Unternehmer dürfen weiter Menschenrechte missachten
von Volker Brauch
Das im Juni 2021 verabschiedete deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) tritt am 1.1.2023 in Kraft. Was wird es bewirken?
In der Vergangenheit gab es immer wieder erschütternde Berichte von Menschenrechtsverletzungen und Todesfällen im Zusammenhang mit Menschen, die insbesondere am Anfang globaler Lieferketten stehen, und mit mangelhafter Unternehmerverantwortung.
In Erinnerung geblieben ist die Textilfabrik in der Nähe von Dhaka in Bangladesh, die wegen katastrophaler Sicherheits- und Brandschutzbedingungen ausbrannte. Mindestens 111 Näherinnen fanden dabei den Tod, weil sie sich aus dem Gebäude in den oberen Etagen nicht befreien konnten. Hier wurden Textilien für den deutschen Markt hergestellt.
Ebenfalls im Gedächtnis geblieben ist die dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale gehörende Mine und das dazugehörende Rückhaltebecken, dessen Damm im Januar 2019 brach und in der Gemeinde Brumadinho 272 Menschen in den Tod riss. Unmengen giftigen Klärschlamms ergossen sich in das Tal. Obwohl massive Stabilitätsprobleme bekannt waren, hatte der deutsche TÜV Süd dem Damm nur ein Jahr zuvor Unbedenklichkeit und Sicherheit bescheinigt.
In der Stadt Hazaribagh, ebenfalls in Bangladesh, leiden Anwohner:innen von Gerbereien unter Haut- und Atemwegskrankheiten. Die Stadt gilt wegen ihrer industriellen Abfälle weltweit als einer der zehn giftigsten Orte.
Dort wo die Wertschöpfungsketten ihren Anfang haben, herrschen menschenverachtende Ausbeutung, Hungerlöhne, zerstörte Regenwälder, Kinderarbeit, untragbare Arbeitsbedingungen und massive Menschenrechtsverletzungen. Das gilt insbesondere für die Lederindustrie mit ihren gesundheitsgefährdetengesundheitsgefährdenden Chemikalien; es gilt dort, wo Kinder seltene Erden aus dem Boden kratzen; und in den Schwitzbuden von Bangladesh, wo Textilarbeiterinnen zu Armutslöhnen schuften. Dazu gibt es Verbote gewerkschaftlicher Organisation und Umweltschädigungen aller Art.
Die Ignoranz solcher Zustände verschafft deutschen und internationalen Unternehmen Milliardengewinne. Ein jahrzehntelanger Wettbewerb um niedrige Sozial- und Umweltstandards erbrachte immer größere Gewinne. Bewusste Unkenntnis oder Wegschauen waren und sind an der Tagesordnung. Dass Unternehmen hierfür Verantwortung übernehmen oder haften, gab es so gut wie nicht.
Grundsätze und Absichtserklärungen
Zahlreiche Studien belegen, dass eine freiwillige Selbstkontrolle der Unternehmen nicht funktioniert, um derartige Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Im Erhebungsjahr 2020 erfüllten lediglich 13–17 Prozent der untersuchten Unternehmen die Kriterien des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung (NAP). Die Einschränkung von Kinderarbeit auf Kakaoplantagen durch die Intervention von Lebensmittelkonzernen ist damit weitgehend gescheitert.
Im Zusammenhang mit dem aktuell diskutierten EU-Lieferkettengesetzes äußerte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: »Weltweite Geschäfte, globaler Handel – alles dies ist gut und notwendig. Aber das kann niemals auf Kosten der Würde und der Freiheit der Menschen gehen … Menschenrechte sind nicht käuflich – für kein Geld der Welt.« An edlen Absichtserklärungen fehlt es nicht. Die deutsche Regierungspolitik sah sich genötigt, hier etwas zu unternehmen.
Das mit Beginn des Jahres 2023 in Kraft tretende Gesetz soll Unternehmen nun auf nationaler Ebene verpflichten, in ihren Lieferketten Verantwortung für Menschenrechte, Grundfreiheiten und Umweltstandards zu übernehmen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) aus dem Jahr 2011 legen diese Verantwortung für Unternehmen fest, unabhängig von deren Größe oder Rechtsform. Die UNLP gehören zu den wichtigsten international anerkannten Standards der Unternehmensverantwortung. Die entsprechenden Leitsätze der OECD (das ist der Club der reichsten Staaten der westlichen Welt) erfassen die gesamte Wertschöpfungskette. Die UN-Leitprinzipien gelten ebenfalls für alle Finanztätigkeiten. Die OECD stuft den Finanzsektor als menschenrechtlichen Risikosektor ein.
Das Lieferkettengesetz nimmt für sich in Anspruch, deutsche Firmen und Unternehmen zu zwingen, Schäden an Menschen und Umwelt durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, die menschliche Gesundheit zu schützen und wirksame Vorbeugemaßnahmen zu ergreifen. Durch die Sorgfaltsverpflichtung und Übernahme von Verantwortung für die gesamten Herstellungs- und Transportverfahren, die Arbeitsbedingungen, die Umweltstandards und das Abstellen von Missständen soll ein fairer internationaler Wirtschaftsablauf und Handel gewährleistet werden.
