... am Ende des Jahres
von Angela Klein
Der heiße Herbst fand nicht statt. Die Regierung hat eine Menge Geld in die Hand genommen und eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet Sanktionen gegen Russland.
Das Ausland staunt: 295 Milliarden Euro gegen die Teuerung plus 200 Milliarden für die Bundeswehr – wer soll das bezahlen? Die drei Entlastungspakete der Bundesregierung kosten zusammen 95 Milliarden, die Gaspreisbremse 200 Milliarden, wobei 25 Milliarden für die Rettung des Gasimporteurs Uniper (Aktienkauf plus Kreditlinien) nicht eingerechnet sind. In den Entlastungen verstecken sich allerdings auch etliche sozialpolitische Maßnahmen, die von der Regierung ohnehin geplant waren, wie das Bürgergeld, die Anhebung des Kinder- und des Wohngelds und andere.
Mit den 200 Milliarden für die Gaspreisbremse subventioniert der Staat private Gaskonzerne und entlastet so die Verbraucher. Er beschneidet aber nicht die obszönen Gewinne, die diese Konzerne aus der vorübergehenden Gasknappheit ziehen. Am unteren Ende der Einkommen werden 3,7 Millionen Hartz-IV-Beziehende mit 5 Euro mehr im Monat abgespeist. RentnerInnen bekommen immerhin eine Einmalzahlung von 300 Euro. Wer in Lohn und Brot steht, erhält gleichfalls nur eine einmalige Zahlung, während die Löhne meilenweit hinter der Inflation zurückbleiben.
Durchsichtige Manöver, aber wirksam: Viele Menschen halten die Teuerung für einen bösen Traum, der nach dem Winter verflogen sein möge. Die Einmalzahlungen und Entlastungen bei den Heizkosten verbreiten das Gefühl, dass der »Solidarbeitrag« für die Ukraine immer noch halbwegs erträglich ist – und dass dieser Beitrag nötig ist, wird nicht Frage gestellt.
Die Ukrainepolitik der Bundesregierung wird trotz ihrer bellizistischen Außenministerin von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Sonst wäre die Unruhe in der Gesellschaft viel größer. Das Statistikportal Statista hat am 4.November eine Befragung durchgeführt, derzufolge 31 Prozent der Befragten die Sanktionen gegen Russland für angemessen halten, 37 Prozent gehen sie nicht weit genug! Die deutschen Waffenlieferungen halten 41 Prozent der Befragten für angemessen, 31 Prozent für zu weitgehend. Immerhin bemängeln 55 Prozent, dass die diplomatischen Anstrengungen, um den Krieg zu beenden, nicht ausreichend seien.
Diese Zahlen zeigen, dass der Wunsch nach einem schnellen Kriegsende wächst. Er wird weiter wachsen, je deutlicher wird, dass der Krieg kein eindeutiges Ergebnis hervorbringt und alle Seiten letztlich in einer Sackgasse landen. Die vorherrschende Meinung glaubt, dass Putin Grenzen aufgezeigt werden müssen, dies aber eher wirtschaftlich als militärisch, weil die Gefahr einer unkontrollierten Eskalation zu groß sei. Inzwischen sagt das auch niemand anderer als NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Am 9.Dezember warnte er in einem Interview des norwegischen Rundfunks NRK, die Kämpfe könnten in einen Krieg zwischen Russland und der NATO münden: »Wenn die Dinge schief gehen, können sie furchtbar schief gehen.«
Macht sich die Friedensbewegung unglaubwürdig, wie verschiedentlich behauptet wird, wenn sie auf einen Waffenstillstand und Verhandlungen drängt? Wohl kaum. Beide Seiten werden sich von Maximalforderungen verabschieden müssen: Russland davon, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied sein könne, die Ukraine davon, den Zustand von 2013 einschließlich der Krim wiederherzustellen. Die Ausgangsbedingungen für die Friedensbewegung sind heute allerdings viel schlechter als in den 80er Jahren: Erstens ist sie Opfer einer Tauwetterperiode in den 90er Jahren geworden, als der Kalte Krieg beendet schien. Heute aber muss sie sich zweitens wieder gegen härteste Anfeindungen behaupten, vergleichbar denen in den 50er und 60er Jahren, als sie schon einmal als fünfte Kolonne Moskaus galt. Wer für Friedensverhandlungen eintritt, wird als Putinist niedergebrüllt – die Redefreiheit ist das erste Opfer des Krieges.
