Gegen die Klimabewegung wird jetzt die Keule geschwungen
von Moritz Binzer
Der Tod einer Radfahrerin in Berlin hätte eine Steilvorlage sein können für viele wichtige Debatten. Etwa für die Frage, ob 49 Millionen Autos, die deutsche Straßen verstopfen, zu viele sind – das sind mehr Autos als auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Auch die Verkehrssicherheit für Radfahrer:innen hätte ein paar Schlagzeilen verdient. Die Kreuzung, wo der tödliche Unfall geschah, ist berüchtigt, trotzdem gibt es keine Umbaumaßnahmen.
2021 wurden insgesamt 2562 Menschen im Straßenverkehr in Deutschland getötet. Genau eine Woche nach dem Vorfall starb bereits der nächste Radfahrer in Berlin. Die tödlichen Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs müssten dringend besprochen werden.
Aber dazu blieb es still. Stattdessen wurde der Vorfall zur verbalen Aufrüstung gegen Klimaaktivist:innen genutzt. Zwei Aktivist:innen der Letzten Generation hatten mit einer Straßenblockade zeitgleich zu einem Unfall einen Stau verursacht. Angeblich habe dieser Stau einen dringend benötigten Hubwagen der Feuerwehr daran gehindert, rechtzeitig zur Unfallstelle zu kommen. Die behandelnde Notärztin gab jedoch an, sie hätte sich sowieso gegen dessen Einsatz entschieden.
Fest steht: Die Aktionen der Letzten Generation wurden in den vergangenen Wochen immer unbequemer. Der Unfall kam gerade recht. Die Bild-Zeitung bot die Vorlage, und rechte Trolle, Politiker:innen und leider auch seriösere Medien stimmten in den Chor ein. Einige korrigierten sich zwar wieder, als sie das Ereignis genau rekonstruiert hatten. Das geschah aber zu einem Zeitpunkt, als das Narrativ »Klimachaoten verschulden Tod von Radfahrerin« längst gesetzt war. Einige Politiker waren sich nicht zu schade, ein weiteres Mal von einer »Klima-RAF« zu schwadronieren.
Bayern: Spitzenreiter der Repression
In Bayern hat die aufgeheizte Stimmung bereits die Grundlage geschaffen, um 33 Aktivist:innen der Letzten Generation bis zu 30 Tage in präventiven Gewahrsam zu sperren. 17 von ihnen werden seit über zwei Wochen festgehalten, die anderen wurden entlassen (Stand 18.11.).
Präventiver Gewahrsam kommt dann zum Einsatz, wenn schwere Straftaten befürchtet werden. Eine Haftrichterin in München hatte eine politische Straßenblockade als eine so schwere Straftat eingestuft, dass sie in ihren Augen diese massive Einschränkung von Grundrechten rechtfertigte. Die hohe Dauer von maximal zwei Monaten wurde durch die Verschärfung des bayrischen Polizeigesetzes ermöglicht.
Lange Haft ohne schwere Straftaten ist in anderen Teilen der Klimabewegung eine weit verbreitete Erfahrung. Vor allem wenn Aktivist:innen die Angabe ihrer Personalien verweigern, landen sie zunehmend in Untersuchungshaft.
In NRW wurde das Polizeigesetz 2018 deswegen »angepasst« und trägt in Kreisen der Aktivist:innen seitdem den Namen »Lex Hambi«. Bis zu sieben Tagen können Menschen seitdem ohne Haftbefehl festgehalten werden, wenn sie ihre Identität nicht preisgeben.
Auch in anderen Bundesländern kommt es immer wieder zu langen Inhaftierungen auf fragwürdiger Grundlage. Nach der Blockade des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde bezeichnete Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) die Klimaaktivist:innen als »Verbrecher«, drei von ihnen wurden am 19.9.2022 in Cottbus in Untersuchungshaft genommen. Dort saßen sie zwei Monate, dann verurteilte sie Mitte November ein Gericht im Schnellverfahren zu vier Monaten Haft ohne Bewährung.
Aus der Aktionsgruppe, die sich in Anspielung an die zu löschende Erde »unfreiwillige Feuerwehr« genannt hatte, wurde kurzerhand die Kampagne »unfreie Feuerwehr« – also solidarische Mitstreiter:innen, die die Inhaftierten unterstützen.
Nicht alle Richter machen mit
Richter:innen müssen beim Überbietungswettbewerb um die härtesten Strafen nicht mitmachen. Schon drei Richter in Berlin haben es laut Taz abgelehnt, von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafbefehle gegen die Letzte Generation auszustellen, es kam nicht einmal zur Verhandlung. Die Aktion sei vor dem Hintergrund der Klimakrise legitim, begründete einer der Richter seine Entscheidung.
Eine ähnliche Begründung lieferte eine Richterin in Flensburg. Ebenfalls im November hatte sie einen Waldbesetzer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Es liege ein »rechtfertigender Notstand« vor, so die Richterin. Die Klimaschutzziele, deren Einhaltung durch die Aktionen eingefordert werden, wiegen demnach schwerer als das Eigentumsrecht.
Bei vielen politischen Prozessen der Klimagerechtigkeitsbewegung wurde der §34 (rechtfertigender Notstand) bereits von Anwält:innen herangezogen, nun zum erstenmal mit Erfolg.
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