Showdown zum Erhalt der 1,5-Grad-Grenze
von Michael Schwarz
Plötzlich ist der Strom weg: Direkt zu Beginn der ersten Kälteperiode des Winters kappt RWE die Leitungen, die das besetzte Dorf Lützerath im ganzen mit Strom versorgen. Bis dahin hatten die über hundert dauerhaften Bewohner:innen immerhin ihre Laptops, WLAN-Router und einige Heizlüfter mit Energie versorgen können. Das ist jetzt vorbei, auch wenn Greenpeace mit einer Notstromversorgung aus Solarpaneelen einspringt. Und mit der Kälte verdichten sich auch die Zeichen, dass für den Januar 2023 mit einer Räumung zu rechnen ist.
NRW-Innenminister Reul sprach bereits im November davon, die nötigen Schritte für eine »Beseitigung der Besetzungsinfrastruktur« einzuleiten, sprich die Räumung formalrechtlich auf den Weg zu bringen. Der Zeitdruck ist hoch: Am 1.März endet die Rodungssaison, in der die zum Dorf gehörenden Waldstücke gefällt werden dürfen. Am 9.Dezember setzte die Polizei in einem Statement selbst ein Datum: Ab dem 13.1. werde das Dorf abgeriegelt. Die Räumung dürfte dann noch eine Frage von Tagen sein. Ob dieser Ansage zu trauen ist, weiß niemand.
Lützerath ist bereits seit zwei Jahren besetzt und hat in den letzten Wochen öffentlich von sich reden gemacht: Politisch durch den Verrat der Grünen an der Bewegung, die das Dorf retten will. Medial durch Marten Reiß, eine Aktivist:in, die im Dorf lebt und vor mehr als zehn Millionen Zuschauern Wettkönigin in der Unterhaltungsshow »Wetten, dass?« wurde – begleitet und angefeuert von vielen Mitstreiter:innen, die sich unter den Zuschauern im Studio befanden. Doch was geschieht in Lützerath konkret, um sich gegen die drohende Räumung zu verteidigen?
Wer das stets offene Dorf besucht, dem fallen zunächst die vielen Baumhäuser ins Auge. Die Räumung des Hambacher Forstes vor wenigen Jahren wurde um Wochen verzögert, weil sich Aktive in den Wipfeln anketteten. Auch diesmal ist damit zu rechnen, dass die Polizei einen großen Teil ihres Einsatzes in mehreren Metern Höhe bestreiten muss.
Was geschieht in Lützerath?
Doch auch auf dem Boden dürfte sie es nicht leicht haben: Schwere Stahlträger wurden auf allen Zufahrten zum Dorf einbetoniert, vielerorts stehen bereits Barrikaden. Die noch bestehenden Häuser des Dorfes sind allesamt bunt bemalt und mit Transparenten geschmückt. Aktivist:innen halten sie bereits seit Monaten besetzt und haben immer wieder angekündigt, nicht freiwillig zu gehen. Die Landesregierung muss sich auf einen langen und teuren Einsatz einstellen.
Dieser dürfte auch in der Öffentlichkeit unbeliebt sein: Die Besetzer:innen können darauf hoffen, breite Unterstützung von außerhalb des Dorfes zu bekommen. Mehr als 10000 Menschen haben in der Petition »X-Tausend für Lützi« angekündigt, sich schützend vor Lützerath zu stellen, sollte es zu einem Abriss kommen. Dies ist als Ankündigung zumindest von Blockaden und zivilem Ungehorsam zu werten. Die Gruppe Ende Gelände, die regelmäßig massenhafte Blockaden mit tausenden Menschen organisiert, hat sich schon angekündigt.
Bürgerliche Umweltschutzorganisationen wie der BUND oder Campact werden sich ebenfalls am Protest beteiligen: Für den 14.1., mitten im voraussichtlichen Zeitraum der Räumung, wurde eine Großdemonstration in unmittelbarer Nähe angemeldet, gemeinsam mit den Schüler:innen von Fridays For Future. Die Aktionsgruppe Zucker im Tank ruft dazu auf, sich an vielen Orten innerhalb und außerhalb des Kohlereviers mit unberechenbaren Kleingruppenaktionen dem Abriss zu widersetzen. Und sogar die Letzte Generation denkt über eine Beteiligung nach.
Wer sich nach Beginn der Räumung an Demonstrationen oder Aktionen zivilen Ungehorsams beteiligen möchte, für den ist vor allem ein Anlaufpunkt wichtig: Auf dem Keyenberger Sportplatz, wenige Kilometer nördlich von Lützerath, wird dann »Unser aller Camp« entstehen. Wenn das Dorf abgeriegelt wird, ist diese Versammlung legal zugänglich. Von dort kann man sich dann an Aktionen beteiligen – warme Kleidung und ein guter Schlafsack sind dringend empfohlen.
Alle Zeichen stehen auf Sturm: Die Klimabewegung ist über alle Strömungen hinweg geeint, um sich der schwarz-grünen Landesregierung und ihrer Räumung zu widersetzen. Gleichzeitig ist von dort kein Einlenken mehr zu erwarten. Im Rheinland wird es also erneut zu einem Showdown um das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze kommen.
Der Autor ist in der rheinischen Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und selbst an den Vorbereitungen auf die Räumung beteiligt.
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