Die Grüne Woche in Berlin hat eine lange Tradition, der Protest gegen sie mittlerweile auch
dokumentiert
Seit 2011 protestieren Landwirte, Tier- und Umweltschützer gegen die Dominanz der Lebensmittelkonzerne und Düngemittelhersteller und für eine »sozial-ökologische Transformation«. Die Trecker im Demonstrationszug zeigen, dass viele Bäuerinnen und Bauern ökologisch durchaus nachhaltig wirtschaften wollen. Der Bauernverband (DBV), der die Grüne Woche veranstaltet, setzt dagegen auf steigende Agrarexporte, übt den Schulterschluss mit der verarbeitenden Industrie und sperrt sich nach Kräften gegen ökologische Reformen.
Seit einigen Jahren ist eine weitere Veranstaltung hinzugekommen: Landwirte protestieren unter dem Motto »Wir machen euch satt!«. Sie fühlen sich gekränkt von der öffentlichen Kritik an der Landwirtschaft und beklagen schärfere Umweltschutzauflagen. Sozusagen eine Gegendemonstration gegen die Demonstration gegen die Agrarindustrie – letztlich also ein Plädoyer zur Verteidigung der Agrarindustrie?
Ganz so einfach ist es nicht. Gruppierungen wie »Land schafft Verbindung« oder die »Grüne Kreuze Bewegung zeigen, dass die Integrationskraft des Bauernverbands nachgelassen hat. »Wir machen euch satt!« nennt sich selbst eine Graswurzelbewegung, allerdings hat der DBV ihre Proteste wiederholt unterstützt. Bei der Grüne Kreuze Aktion handelt es eher um »Kunstrasen« als um echte Graswurzeln: Initiiert wurde sie von Wilhelm Kremer-Schilling, einem ehemaligen Manager von Schering und dem Zuckerhersteller Pfeifer & Langen, der im Internet als »Bauer Willi« auftritt. Mit den Holzkreuzen am Straßenrand warnen Landwirte vor einem drohenden Höfesterben.
Diese Bewegungen sind politisch uneindeutig. Die Erzeuger fühlen sich eingeklemmt zwischen dem Lebensmittelhandel, der ihnen Preise diktiert, die kaum ihre Kosten decken, und den Unternehmen, die ihnen Betriebsmittel verkaufen: Landmaschinen, Mineraldünger, Pestizide, teilweise auch Saatgut und Nutztiere, die sie heranziehen. Der Marktanteil der vier großen Lebensmittelhändler Edeka, Rewe, Lidl und Aldi liegt bei fast 90 Prozent. Sie zwingen die Erzeuger regelmäßig zu Preissenkungen, während sie sich selbst dreist als Lösung für die Umweltkatastrophe präsentieren: Jeder Einkauf ein kleiner Beitrag zur Weltverbesserung!
Zusätzliche Kosten, weil bspw. Vorschriften für die Stickstoffdüngung strenger werden, bedeuten für einige Betriebe tatsächlich den Bankrott. Die Reaktion reicht vom Verleugnen der ökologischen Krise (sogar Sympathiebekundungen für AfD und völkische Positionen) bis zu einer fortschrittlichen Interessenpolitik, wie sie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) vertritt. »Land schafft Verbindung« spaltete sich, weil die Mitglieder sich nicht einig werden konnten, wie sie sich zum DBV stellen sollten, der personell und politisch eng mit der Lebensmittelindustrie verbunden ist. Die Bewegung blockierte 2019 und 2020 sogar Warenlager von Aldi und Lidl.
Seit Jahrzehnten haben Landwirte nur die Wahl, zu wachsen oder zu weichen. Notgedrungen wurden sie zu Agrarunternehmern. Die durchschnittliche Größe der Höfe stieg, ihre Anzahl sank. Wachsen bedeutet aber notwendigerweise investieren, mithin Kredit aufnehmen. Viele Betriebe sind hochverschuldet und schauen bange auf die Zinsentwicklung. Die heftigen Bauernproteste in den Niederlanden im Sommer 2022 lassen sich nur begreifen vor dem Hintergrund, dass viele Landwirte der Bank Millionenbeträge schulden.
Trotz staatlicher Zuschüsse für die »
« werden viele Betriebe nicht überleben, insbesondere kleinere Höfe mit geringen Gewinnspannen und hohen Finanzierungskosten. So könnten die ökologisch begründeten Agrarreformen die Konzentration weiter vorantreiben. Eine echte Transformation des Sektors kann nur gelingen, wenn die Erzeuger gegenüber der Input-Industrie und den Vermarktern gestärkt werden.
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