Am 3.Oktober starb Willi Hajek. Er hatte noch viel vor, doch eine tödliche Krankheit ließ ihm keine Chance
von Jochen Gester
Willi war auf vielen politischen Baustellen unterwegs und eroberte sich hier die Sympathie vieler Menschen, die er anregte, Wege zu erkennen, die gesellschaftliche Transformation möglich machen. Er war ein sozialrevolutionärer Bildungsarbeiter.
Wie ein rotes Band zog sich die Bildungsarbeit durch sein Leben – als Job und am Feierabend. Kernidee seiner Bildungsarbeit war die Ermutigung und Selbstermächtigung derjenigen, die diese Gesellschaft am Leben halten, doch ihre Last zu tragen haben.
Das französische 1968 und seine Folgen bildeten Schlüsselerfahrungen, die sein politisches Denken und Wirken prägten. Seinen rebellischen Geist konnte er wie kaum ein anderer der dafür zugänglichen Linken in Deutschland vermitteln. Willi wuchs in Mannheim auf. Sein Vater war Maschinenschlosser und bewegte sich in einem links geprägten Arbeitermilieu. So verfolgte man im Elternhaus mit Interesse die Entwicklungen in der DDR oder auch die Revolution in Kuba. Der Vater war beruflich viel in Frankreich unterwegs, sodass das Land früh Willis Interesse weckte. So begann er 1966/67, in Heidelberg Französisch zu studieren, und beteiligte sich dort an der Aufsprengung der Nachkriegsnormalität.
Anfang der 70er Jahre ging er nach Paris, das noch ganz im Zeichen von 1968 stand. Sein Geld verdiente er durch Alphabetisierung afrikanischer Migranten, die für Renault arbeiteten. Seine Schüler nahm er auch mit zum Besuch der besetzten Uhrenfabrik von LIP – ein Arbeitskampf, der neben der antimilitaristischen Bauernbewegung im Larzac, die eine ganze Region veränderte, nachhaltige Wirkung auf ihn ausübte. Eine Leitparole bei LIP war: »Die Chefs sind da. Aber wir brauchen sie eigentlich gar nicht.« Die Arbeiter:innen in Besançon vermittelten ihm eine Vorstellung davon, wie gewerkschaftliche Praxis Menschen verändern und Strukturen der Ohnmacht überwinden kann.
Da seine damalige Partnerin nach Deutschland zurück wollte, um dort ihren Beruf auszuüben, zog er 1978/79 nach Frankfurt um. Dort las er in einem Studentenwohnheim einen plakatierten Zeitungsartikel über den spanischen Arbeiter Andres Lara. Der sollte gekündigt werden, da er auf einer Betriebsversammlung bei Opel Bochum gegen Lohnforderungen eingetreten war, die die Ungleichheit fördern. Die Rede war dort auch von einer Gruppe, die sich für ihn stark macht. Willi stieß zur GoG (Gruppe oppositioneller Gewerkschafter) in Bochum, deren Arbeit er seit damals bis zu seinem Tode stark prägte. Aus dieser Arbeit heraus entstand auch die sog. »Kalenderwoche 48«, ein einwöchiger Bildungsurlaub, den linke betriebliche Aktivist:innen aus NRW-Großbetrieben jährlich nahmen, um ohne Stress über den Erfolg ihrer oppositionellen Arbeit nachzudenken. Diese Woche – ihr Teilnehmerkreis veränderte sich über die Jahre stark – wird im November ihr 30.Jubiläum feiern.
Unabhängig davon organisierte Willi mit den Opel-Kollegen jährliche Seminare. Zu einer festen Einrichtung wurde auch die »Tour de Paris«, zu der Willi deutsche Gewerkschafter:innen für eine Woche nach Frankreich einlud. Sie weckte gegenseitiges Verständnis und förderte Netze transnationaler Kooperation. In den letzten Jahren wurde daraus eine »Tour de Marseille«, da Willi seinen Lebensmittelpunkt an den Ort seiner neuen Partnerin verlegt hatte. Er mobilisierte noch alle seine letzten Kräfte, um das Treffen in diesem Jahr gestalten und erleben zu können.
Willi war langjähriger Mitarbeiter des TIE-Bildungswerks, dessen Vernetzungsprojekte im mediterranen Raum er verantwortete. Dabei stützte er sich auf seine ausgezeichneten Verbindungen zu den französischen SUD-Gewerkschaften. In Berlin war er zusammen mit Bernd Gehrke und Renate Hürtgen verantwortlich für den Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost/West. Eine der letzten großen Veranstaltungen des AK mit Willi als Referent galt den »Gelbwesten«. Über mehrere Stunden verfolgte der prallvolle Saal mit großem Interesse seine Reflexionen. Auch die Buchmacherei, an der er von Anfang an beteiligt war, verdankt ihm viele Veröffentlichungen emanzipativer Kritik und Selbstkritik der Arbeiterbewegung. Ende des Jahres soll es in Berlin ein großes Treffen dazu geben, wie sein Erbe am besten gepflegt werden kann.
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