Die Bundesregierung errichtet eine neue Infrastruktur für Erdgas
von Matthias Becker
Entgegen aller klimapolitischen Vernunft baut die Bundesregierung mit den Flüssiggasterminals in der Nordsee eine neue fossile Infrastruktur. Constantin Zerger, Leiter des Bereichs Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), hat auf einer Onlinekonferenz von Fridays for Future mit dem Titel »Gerechte Wege aus der Krise« die einzelnen Vorhaben dargestellt. Hier eine Zusammenfassung der Redaktion.
Die gegenwärtige Gaskrise ist entstanden, weil wir abhängig vom Import fossiler Energieträger sind. Die Preisexplosion ist weder ein Unfall, noch ein Zufall, sondern das Ergebnis der Politik aller Bundesregierungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Die Bundesrepublik hat sich energiepolitisch in eine Sackgasse manövriert.
Das Selbstverständnis der DUH lautet, dass wir uns der fossilen Energiegewinnung entgegenstellen. Zum Beispiel an der Nordsee, wo die einzige deutsche Ölplattform »Mittelplate« steht, mitten im Nationalpark Wattenmeer. Der Konzern Wintershall DEA hat beantragt, dort bis zum Jahr 2069 Öl zu fördern – weit über den Zeitpunkt hinaus, an dem Deutschland laut den offiziellen Plänen die Klimaneutralität erreichen haben will!
Diese Ölbohrungen sind nicht das einzige fossile Projekt in der Nordsee. Vor Borkum möchte das niederländische Unternehmen ONE Dyas künftig ein oder sogar mehrere Gasfelder ausbeuten. Es scheint, als würden die deutschen Behörden ihren Antrag durchwinken. Die DUH will zusammen mit »Schutzstation Wattenmeer« und dem World Wide Fund for Nature (WWF) das Projekt gerichtlich stoppen lassen.
Energiepolitisch vollzieht die Bundesregierung eine Kehrtwende rückwärts. Insbesondere die FDP inszeniert eine Debatte über die Notwendigkeit von Fracking. Es wurden bereits zahlreiche Maßnahmen zugunsten der fossilen Industrie auf den Weg gebracht, etwa der Tankrabatt, mit dem der Benzinverbrauch subventioniert wurde. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seinem Besuch in Senegal im Mai angekündigt, man werde das Land bei der Gasförderung unterstützen. Der Senegal will verflüssigtes Erdgas ausführen.
Der Trend zu fossiler Energie zeigt sich in öffentlich kaum beachteten Details, zum Beispiel werden energieintensive Unternehmen bei der Stromsteuer finanziell entlastet.
Nach wie vor gibt es das sog. Dienstwagenprivileg (Anschaffung und laufende Kosten können als Betriebsausgaben steuerlich abgesetzt werden) und zahlreiche Subventionen für fossile Energie – bspw. für den Neubau von Gaskraftwerken über die Kraft-Wärme-Kopplungsverordnung, aber es gibt immer noch kein Tempolimit auf den Autobahnen.
Vollgas Rückwärtsgang
Eine fatale Rolle spielen die neuen LNG-Terminals (liquefied natural gas) für den Flüssiggastransport mit Schiffen in Lubmin, Stade, Brunsbüttel und Wilhelmshaven, weil hier Weichen für die Zukunft gestellt werden. Mit einem »Beschleunigungsgesetz« hat die Regierung Umweltverträglichkeitsprüfungen für diese Anlandestationen ausgesetzt und die Klagemöglichkeiten beschränkt.
Unter den Investoren sind einige der üblichen Verdächtigen wie RWE, die niederländischen Gasunie oder Uniper, aber auch neue Player wie Hanseatic Energy Hub (HEH). Wenn alle Projekte umgesetzt werden, entsteht eine ungeheuer große Kapazität für Erdgas: 75 Milliarden Kubikmeter. Zum Vergleich: Deutschland verbraucht im Jahr ungefähr 90 Milliarden Kubikmeter Gas. Die neuen Kapazitäten entsprechen also mehr als zwei Dritteln des gegenwärtigen jährlichen Bedarfs.
Besonders problematisch sind die Terminals an Land, weil sie eine sehr lange Lebensdauer haben. Viele der geplanten Terminals sind aber sogenannte Floating Storage and Regasification Units (FSRU). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat fünf solcher FRSU gechartert, und betreibt selber ein Terminal in Brunsbüttel. Kurzfristig sollen die schwimmenden Terminals kommen, sie werden ersetzt, wenn die Langzeitterminals fertig gebaut sind. Die DUH bezweifelt das, weil die Unternehmen einen unbefristeten Betrieb beantragen.
Langfristige Bindung
Durch die LNG-Infrastruktur entstehen neue Abhängigkeiten. Die deutschen Unternehmen schließen Verträge mit Ländern wie Qatar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien oder auch den USA, wo das Gas mit Frackingtechnik gefördert wird. Sie sind nicht kurzfristig angelegt, um über diesen oder den nächsten Winter zu kommen, sondern es geht um Verträge über 15, teilweise 20 Jahre. Was passiert? In den exportierenden Ländern wird mehr Öl und Gas gefördert, um diese Verträge zu bedienen. Der Handel mit fossilen Brennstoffen hat in den exportierenden Ländern Folgen für die Menschenrechte, die Demokratie und den Frieden. Dafür sind Qatar und Saudi-Arabien schlimme Beispiele.
Die Anzahl der Terminals und ihre Betriebsdauer müssen auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden. Die neuen Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee müssen gestoppt werden. Stattdessen müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen beschleunigen. Wir müssen die Anstrengungen für die Energieeffizienz im Gebäudebereich, in der Industrie und im Verkehr erhöhen. Wir brauchen ein Tempolimit und eine flächendeckenden Abdeckung mit Wärmepumpen. Wir müssen dringend umsteuern hin zur Einsparung und erneuerbarer Energie.
Auf YouTube sprach Constantin Zerger am 12.Oktober zum Thema »Gerechte Wege aus der Krise«, www.youtube.com/watch?v=re8Bk15NmCw.
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