt. Die Performance kann auch schiefgehen oder ins Lächerliche abrutschen. So hat die EU gerade Gasmann Putin durch Gasmann Alijew ausgetauscht. Aber in Alijews Aserbaidschan geht es noch brutaler zu als in Russland – sagen die einschlägigen Vergleichsportale von Amnesty und Human Rights Watch. Er steht zudem als notorischer Völkerrechtsverletzer Putin nicht nach, hat gerade zum zweiten Mal in zwei Jahren Armenien überfallen. Alijew will einen Korridor zu seinem Bruder im Geiste, Erdo?an, errichten, damit die Turkvölker, wie diese beiden Herren ihre Untertanen gern nennen, eins werden können. Die EU kuschelt mit den Herren. Gerät aus der Balance und fällt in den Dreck. Ist deshalb Schweigen über diesen Deal im deutschen Medienwald?
Frau Baerbock stürmt mit der Fahne der EU in der Hand in die Ukraine, zum Sieg. Beim Sturm hat sie den Schlüssel zum Kerker von Julian Assange verloren, der in englischer Isolationshaft sitzt, weil er Kriegsverbrechen der USA im Irak enthüllt hat. Sie könnte den Schlüssel mit ein wenig Mut dem nachsten britischen Premierminister auf den Kopf hauen. Tut sie aber nicht. Sie könnte auch, wenigstens verbal, gegen die frauenmordende iranische Männerclique ins Feld ziehen. Gegen Alijew. Aber nichts dergleichen, Russland verschluckt ihre gesamte Energie.
So landen auch Baerbocks Balanceakte im Dreck. Und Harbecks. Der hat nicht mal mehr grüne Hände, vom Kopf ganz zu schweigen. Alles schwarz, alles voller Öl und atomarem Abfall.
Finden sie das schön? Wissen sie nicht, was sie tun? Wissen sie nicht, dass der Krieg seine eigene Dynamik hat, die alle Vernunft verschlingt? Dazu noch Haut und Haar der neuen deutschen Volksgemeinschaft? Oder folgen sie einer anderen »Vernunft«? Der des alten großen deutschen Traums?
Kriege, bei denen die Deutschen mitmischen, gerieren sich seit 1999 grün. Alternativlos ist das nicht.
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