Connection e.V. im Gespräch mit einem Kriegsdienstverweigerer aus der Ukraine
Gespräch mit Ruslan Kotsaba
Ruslan Kotsaba ist aus der Ukraine geflohen, weil er öffentlich gegen den Krieg aufgetreten ist, ihm drohen fünf bis sieben Jahre Gefängnis. Am 17.Oktober hielt er einen Vortrag bei der DFG-VK in Mainz, die mit Demonstrationen und Mahnwachen vor dem ukrainischen Konsulat in Mainz gegen seine Festsetzung protestiert hatte. Connection e.V. führte ein Interview mit ihm.
Wie gelang dir die Ausreise?
Männer von 18 bis 60 Jahren haben keine Möglichkeit das Land zu verlassen. Aber es gibt gesetzliche Ausnahmen. Eine davon ist, dass du deine Eltern oder deine Frau, falls diese behindert sind, bei der Ausreise zur Unterstützung begleiten kannst. Meine Mutter hat gesundheitliche Probleme, und so hatte ich die Möglichkeit, mit ihr ins Ausland zu gehen. Das ist legal, aber du benötigst dafür entsprechende medizinische Atteste. Anschließend ging sie wieder zurück und ich blieb in Deutschland. Wenn ich nun in der Ukraine wäre, hätte ich Probleme, da ich ein Fall für das Gericht bin. Ich war im Hausarrest und der Staatsanwalt könnte verfügen, dass ich inhaftiert werde.
Ich will nun in die USA gehen, meine zwei Brüder leben dort. Und es gibt dort ein Unterstützungsprogramm: United for Ukraine. Ich habe ein Schreiben der US-Regierung, dass ich eine Möglichkeit habe, einzureisen und dort zu arbeiten. Ein Abgeordneter des Bundestags ist mit mir in die Generalversammlung des Europäischen Parlaments gefahren, um Abgeordnete aus Österreich, Deutschland und Frankreich zu treffen. Bei denen habe ich nachgefragt, ob ich in der EU einen Status als politischer Flüchtling bekommen kann. Alle sagten, dass es da Schwierigkeiten geben dürfte aufgrund meiner politischen Einstellung. Das Selenskyj-Regime könnte z.B. über Interpol meine Auslieferung verlangen.
Ich bestreite nicht, dass Putin die Ukraine angegriffen hat, und ich denke, dass er damit einen großen Fehler begangen hat, aber in Europa und in den USA gibt es viele Leute, die denken, dass der Krieg gewonnen werden kann. In den USA ist man sehr glücklich, weil die deutsche Ökonomie runter geht und die USA profitieren davon. Wäre es da nicht normal, über einen Friedensprozess nachzudenken? Aber das darf in der Öffentlichkeit nicht gesagt werden.
Ein großes Problem ist auch, dass die europäischen Länder russische Bürger nicht unterstützen, damit sie nach Europa können. Denn viele Leute in Russland haben bei den Wahlen nicht für Putin gestimmt. Aber wenn die Grenzen geschlossen sind, denken sie, dass ihre Position nicht unterstützt wird. Die Schließung der Grenzen bedeutet eine Unterstützung für das Putin-Regime und eine Abwertung der russischen Gesellschaft.
Was geschieht mit Kriegsdienstverweigerern?
Wir haben Kriegsrecht und einen Prozess der Mobilisierung. Wenn du den Einberufungsbefehl bekommst und nicht hingehst, musst du für drei bis fünf Jahre ins Gefängnis. Du hast keine Möglichkeit, aus religiösen oder anderen Gründen zu sagen, ich will nicht kämpfen. In der Armee wirst du zwei Wochen ausgebildet, dann geht es an die Front in den Osten oder in Süden der Ukraine. Mit Geld, wenn du 2000, 3000 oder gar 5000 Euro bezahlen kannst, kannst du das Land verlassen. Das ist zwar nicht legal, aber üblich. Die Ukraine ist ein sehr korrupter Staat. Die jungen Leute, die jetzt überall in Europa sind, die haben bezahlt. Den Nutzen haben europäische Länder wie Polen und Deutschland. Dort sind ukrainische Flüchtlinge billige Arbeitskräfte. Vermutlich wollen viele der Geflohenen nicht mehr in die Ukraine zurückkehren.