Vorgeschichte
Von Anfang an leisteten Unternehmer und Wirtschaftslobbyisten Widerstand mit dem Ziel, das Gesetz zu verhindern. Es wurde grundsätzlich abgelehnt und als »ein falscher Weg« beschrieben. Es habe nicht kontrollierbare juristische Konsequenzen und negative Folgen für die deutsche Wirtschaft, die im internationalen Wettbewerb benachteiligt würde. Globale Lieferketten, wie wir sie heute kennen, seien dann nicht mehr möglich.
Der Bundesverband der deutschen Industrie, die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der Einzelhandelsverband machten gemeinsam ihren Einfluss unter der vorherigen Regierung insbesondere im Auswärtigen Amt, im Wirtschaftsministerium, im Kanzleramt und im Entwicklungsministerium geltend, um sich einer Kontrollpflicht zu entziehen. Der Bundesverband der Mittelständischen Industrie twitterte seinerzeit: »Es ist wichtig, wirtschaftsfeindliche Barrieren wie das Lieferkettengesetz nun von der politischen Agenda zu streichen.« Auch der Wirtschaftsrat der CDU lehnte das Gesetz ab. Die Mobilisierung dieser geballten Macht führte letztlich zu einer deutlichen Verwässerung und Abschwächung des ursprünglichen Entwurfs. Wenn es schon nicht gelang, das Gesetz durch Blockade zu verhindern, musste es durch juristische Hintertürchen und Schlupflöcher so geändert werden, dass es uneffektiv blieb.
Wirkungslos
Das so abgeschwächte Gesetz liest sich im Ergebnis wie ein zahnloser Tiger.
Der Ursprungsgedanke, dass Unternehmen von Anfang bis Ende der Wertschöpfungskette Verantwortung für die Arbeiter:innen übernehmen und Menschenrechtstandards garantieren müssen, löste sich in Luft auf. Die Sorgfaltspflichten beziehen sich im Gesetz lediglich auf »den eigenen Geschäftsbereich für unmittelbare, nicht aber für mittelbare Zulieferer«. Bei mittelbaren Zulieferern brauchen Unternehmen nicht aktiv werden: Also genau da, wo in der Regel Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen stattfinden, darf weggeschaut werden. Lediglich anlassbezogen, wenn »substantiierte Kenntnis« über Verletzungen ersichtlich sind, soll eine Risikoanalyse durchgeführt werden. Damit wird der Präventionsgedanke eingeschränkt: Wer legt fest, wann Kenntnisse von Verletzungen ersichtlich sind?
Wenn durch Missachtung der Sorgfaltspflicht Schäden an Menschen und Natur entstehen, haften die Unternehmen nicht. Wie vor der Verabschiedung des Gesetzes haben Geschädigte keine Chancen, ihre Rechte vor deutschen Gerichten einzuklagen. Einen Schutz von Umwelt und Natur gibt es nur marginal; eine umfangreiche, umweltbezogene Sorgfaltspflicht fehlt definitiv.
Für die UN-Leitprinzipien der Wirtschaft sind wirksame Abhilfe und Wiedergutmachung für Betroffene von zentraler Bedeutung. Doch das Lieferkettengesetz sieht gar nicht vor, dass Betroffene über Rechtsmittel Wiedergutmachung erlangen können. Lediglich im Rahmen von Geldbußen nach §24 Abs.4 Nr.7 finden Ausgleichszahlungen statt, wenn überhaupt.
Bei weitem nicht alle deutschen Unternehmen werden vom Lieferkettengesetz erfasst. Es sind Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden, ab 2024 auch Unternehmen ab 1000 Beschäftigten. Unternehmen mit über 250 Beschäftigten sowie kleinere und mittlere Unternehmen, die in Billiglohnländern ebenfalls aktiv sind, fallen aus dem Gesetzesrahmen komplett heraus.
Ein notwendiger Bezug zu indigenen Gruppen und deren Beteiligungsrechten existiert nicht. Es gibt auch keinen Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen, da es diesbezüglich keinen Verbotstatbestand gibt. Gerade solche Menschenrechtsverletzungen finden häufig entlang der globalen Lieferketten statt.
Im Gegensatz zur ursprünglichen Zielsetzung wurde auf Druck der CDU-Fraktion das Lieferkettengesetz nicht mit einer eigenen haftungsrechtlichen Anspruchsgrundlage ausgestattet. Besser lässt sich seine Zahnlosigkeit nicht beschreiben.
Die wirtschaftliche Konkurrenz auf den globalen Märkten erfordert die Senkung von Herstellungskosten. Einschränkungen des Profits durch einen rechtlichen Rahmen, der Menschen- und Kinderrechte und den Schutz der Umwelt garantiert, sind nicht vorgesehen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ändert an diesen Voraussetzungen nichts.
Den Betroffenen in den Billiglohnländern und entlang der internationalen Lieferketten bleibt nur, sich durch eigenständige Organisation und Widerstand ihre existenziellen Rechte zu erkämpfen.
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