Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2022

Eine Kritik am offiziellen Gedenken an den Holocaust
von Hermann Dierkes

Arn Strohmeyer: Falsche Loyalitäten. Israel, der ­Holocaust und die deutsche Erinnerungspolitik. Wien: ProMedia, 2022. 180 S., 19,90 Euro

Die Unterdrückung der Palästinenser durch den israelischen Kolonialstaat und die buchstäblich blinde Ergebenheit der Bundesregierung, der EU und der »westlichen Welt« gegenüber der israelischen Regierung zählt mit zu den schlimmsten weltpolitischen Skandalen unserer Zeit.

Umso wichtiger sind Positionierungen und Publikationen, die sich dagegen stemmen, die jeweiligen Interessen offenlegen, Verantwortlichkeiten benennen und für einen völkerrechtskonformen und moralisch haltbaren Ausweg plädieren.
Das neue Buch von Arn Strohmeyer ist wieder einmal ein hervorragender Beitrag in dieser Auseinandersetzung. Wie immer in seinen Schriften lässt er wichtige kritische und oppositionelle Stimmen zu Wort kommen, insbesondere israelische und jüdische Wissenschaftler, die in den deutschen Mainstreammedien kaum Berücksichtigung finden. Anhand von gegnerischen und »offiziellen« politischen Positionen weist er die interessengebundene Ideologisierung und unwissenschaftliche Hohlheit dieser Medien nach, ihre gefährliche Tendenz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie der Freiheit von Forschung und Lehre.
Ein ganz schändlicher Aspekt ist der oftmals nur noch verleumderische Gehalt der Anschuldigungen gegen Kritiker der israelischen Instrumentalisierung des Holocaust, der Gründungsmythen Israels und seiner Apartheidpolitik – wie z.B. der gegen den antikolonialistischen afrikanischen Philosophen Achille Mbembe.
Einen Großteil des Buches nehmen diesmal die Thesen des australischen Historikers Dirk A. Moses ein, die dieser in seinem Aufsatz Der Katechismus der Deutschen diesen in fünf Glaubenssätzen zusammengefasst hat:
– Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Holocaust mit anderen Völkermorden;
– der Holocaust als Fundament der deutschen Nation;
– die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson;
– Antisemitismus als spezifisch deutsches Phänomen;
– Antizionismus gleich Antisemitismus.
Im Anschluss an Moses und viele weitere wissenschaftliche und politische Stimmen unterzieht Strohmeyer diese Glaubenssätze – die im übrigen weitgehend der israelischen Staatsideologie entsprechen – einer fundierten und stichhaltigen Kritik. Sein Fazit: Die deutsche Erinnerungspolitik ist gescheitert. Ein angemessenes universelles Holocaustgedenken wäre nicht umhingekommen, das Diktum Adornos zu erfüllen, alles zu tun, auf »dass Auschwitz sich nicht wiederhole«. Man sollte hinzufügen: gegen niemanden.
Strohmeyer weiter: »Es müsste bedeuten, alles zu tun, den Holocaust in allen seinen historischen, politischen und kulturellen Aspekten – auch durch Vergleiche mit anderen Genoziden – zu verstehen sowie gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, die die Reste der alten Strukturen, die Auschwitz erst möglich gemacht haben, zu beseitigen und Strukturen hervorzubringen, die eine Wiederholung ausschließen. Stattdessen hätten die deutsche politische Elite und die Mainstreammedien das Gedenken fetischisiert, routinisiert und zu einer Ideologie ausgebaut, die den Inhalt des Katechismus gebetsmühlenartig wiederholt, ohne dabei noch echte Anteilnahme und Empathie erzeugen zu können.
»Nicht das Gedenken an sich steht also in der Kritik, sondern seine staatliche Instrumentalisierung zu fremdbestimmten Zwecken, die wegen ihrer Überidentifizierung mit Israel und der Übernahme von dessen allein seinen nationalen Interessen dienendem, funktionalem Antisemitismus für verheerende Folgen in Deutschland sorgt. Was diese Akteure geschaffen haben, ist ein Klima der Angst, des Misstrauens und der Denunziation, das die Öffentlichkeit weitgehend beherrscht.«
Das zurechtgestutzte, partikulare und nicht universale Holocaustgedenken und die damit verbundene bedingungslose Unterstützung Israels bilden die Hefe, so ist hinzuzufügen, auf der die Kritiklosigkeit, ja Anerkennung seiner sog. Selbstverteidigung gedeihen, ihre Finanzierung, Bewaffnung und diplomatisch-politische Inschutznahme.
Die ständige Betonung der »gemeinsamen Werte« der deutschen und israelischen Politik (von Merkel über Steinmeier bis zur AfD, um nur einige zu nennen) ist nicht nur ein Schattenboxen auf den offiziellen Bühnen, es gibt sie tatsächlich – hinter den demokratischen Fassaden und Lippenbekenntnissen und mit ganz gefährlichen Konsequenzen. Die zeigen sich nicht nur in Nahost, sondern auch in der schleichenden »Israelisierung« der deutschen Politik (Demokratieabbau, Antiislamismus, Militarisierung usw.) nach innen wie nach außen.

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