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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2022

Was gegen Palästinenser taugt, taugt nicht gegen russisches Militär
von Shir Hever

Die Position Israels zum Krieg in der Ukraine ist überraschend, denn als größter Empfänger von US-Militärgeldern in der Welt und als ein Staat, der während des Kalten Krieges behauptete, die letzte Bastion der Verteidigung gegen die Ausbreitung des »Kommunismus« im Nahen Osten zu sein, sollte Israel ein enger Verbündeter der NATO sein. Der ukrainische Präsident Wolodomir Selenskyj ist Jude, während Russland gute Beziehungen zu Syrien und zum Iran unterhält.
Dennoch hat Israel in diesem Krieg eine möglichst neutrale Position eingenommen und die Geduld der US-Regierung auf die Probe gestellt. Der frühere Ministerpräsident Bennet versuchte sich sogar erfolglos als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine.

Die Gründe für die israelische Ambivalenz sind dreierfach. Erstens sind die Parallelen zwischen der russischen Besatzung in der Ukraine und der israelischen Besatzung in Palästina für jeden offensichtlich und israelische Journalist:innen erkennen an, dass sich die NATO-Position an der Seite der Ukraine gegen Russland sehr wohl gegen Israel wenden könnte, sobald der Krieg vorbei ist. In Israel fanden Demonstrationen zur Unterstützung Putins und Russlands statt.
Der zweite Grund wird häufig von den israelischen Offiziellen selbst angeführt, nämlich der Einfluss Russlands in Syrien. Mit russischen Militärstützpunkten auf syrischem Boden und engen militärischen Beziehungen sowohl zum Assad-Regime als auch zum Iran könnte Russland Israel für die Unterstützung der Ukraine bestrafen, indem es dem Iran den Bau von Raketenbasen in der Nähe des israelischen Territoriums gestattet, und es könnte die syrischen Streitkräfte mit Luftabwehrwaffen versorgen, die die israelische Luftwaffe daran hindern, ihre jahrzehntelange Bombenkampagne in Syrien fortzusetzen. Diese Argumentation besagt, dass Israel gute Beziehungen zu Putin unterhalten sollte, um seine militärische Überlegenheit auf syrischem Boden zu erhalten.

Keine Waffen aus Israel
Der dritte Grund ist jedoch interessanter und hängt mit der Rüstungsindustrie zusammen. Israelische Rüstungsunternehmen sind berüchtigt dafür, Waffen unter Verletzung von Militärembargos zu verkaufen, sogar an paramilitärische Milizen, an Rebellen, an die Armee Aserbaidschans beim Einmarsch in Nagorni-Karabach im Jahr 2020, an Besatzungstruppen in Indien und Marokko, an autoritäre Regime in Brasilien, Ungarn und auf den Philippinen.
Warum ist die Türkei bereit, Waffen an die Ukraine zu verkaufen, obwohl sie gute Beziehungen zu Russland unterhält, während Israel sich weigert, Waffen an die Ukraine zu verkaufen, egal wie sehr die Rüstungsunternehmen davon profitieren könnten?
Als einer der weltweit größten Exporteure von Militärdrohnen hat sich Israel konsequent geweigert, Drohnen an die Ukraine zu verkaufen, und die einzige israelische Drohne, die an den Kämpfen beteiligt war, wurde von der russischen Armee eingesetzt: Eine Drohne, die Russland 2015 von Israel gekauft hatte, wurde im März von ukrainischen Streitkräften abgeschossen. Die USA baten auch um die Lieferung von israelischen Panzerabwehrraketen des Typs »Spike« an die Ukraine, was die israelische Regierung jedoch strikt ablehnte.
Tatsache ist, dass israelische Waffen nicht für den Krieg gegen echte Armeen konzipiert wurden. Als Georgien 2008 große Mengen israelischer Waffen kaufte und versuchte, damit die russische Armee aufzuhalten, erwiesen sich die Waffen als unwirksam und wurden von den russischen Streitkräften erbeutet und untersucht. Israelische Drohnen wurden gegen palästinensische Zivilisten im Gazastreifen und im Westjordanland getestet, aber im Gegensatz zu den besetzten Palästinensern können sich die russischen Streitkräfte tatsächlich verteidigen und israelische Drohnen schnell abschießen.
Die Spike-Panzerabwehrraketen wurden nicht gegen Panzer, sondern gegen Wohnhäuser im Gazastreifen getestet. Die israelische Regierung befürchtet, dass sich die Raketen als unbrauchbar erweisen werden, wenn die ukrainischen Streitkräfte versuchen, sie gegen russische Panzer einzusetzen, und dass die Demütigung den israelischen Waffenexporten einen nachhaltigen Schlag versetzen wird.

Im Kaufrausch
Dennoch äußerten sich israelische Rüstungsunternehmen mit Freude und Begeisterung über den Krieg in der Ukraine. Die Unternehmen, vor allem das größte, Elbit Systems, eröffneten neue Büros in Europa, um israelische Waffen in Ländern anzubieten, die nicht direkt an den Kämpfen beteiligt sind.
Zwölf EU-Mitglieder, darunter auch Deutschland, haben bereits dem Kauf des Raketenabwehrsystems Arrow-3 zugestimmt, obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass dieses System zur Abwehr russischer Raketen beitragen kann. Erstens haben die israelischen Ingenieure bisher nur Arrow-2 entwickelt und getestet und Arrow-3 gilt noch nicht als fertiges Produkt. Zweitens ist bei einem dieser Tests eine Arrow-2-Rakete in Syrien abgestürzt und die syrischen Streitkräfte haben die Rakete umgehend zur Untersuchung nach Russland geschickt.
Über NATO-Mitglieder, die sich mit israelischen Waffen eindecken, weil sie davon ausgehen, dass die Lektionen, die die israelischen Streitkräfte bei der Tötung unschuldiger Zivilist:innen gelernt haben, auch auf das gut ausgebildete und gut bewaffnete russische Militär übertragbar sind, kann Putin nur lächeln.

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