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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2022

Zahlen zu Russland, Belarus und der Ukraine
dokumentiert

Tausende Militärdienstpflichtige sind seit Anfang des Krieges aus Russland, Belarus und der Ukraine geflüchtet. Genaue Zahlen über die Zahl der wehrpflichtigen Männer, die sich dem Kriegsdienst durch Flucht entzogen haben, liegen nicht vor. Die Organisation Connection e.V. hat Plausibilitätsberechnungen angestellt, die wir hier mit freundlicher Genehmigung in gedrängter Form wiedergeben.

Connection e.V. setzt sich aktiv für ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein und unterstützt verfolgte Kriegsdienstverweigerer:innen.
https://de.connection-ev.org/

In allen drei Ländern gilt die Wehrpflicht von 18 bis 27 Jahre. Im Kriegsfall wird die Altersgrenze angehoben – die russische Regierung hat sie Ende Mai 2022 auf 65 Jahre angehoben; die ukrainische Regierung hat im Februar eine Ausreisesperre für mögliche Rekruten im Alter von 18 bis 60 Jahre verhängt und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt.
Für diese Rekrutierungen gibt es in allen drei Ländern Ausnahmeregelungen. Man kann sich z.B. ausmustern lassen, wenn man dafür bezahlt – die Korruption ist in allen drei Ländern verbreitet. Es gibt auch die Möglichkeit, wegen Ausbildung und Studium zurückgestellt zu werden. In Russland und in Belarus gibt es zudem die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, die allerdings sehr restriktiv gehandhabt wird.
Connection e.V. rechnet auf Grund dieser Gegebenheiten wie folgt:
– Ermittelt wird die Zahl der wehrpflichtigen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahre.
– Diese Zahl wird um 30 Prozent reduziert, um die Ausnahmeregelungen abzubilden. Da im Falle der Ukraine viele mit solch einer Ausnahmeregelung das Land verlassen haben, geht der Verband davon aus, dass dort nur etwa 50 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren im Herkunftsland rekrutiert werden können.
– Ermittelt wird die Zahl der Geflüchteten und darunter die der wehrfähigen Männer.
Daraus ergibt sich die Zahl der wehrpflichtigen Männer, die sich dem Kriegsdienst entziehen.

Russland
Die Zahl derer, die vor der Teilmobilmachung aus Russland geflüchtet sind, variiert stark je nach Quelle. Laut Daten der offiziellen Statistikbehörde in Russland vom September dieses Jahres haben im 1.Halbjahr 2022 420000 Menschen Russland verlassen. Eine von der Deutschen Welle veröffentlichte Schätzung sprach bereits im April von über einer Million. In der Woche nach der Teilmobilmachung sollen etwa weitere 400000 russische Staatsbürger:innen das Land verlassen haben.
Für ihre Berechnungen legt Connection e.V. die offiziellen Zahlen der russischen Statistikbehörde zugrunde (Gesamtzahl der Flüchtlinge: 620000; darunter Männer zwischen 18 und 60 Jahren: 210000; darunter militärdienstpflichtige Männer: geschätzt 150000).

Belarus
Hier ist die Quelle die belarussische Organisation Nasch Dom (Unser Haus), die vom Exil in Litauen aus arbeitet. Sie verfügt nur über Zahlen für Litauen und Georgien. Demnach sind 2000 militärdienstpflichtige Männer nach Litauen, 20000 nach Georgien geflüchtet.

Ukraine
Für die Ukraine legt das UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, regelmäßig neue Berichte vor. Danach wurden bis Mitte September 2022 in der Europäischen Union 4040000 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert; fast 2,6 Millionen sind nach Russland geflohen, es ist aber unklar, wieviele dort geblieben sind.
Aktuelle Zahlen zeigen, dass von denen, die nach Westeuropa geflüchtet sind, weniger als 10 Prozent Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren sind; Connection e.V. geht von 290000 Männern im Alter von 18 bis 60 Jahren aus. Da die Organisation den Anteil derer, die mit einer Ausnahmeregelung ausreisen konnten, auf die Hälfte schätzt, hätten sich 145000 militärdienstpflichtige Männer illegal dem Kriegsdienst entzogen. (Gesamtzahl der Flüchtlinge in die EU: 4040000; Männer von 18 bis 60 Jahren: 290000; militärdienstpflichtige Männer: geschätzt 145000.)
Connection e.V. schreibt dazu:«Wir sind über dieses Ergebnis, insbesondere zur Ukraine, selbst überrascht. In der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass so viele Männer aus der Ukraine geflohen sind, die sich dem Kriegseinsatz entziehen. Es gibt auch fast niemanden, der mit seiner Geschichte (auch anonymisiert) an die Öffentlichkeit gehen will. Bei Connection e.V. erhalten wir fast täglich Anfragen zu ukrainischen Verweigerern, fast immer aber von Angehörigen oder Freunden, ganz selten von den Betroffenen selbst.«

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