Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2022

Der erwartete republikanische Tsunami ist ausgeblieben – drei Gründe dafür
von Angela Klein und Hermann Nehls

Bei den »midterms« in den USA am 8.November, in denen das Repräsentantenhaus komplett und der Senat zu einem Drittel neu gewählt wurden, gab es den von den Meinungsumfragen vorhergesagten massiven Schwenk zugunsten der Republikaner nicht. Die Demokraten, die Partei des Präsidenten, konnten im Senat mit der Hälfte der Sitze plus der ausschlaggebenden Stimme der Vizepräsidentin eine hauchdünne Mehrheit behaupten. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner die Mehrheit.

Zornige Frauen
Was war die Ursache für diese überraschende Wendung? Dem Vernehmen nach waren es zwei. Zum einen war dies das Thema »Recht auf Abtreibung«: In fünf Bundesstaaten gab es zeitgleich mit den Kongresswahlen Volksabstimmungen über das Recht auf Abtreibung – es wurde in allen fünf Staaten bestätigt. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dieses Recht landesweit aufzuheben und seine Handhabung einzelnen Bundesstaaten zu überlassen.
In drei Bundesstaaten wurde der Schwangerschaftsabbruch als Recht in die landeseigene Verfassung aufgenommen: Vermont bestätigte dies mit 72 zu 23 Prozent; Kalifornien mit 65 zu 35 Prozent; Michigan mit 57 zu 43 Prozent. Die Änderungsanträge schließen das Recht auf Empfängnisverhütung ein – das ist wichtig, weil einige der sechs rechtsextremen Richter am Obersten Gerichtshof auch dieses Recht für illegal erklären wollen.
In den beiden Bundesstaaten Montana und Kentucky waren Vorschläge zur Verfassungsänderung unterbreitet worden, die das Recht auf Abtreibung verbieten sollten. Sie wurden beidesmal abgeschmettert, in Montana mit 53 zu 47 Prozent; in Kentucky mit 52 zu 48 Prozent. Die beiden Bundesstaaten sind stark republikanisch geprägt, was bedeutet, dass viele republikanische Frauen gegen den Änderungsantrag gestimmt haben. Die Abstimmung in Montana und Kentucky bestätigte eine Abstimmung Im August des Jahres war ein ähnlicher Antrag mit 59 zu 41 Prozent schon in Kansas abgelehnt worden, einem weiteren streng republikanischen Staat.

Junge Menschen wählten zuhauf
Ein weiterer Grund für die Niederlage der Republikaner war die Tatsache, dass die Demokraten sich besser gehalten haben als erwartet. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass die jungen Menschen mit einer jahrzehntelangen Tradition gebrochen haben und in Scharen zu den Wahlurnen gegangen sind. Und sie haben in großer Zahl für die Demokraten gestimmt. Aber, Achtung: für die Demokraten und nicht für Biden, dessen Popularität weiter abstürzt. Die Umfragen beim Wahlausgang (Exit Polls) haben gezeigt, dass ohne die Stimmen der Jungwähler:innen zwischen 18 und 29 Jahren die »republikanische Welle« nicht aufzuhalten gewesen wäre. Ein Exit-Poll von CNN kam zu folgendem Ergebnis:
– Die Wähler:innen über 65 Jahre haben den Republikanern einen Vorsprung von 13 Prozentpunkten gegeben.
– Die in der Altersgruppe zwischen 45 und 64 einen Vorteil von 11 Punkten.
– Die 30- bis 44jährigen gaben den Demokraten einen Vorteil von 2 Punkten.
– Die Jungwähler:innen zwischen 18 und 29 Jahren (das sind die zwischen 1997 und Anfang 2010 Geborenen), gaben den Demokraten einen Vorsprung von 28 Punkten!
Davon profitierten vor allem die Demokraten, die am weitesten links stehen, allen voran die radikalen und sozialistischen Abgeordneten der »Squad« – das ist jene Gruppe von Abgeordneten, die im Gefolge des radikaleren Präsidentschaftswahlkampfs von Bernie Sanders hervorgetreten ist. Diese wurden mit überwältigenden Mehrheiten wiedergewählt:
– die bekannteste von ihnen, Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, mit 70,6 Prozent der Stimmen;
– die palästinensischstämmige Rashida Tlaib in Michigan mit 73,7 Prozent;
– die sehr radikale Ilhan Omar, die aus Somalia stammt, in Minnesota mit 75,2 Prozent;
– der Afroamerikaner Jamaal Bowman in New York mit 65,4 Prozent;
– die afroamerikanische Nurse Cori Bush mit 72,8 Prozent in Missouri;
– die Afroamerikanerin Ayanna Pressley mit 84,5 Prozent in Massachusetts;
– die Afroamerikanerin Summer Lee warf überraschend in Pennsylvania den amtierenden republikanischen Abgeordneten mit 55,7 Prozent der Stimmen aus dem Rennen.