Die Grenze nach Westeuropa ist geschlossen. Ist eine Flucht in den Osten, nach Russland und Georgien, möglich?
Ja, ich habe davon gehört. Viele Ukrainer, besonders aus der Südukraine, aus Cherson, Donezk und aus Kraijna haben Verwandte in Georgien. Da die Grenze nach Westeuropa geschlossen ist, bleibt ihnen keine andere Wahl. Ich kenne zwei Männer, die waren in Mariupol und arbeiteten in Asowstal, die wollten, als die russische Armee kam, in die Ukraine, aber sie kamen nicht durch die Front. Wer aus diesen Gebieten nach Kiew fliehen will, muss über Russland, die baltischen Staaten und Polen. Es gibt derzeit keine andere Route.
Werden Russen diskriminiert?
Ja. Wenn jemand in der Arbeit, z.B. in einem Restaurant, in der Universität, in der Schule usw. Russisch spricht, bekommt er Probleme, denn das ist nicht erlaubt und du wirst entlassen. Zuhause oder auf der Straße ist es aber möglich.
Was wäre deiner Ansicht nach eine ideale Sprachpolitik für die Ukrainie?
Eine gemeinsame Sprache ist natürlich gut für eine Nation. Aber die Regierung vertritt das Konzept: Ein Staat, eine Sprache, eine Nation.
Ich habe gehört, dass Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, und auch andere kritisiert wurden, weil sie Interviews in Deutsch oder anderen Sprachen gegeben haben.
Das ist so. Nach dem Sprachgesetz dürfen Offizielle nur Ukrainisch sprechen. Wenn sie in anderen Sprachen sprechen, kann eine Geldbuße gegen sie verhängt werden. Hätte Präsident Poroschenko nicht dieses Sprachproblem geschaffen, hätte es vielleicht auch keinen Krieg gegeben. Denn in den südlichen und östlichen Teilen der Ukraine dachten viele Leute, dass Kiew sie diskriminieren will, weil sie Russisch sprechen – und haben deswegen zu den Waffen gegriffen.
Wie siehst du die internationale Unterstützung für Selenskyj?
Vor drei Jahren, als Selenskyj sich zur Wahl stellte, da konnte man unter anderem seine Wohnung in London bewundern und sein gutes Verhältnis zu Boris Johnson, seinem Freund. Selenskyjs Macht speist sich aus der internationalen Unterstützung, vor allem aus Großbritannien.
Was muss geschehen, damit es zu einem Frieden kommt?
Momentan sehe ich noch keinen Ausweg aus der Situation. Es erinnert mich an den Vietnamkrieg der USA. Da war es lange genauso. Bis, ich glaube, es war 1967, als es zum ersten Mal eine große Demonstration dagegen vor dem Pentagon gab. Da kamen Frauen der Soldaten, Kinder der Soldaten… Das war ein Wendepunkt in der Gesellschaft. Das US-amerikanische Establishment hatte kein Interesse an einer Beendigung des Konflikts. Aber die Politiker mussten auf die Demonstration reagieren. Denn jeder Krieg verursacht viel menschliches Leid und kostet eine Unmenge Geld. Selbst wenn die ukrainische Gesellschaft einen Friedensprozess wollen würde, man würde nirgends auf sie hören.
Dieses Blockdenken ist für die Ukraine eine große Tragödie, denn jeden Tag sterben Leute, jeden Tag gibt es Bomben und Zerstörungen. Ich sehe es so: Die pazifistische Bewegung ist verloren. Wir haben nicht gut gearbeitet. Die Leute lieben den Krieg, nicht nur die in der Ukraine, auch die in den europäischen Ländern. Und dieser Krieg wird größer und größer. Es ist eine schreckliche Situation, denn in der Ukraine findet ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland statt. Die Ukrainer haben die größten Probleme, große Teile der ukrainischen Gesellschaft haben alles verloren und es gibt kein absehbares Ende.
Quelle: https://de.connection-ev.org/article-3677. Connection e.V. unterstützt Kriegsdienstverweigerer auf der ganzen Welt.
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