Bislang hat die Bundesregierung erfolgreich das Bild vermittelt: Putin ist schuld an der Inflation, aber die Regierung hilft. Die Gewerkschaftsführungen unterstützen diese Linie, indem sie Lohneinbußen hinnehmen. Für die besser verdienenden Teile der Arbeiterklasse werden diese erst mit Verzögerung spürbar werden. Da sind große Streikbewegungen wie in Großbritannien nicht zu erwarten.
Aber ist Putin wirklich verantwortlich für die Teuerung? Der Preisanstieg bei den Energieträgern setzte bereits im April und Mai 2020 ein, und zwar mit wenigen Ausnahmen weltweit. Er war zunächst eine Folge der Verknappung, als wegen der Pandemie die globalen Handelsströme unterbrochen wurden. Dann stiegen die Preise ab Anfang 2021 rasant, weil sich die Nachfrage nach der ersten Welle der Pandemie wieder belebte. Einen erneuten Schub bekamen die Energiepreise im März 2022 mit dem russischen Überfall auf die Ukraine. In Deutschland erreichten sie einen Höhepunkt im August und September, als die Schließung von NordStream 1 verkündet wurde. Die Energiepreisinflation geht mit einem Höhenflug der Nahrungsmittelpreise einher, weil auch Düngemittel und Transport teurer werden.
Ob der Preisauftrieb anhalten wird, wird derzeit unter Ökonomen kontrovers diskutiert. Die westlichen Zentralbanken, allen voran die Federal Reserve in den USA, haben mit kräftigen Anhebungen des Leitzinses reagiert, was die Sollzinsen stark verteuert. Teures Geld soll einer Überhitzung der Konjunktur entgegengewirken, so ihre Theorie. Von einer überhitzten Wirtschaft kann aber derzeit gar keine Rede sein. Der Energiepreisschock ist auf die plötzliche Verknappung von Öl und Gas zurückzuführen, was die Spekulanten auf den Plan rief. Der Preis kann ebenso schnell wieder fallen, wenn der Flaschenhals durch das Ankurbeln der Öl- und Gasförderung in anderen Teilen der Welt beseitigt wird. Tatsächlich ist der Gaspreis bereits wieder drastisch gesunken, wenn auch nicht auf das Niveau vor der Pandemie. Wie es mit den Energiepreisen weitergeht, hängt vom Verlauf des Krieges ab.
Auch die Klimakatastrophe in Gestalt von Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen treibt die Preise. Selbst die Abkehr von fossilen Energieträgern trägt dazu bei. Und dann gibt es noch die ganz ordinäre, hausgemachte Inflation aufgrund der konjunkturellen Entwicklung. Im Atlas der Weltwirtschaft rechnen die Autoren die Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln aus der allgemeinen Inflationsrate heraus. Übrig bleibt die Kerninflation, die nicht durch äußere Schocks induziert ist. Sie beträgt in den USA 5 Prozent (von 9 Prozent), in Großbritannien 4,5 (von 8 Prozent). In Deutschland und in der Eurozone ist der Unterschied noch größer, hier beträgt die Kerninflation nur 2 bis 3 Prozent (von rund 10 Prozent).
Die Europäische Zentralbank will jedoch keine eigenen Wege gehen, sondern ihren Leitzins dem der Fed und der Bank of England anpassen. So verteuern sich die Kredite gerade für Klein- und Kleinstunternehmen, die ohnehin von der Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen am meisten gebeutelt wurden. Ihnen wird die Zinserhöhung weh tun, trotz der Trostpflaster der Bundesregierung.
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