Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2023

Ray Loriga: Kapitulation. Hamburg: CulturBooks, 2022. 200 S., 24 Euro
von Gerhard Klas

Eine zerstörte Umwelt und seit zehn Jahren Krieg. Nur eine gläserne Stadt ohne Geheimnisse scheint noch das Überleben zu ermöglichen. Eine beklemmende Dystopie aus der Feder eines der populärsten zeitgenössischen Schriftsteller in Spanien: Ray Loriga. Er arbeitet seit vielen Jahren als Drehbuchautor, u.a. mit dem Filmregisseur Pedro Almodóvar, hat den in Spanien hoch angesehenen Literaturpreis Alfaguara erhalten, vergleichbar etwa mit dem hiesigen Deutschen Buchpreis oder Georg-Büchner-Preis.

Gegenseitiges Misstrauen und der Kampf um die knappe Ressource Wasser prägen den Alltag des Dorfes, in dem auch der namenlose Protagonist mit seiner Frau und einem Ziehsohn lebt. Die beiden leiblichen Söhne sind längst im Krieg verschollen. Der Waffennarr und Naturliebhaber hat eine Methode entwickelt, die ihn überleben lässt und gleichzeitig das Dilemma postdemokratischer Gesellschaften auf den Punkt bringt: gehorchen um zu überleben, zweifeln nur noch für sich selbst.
Lorigas Stilmittel ist der Monolog. Seite für Seite legt er den geistigen Horizont seines Protagonisten offen: Ein bedauernswerter Macho mit wenig Bildung, der zusehends an der Realität verzweifelt. Vorgeblich weiß er aber immer, was richtig ist – auch als der Regierungsbefehl für die Umsiedlung in die gläserne Stadt kommt und er zusammen mit den anderen männlichen Bewohnern sein Heimatdorf in Schutt und Asche legt.
Die gläserne Stadt, in der er und seine Familie nach einer langen Odyssee schließlich ankommen, ist perfekt organisiert. Wirtschaftliche Grundlage ist das Reclycling von menschlichen Fäkalien. Die Grundbedürfnisse werden befriedigt, sogar Rausch ist erlaubt. Alle wissen alles über alle. Aber niemand erfährt, was draußen passiert: Das Schicksal der beiden Söhne, die vor Jahren als Soldaten in den Krieg zogen, bleibt bis zum Schluss offen. Dem Albtraum der gläsernen Stadt kann der Protagonist irgendwann entfliehen – aber draußen wartet nur das bittere Ende.

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