Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2022

Über spektakuläre Aktionen hinaus
von Christian Stache

Angesichts der Reaktionen auf die kleine Herbstoffensive der liberalen Fraktion der Klimabewegung um Gruppen wie Die Letzte Generation und Scientists for Future in Deutschland ist man geneigt, einen alten linken Gassenhauer zu bemühen: »Kriminell ist das fossile Kapital…« Den Zusatz: »nicht der Widerstand dagegen!« muss man schon herunterschlucken, wenn man sich die Aktionen anschaut, wegen denen Grüne bis AfD, private Konzernmedien und Teile der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten sowie ein rechter Social-Media-Mob ein Riesengezeter veranstalten: Kartoffelbrei auf verglasten Kunstwerken, Straßenblockaden, Farbe auf Parteizentralen, Ankleben in Museen und auf Straßen.

Diese Formen des Protests sind legitim. Aber sie jagen höchstens den Götzendienern bürgerlicher Hochkultur und den Statthaltern des Kulturkonservatismus einen Schrecken ein – nicht der an Spektakel gewöhnten Öffentlichkeit und erst recht nicht dem fossilen Kapital. Wenn sie den Bürgerblock an der Macht trotzdem zu Kriminalisierung, staatlicher Repression und Hetzkampagnen verleiten, verdienen die betroffenen Aktivist:innen unsere Solidarität.
Gleichwohl, wenn »uns der Feind energisch entgegentritt, uns in den schwärzesten Farben malt und gar nichts bei uns gelten lässt«, dann zeugt dies, anders als einst einer der Großen Vorsitzenden behauptete, nicht zwingend davon, »dass unsere Arbeit auch glänzende Erfolge gezeitigt hat«. Manchmal nutzt der Gegner auch einfach die eigenen Fehler aus.
Die Mehrheit der Klimabewegung führt den Klimakampf nicht als Klassen-, sondern als politischen Kulturkampf – und bekommt diesen dann auch. Straßen- und Autobahnblockaden treffen alle Verkehrsbeteiligten gleichermaßen, sie sind sozusagen die Mehrwertsteuererhöhung unter den Bewegungstaktiken. Kein Wunder, dass nach diesen Aktionen antiökologische Kulturkampfrhethorik von rechts verfängt.
Aber es geht nicht nur um Taktiken. Die Letzte Generation kultiviert Bewegungspolitik in ihrer schlechtesten Form: ohne jede soziale Erdung, alles dreht sich um ein Thema und nicht ums Ganze, die Ziele sind bestenfalls grünsozialdemokratische Sofortmaßnahmen, organisiert wird kaum jemand – erst recht nicht langfristig und für den Klassenkampf –, eine revolutionär-realpolitisch Strategie gibt es nicht.
Diesem Teil der Klimabewegung geht es in erster Linie um einen Meinungsumschwung, normalerweise gepaart mit dem Aufbau einer Alternativkultur, die sich dann in »große Politik« übersetzen sollen.
Dieses Vorgehen gehört der um 1970 beginnenden postfordistischen Phase kapitalistischer Entwicklung an, als die nichtökonomische Zivilgesellschaft, Kultur, Subjektivitäten und die neuen sozialen Bewegungen zum Terrain und Fluchtpunkt linker Praxis im Westen avancierten.
Daher hat der Berliner Klimaaktivist Tadzio Müller ausnahmsweise recht, wenn er schreibt, dass im Fall der Klimabewegung die Strategie gescheitert ist, das Vorgehen der Anti-AKW-Bewegung zu kopieren. Das Problem daran sind aber nicht nur, wie Müller meint, die Klimagesetze der Regierung und die Wahl­erfolge der Klimakillerparteien. Vielmehr werden postfordistische Bewegungsstrategien der kapitalistischen Gesellschaft von heute nicht mehr gerecht.
Die herrschende Klasse hat Modi Operandi gefunden, um sowohl mit der Arbeiterbewegung als auch mit den neuen sozialen Bewegungen umzugehen und mit ihnen – teils sogar sehr produktiv – zu leben. Sie nutzt die Konflikte mit diesen Bewegungen, um den Kapitalismus »grün«, »feministisch«, »arbeitsrechtlich« usw. zu modernisieren und dadurch Strömungen der ausgebeuteten Klasse in die bürgerliche Herrschaft einzubinden.
Soll die Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses als Teil der gegenwärtigen großen Krise des Kapitalismus überwunden werden, bedarf es eines Klassenkampfs neuen Typs. Das schließt soziale Bewegungen als strategische Option nicht per se aus (ebenso wenig Gewerkschaftspolitik), eine grundlegende Orientierung an und auf Bewegungspolitik aber schon.

Christian Stache ist Sozial- und Wirtschaftshistoriker mit den Schwerpunkten Ökologie, Marxismus, Kapitalismusgeschichte und das Mensch-Tier-Verhältnis. 2017 erschien sein Buch Kapitalismus und Naturzerstörung.

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