Ein Blick auf einzelne Bundesstaaten
Um die Midterms besser einschätzen zu können, lohnt der Blick in einzelne Bundesstaaten. Da gibt es Licht und Schatten. Zur Schattenseite gehört, was in Florida geschah. Die Siege der republikanischen Kandidaten haben den Rechtsruck in Florida zementiert. Der einstige Vorreiter unter den Swing States liegt nun fest in den Händen der Republikaner. Floridas Gouverneur Ron DeSantis wurde mit einem Vorsprung von fast 20 Punkten wiedergewählt. Auch Marco Rubio hat seinen Senatssitz klar gewonnen.
Einige der größten Zugewinne erzielten sie in mehrheitlich von Hispanics bewohnten Gebieten um Miami und Orlando. Nun haben die Republikaner im Kongress des Bundesstaats eine Supermajorität (d.h. die Mehrheit in beiden Kammern).
Auch in New York waren die Demokraten unfähig, einige ihrer zuverlässigsten Wählergruppen zu gewinnen. Hier ist es extrem rechten Republikanern gelungen, den Demokraten in traditionellen Hochburgen vier Sitze für das Repräsentantenhaus abzunehmen. Sie könnten den Ausschlag für eine Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus geben.
Zu dieser Entwicklung haben sicher die Skandale um den ehemaligen Gouverneur Andrew Cuomo beigetragen. Alexandria Ocasio-Cortez sieht weitere wesentliche Gründe im Verhalten der Demokraten selbst. Die Parteiführung hier stütze sich auf »big money« und traditionelle Politikstile und habe sehr wenig zur Mobilisierung ihrer Wählerschaft beigetragen.
Einen eindeutigen Sieg, und das gehört zur Lichtseite, hat in Massachusetts die Koalition«Raise up Massachusetts« mit einer Mehrheit für das »Fair Share Amendment« errungen. Mit dem Verfassungszusatz wird eine 4-Prozent-Steuer auf Jahreseinkommen über eine Million Dollar eingeführt. Der Bundesstaat erhält dadurch jährlich über 2 Milliarden Dollar zusätzliche Einnahmen. Die Mittel sollen für öffentliche Bildung, das Verkehrswesen und die Instandsetzung der Infrastruktur verwendet werden. Die Koalition besteht aus Gewerkschaften, darunter der AFL-CIO von Massachusetts, der Massachusetts Teachers Association, der American Postal Workers Union und politischen Organisationen.
In Michigan haben die Demokraten zum erstenmal seit vier Jahrzehnten das Gouverneursamt und eine Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat (Supermajorität) bekommen. Für die Gewerkschaften könnte das eine Kehrtwendung bedeuten: Es gibt Überlegungen, Michigan von dem gewerkschaftsfeindlichen Status »Right to Work« zu befreien. Eine Mehrheit dafür gibt es jetzt.
In Nebraska wird der Mindestlohn durch die Initiative 433 von 9 Dollar pro Stunde auf 10,50 Dollar im nächsten Jahr und auf 15 Dollar im Jahr 2026 angehoben; in Nevada durch die Initiative 2 im Juli 2024 auf 12 Dollar. In Washington D.C. wird der Mindestlohn für Beschäftigte, die Trinkgeld erhalten, der zur Zeit 5,35 Dollar beträgt, bis 2027 auf 16,10 Dollar erhöht.

Anti-Trump
Last but not least war diese Wahl eine Abfuhr für Trump – auch innerhalb der Republikanischen Partei selbst. Viele Kandidaten, die er unterstützt hatte, fuhren Niederlagen ein, während die gemäßigter, »staatsmännischer« auftretenden Kandidaten zum Teil großen Zulauf hatten. Herausragendes Beispiel ist dafür der neu gewählte Gouverneur von Florida, Ron De Santis, der von Trump stets herabwürdigend behandelt wird. Er wird nun als der große Gegenspieler von Trump im Rennen um die Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen gehandelt.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.