Das alljährliche Fest der Waren-Liebe
von Werner Ott
Fröhlich beschwingt von »Jingle Bells« oder gar einem Glas Glühwein, geblendet von all den Lichtern – das macht Kauflaune in der umsatzstärksten Jahreszeit. Von Nachdenken, Besinnlichkeit keine Spur in dieser bombastischen Warenwelt.
Die Weihnachtsgeschichte findet sich nur bei Lukas (um 100 u.Z.) und besagt: Das Kind in der Krippe ist der verheißene Retter der Welt – nicht der römische Kaiser! –, das gilt auch nach dem furchtbaren Scheitern des Aufstands gegen Rom. Jesus von Nazareth muss als Messias (in der Nachfolge König Davids aus Bethlehem) dort geboren sein und, nach der zeitgenössischen griechischen Vorstellung, wie Könige und Halbgötter auch von einer Jungfrau!
Die ärmliche Geburt, die Hirten am Rande der Gesellschaft – all das nimmt Lukas aus Jesu späterem Leben mit den Armen, Bettlern, Kranken, die er oft zu gemeinschaftlichem Essen zusammenbringt. Dem entspricht seine harsche Kritik an den Reichen: »…es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme« (Lk 18,25). Noch deutlicher lässt Lukas Maria sagen: »Er [Gott] stößt die Gewaltigen vom Thron« (Lk 1,52).
Gerade zu Weihnachten: Kein Friede mit den herrschenden Verhältnissen
Die sozial egalitäre Bewegung des Wanderpredigers Jesus und seine Kritik am Tempel in Jerusalem waren zu gefährlich. Und so beschließen Römer und die jüdischen Hohepriester, Jesus wegen Aufruhrs (INRI – König der Juden) kreuzigen zu lassen – die Strafe für Rebellen und flüchtige Sklaven, ein langes qualvolles Sterben.
Das in den sozialen Krisen der Spätantike stark angewachsene Christentum verweigerte sich aufgrund des Ersten Gebots (»Du sollst keine anderen Götter haben neben mir«) dem Kaiserkult, wurde deshalb blutig verfolgt, viele starben als Märtyrer.
Kaiser Konstantin schließlich nutzte das Christentum als ideologische Klammer für die Einheit des Reiches. Es hatte nun die Verfolgung überstanden – und gerade das führte zu seinem Untergang. Die Kaiser förderten es jetzt, die Eliten strömten in die Kirche und übernahmen sie. Es gab dagegen Widerstand, aber der Sündenfall war nicht aufzuhalten und die Kirche betete für die Macht »von Gottes Gnaden« – im Feudalismus wie im Kapitalismus.
Heutzutage lässt sich zu Weihnachten der Bundespräsident vernehmen, wünscht uns ein frohes Fest, bedankt sich bei den vielen ehrenamtlich helfenden Händen, ohne die unsere Gesellschaft so viel ärmer wäre. Doch die Schere geht weiter auseinander, die Schlangen vor den Tafeln werden länger – und immer wieder neue Helfer:innen versuchen sich in christlicher Nächstenliebe. So ist in Stuttgart 1995 die »Vesperkirche« entstanden, die in den Wintermonaten im Kirchenraum ein warmes Mittagessen ausgibt und weitere Unterstützungen, auch kulturelle Veranstaltungen anbietet. Mittlerweile haben sich über 50 Kirchen in Deutschland angeschlossen.
›Diese Wirtschaft tötet‹ (Papst Franziskus)
Dass die Kirche im karitativen Rahmen bleibt und nicht die gesellschaftlichen Strukturen angeht, zeigte sich vor allem 2008 in der Denkschrift der evangelischen Kirche »Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive«. Gegen die dort enthaltene »Legitimierung des neoliberalen Kapitalismus als soziale Marktwirtschaft« haben dann doch einige Christ:innen aus der Tradition der Theologie der Befreiung protestiert.
Auch der Papst wendet sich 2013 in einem Lehrschreiben (Evangelii Gaudium) gegen die herrschende Wirtschaftsform und geißelt die »Interessen des vergötterten Marktes« – ein absolutes Novum in der Kirchengeschichte! –, obwohl sonst manches an ihm zu kritisieren wäre. Den Kampf gegen diese Wirtschaft nahm ganz praktisch ein Jesuitenpater in Nürnberg zu Weihnachten 2021 auf, indem er aus Supermarkttonnen Lebensmittel holte und an Bedürftige verteilte, wobei es ganz entgegen seiner Absicht zu keinem Verfahren kam. Kürzlich hat er sogar an Blockaden der Letzten Generation teilgenommen.
Dem roten Stern von Bethlehem folgen
Aus solchen kleinen Aktionen entstehen mitunter plötzlich große Bewegungen – wie aus einem »Senfkorn … ein Baum« (Lk 13,19) –, wenn sie zur rechten Zeit erfolgen. »Der Revolutionär muss im Stande sein, das Gras wachsen zu hören«, sagt Marx, es gilt Möglichkeiten zu ergreifen oder, jüdisch gedacht, jederzeit bereit für das Kommen des Messias zu sein.
Und ich denke, das Gras wächst, der Boden ist bereitet, die Widersprüche spitzen sich immer mehr zu, die Alternativen: »Gott oder der Mammon«, »Sozialismus oder Untergang in die Barbarei« werden unausweichlich, der Ruf nach System Change unüberhörbar. Die Letzte Generation klebt sich fest und lässt auch uns nicht los.
Lasst uns also feiern, mit anderen zusammen, und Kraft schöpfen für die kommenden unausweichlichen, ungewissen Kämpfe.
»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht« (Vaclav Havel). Das ist absolut richtig: AMEN.
Werner Ott ist ehemaliger evangelischer Religionslehrer.
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