Die Kriminalisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung hat viele Gesichter
von Britta Rabe
Die Razzien am 13.Dezember 2022 bei der Letzten Generation kamen mit Ansage: Erst am 2.Dezember hatte sich die Innenministerkonferenz darauf verständigt, ein umfassendes Lagebild über die Gruppe zu erstellen und künftig womöglich als kriminelle Vereinigung nach §129 StGB zu behandeln. Nur elf Tage später folgten Hausdurchsuchungen bei mehreren Personen bundesweit, angeordnet durch die Staatsanwaltschaft Neuruppin in Brandenburg. Aufhänger waren mehrere Aktionen bei der PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt im April 2022.
Die Kriminalisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung ist nicht neu. Nicht nur in NRW sind der Bewegung im neuen Polizeigesetz ganze Paragrafen gewidmet. Der Präventivgewahrsam – die vorsorgliche Inhaftierung von bis zu sieben Tagen, ohne dass eine Straftat vorliegen muss – wurde von Innenminister Herbert Reul bei Einführung mit dem »Kampf gegen Terrorismus« begründet.
Das als »Lex Hambi« bekannt gewordene Gesetz hat allein zwischen 2019 und 2021 zur Inhaftierung von 204 Klimaktivist:innen geführt, nur sechs Personen wurden mit einer anderen Begründung inhaftiert. Bündnisse wie »Ende Gelände« stehen zudem im Fokus und werden in Verfassungsschutzberichten aufgeführt. Weiße Maler:innenanzüge werden in der Begründung zum Versammlungsgesetz NRW §18 als »Uniformierung« und Erkennungszeichen wahrer Gefahr stilisiert.
Zuletzt wurde eine beispiellose Hetze aus Politik und Medien gegen das stundenweise Blockieren des Autoverkehrs in verschiedenen Städten und Aktionen auf den Flughäfen in Berlin und München durch Aktivist:innen der Letzten Generation geführt. Der geifernde Mob überbot sich dabei mit Forderungen nach Höchststrafen – denn beim Auto und dem Flugzeug hört in Deutschland der Spaß auf.
Juristisch gesehen sind Sitzblockaden allerdings vom Versammlungsrecht gedeckt, nachzulesen im Brokdorf-Urteil von 1986. Das Bundesverfassungsgericht bewertete zudem in zwei Grundsatzurteilen 1995 und 2001, dass Sitzblockaden nicht automatisch als verwerfliche Nötigung nach §240 StGB zu betrachten seien, sofern diese dem Erreichen der eigentlichen Demonstrationsziele, Aufmerksamkeit zu erregen, dienten und Ausdruck von Protest seien.
Inzwischen haben Gerichte sogar erweiterte Möglichkeiten, Klimaprotest eben nicht zu kriminalisieren – ein aktuelles Urteil aus Flensburg sollte in dieser Hinsicht Schule machen: Im Dezember 2022 sprach das dortige Amtsgericht die für eine Baumbesetzung angeklagte Person frei. Begründet wurde dies mit dem rechtfertigenden Notstand im Sinne des Klimaschutzes.
Infrastruktur als zu schützendes Grundbedürfnis
Der für das Aufhalten der Klimakatastrophe notwendige Systemwechsel ist indes nicht im Interesse von Industrie und Kapital. Und so wird alles versucht, um Klimaprotest zu diskreditieren und kriminalisieren. Dafür werden neben der Anwendung des §129 verschiedene Wege eingeschlagen. Auf die Unterbrechung von Mobilität wird bereits seit langem äußerst empfindlich reagiert.
Neben Bahnnetzen zählen seit den kurzzeitigen Interventionen der Letzten Generation auf den Flughäfen von Berlin und München nun auch Flughafengelände als kritische Infrastruktur, für deren Unterbrechung diverse Stimmen drakonische Strafen fordern.
Der Autoverkehr erhält im öffentlichen Diskurs inzwischen ein ebensolches Prädikat, das ihn unantastbar machen soll. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) etwa sieht das Blockieren des Straßenverkehrs als »gezielte Angriffe auf unsere Infrastruktur«.
Ein Gesetzesantrag der CDU im Bundestag unter Federführung der Hardliner Friedrich Merz und Alexander Dobrindt vom 8.November 2022 mit dem Titel »Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen« fordert Strafrechtsverschärfungen. Der Antrag wurde zwar abgelehnt, doch sprachen in der Debatte nicht nur CDU und AfD, sondern auch diverse Mitglieder der Ampelkoalition den Protestformen der Letzten Generation jegliche Legitimation ab.
Andere Mitverursacher des Klimawandels werden ebenfalls als zu schützende Infrastruktur geadelt. Bedingt durch die Energieknappheit anlässlich des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine werden derzeit stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen und Atomkraftwerke sollen unter den Grünen länger laufen.
Mit Verweis auf unser aller Energiesicherheit werden Aktionen auf Kraftwerksgeländen als gefährdete Infrastruktur zum Anlass aggressiver Repression: Nach einer Blockade des Lausitzer Braunkohlekraftwerks in Jänschwalde am 19.September wurden zwei Aktivist:innen unbekannter Identität zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Die Aktivist:innen hatten die Kohlezufuhr zum Kraftwerk an mehreren Stellen unterbrochen, indem sie sich an Gleisen und Förderbändern angekettet hatten, sodass zwei von vier Kraftwerksblöcken für mehrere Stunden abgeschaltet werden mussten.
Der Kraftwerksbetreiber LEAG wertete dies als »rücksichtslosen und riskanten Angriff auf die Sicherheit der Strom- und Wärmeversorgung in diesem Land« und forderte »konsequente Bestrafung«. Das Amtsgericht in Cottbus verwarf im Prozess gegen Aktivist:innen der Blockade Jänschwalde die Anwendung des Notstandsparagraphen mit der skandalösen Begründung, »der Klimawandel stelle keine gegenwärtige Gefahr dar«.
Drohnen gegen Demonstranten
Ein neues Bundespolizeigesetz will zudem künftig die Überwachung und Ortung von Mobiltelefonen in Flughafen- und Bahnhofsnähe sowie den Einsatz von Drohnen erlauben bzw. die bereits bestehende Praxis legitimieren. Das Hauptinteresse liegt zwar offensichtlich auf der Abwehr von Menschen auf der Flucht. Der willkommene Nebeneffekt wird aber eine erweiterte Form der generellen Überwachung an diesen Orten »kritischer Infrastruktur« sein.
Zur Abschreckung von Aktivist:innen brachte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Dezember medienwirksam auch mögliche zivilrechtliche Konsequenzen ins Spiel. Konzerne wie RWE nutzen dieses Instrumentarium bereits: Über 2 Millionen Euro Schadenersatz fordert das Unternehmen aktuell von sechs Personen, die 2017 das Kohlekraftwerk Weisweiler blockiert hatten. Die Blockade des Kohlekraftwerks Neurath im November 2021 verursachte RWE zufolge einen Schaden von 1,4 Millionen Euro, den RWE nun von den mutmaßlichen Blockierer:innen verlangt.
Während Unmut und Verzweiflung mancher prekär lohnarbeitender Autofahrer:innen angesichts von »Klimaklebern« auf den Straßen von München oder Berlin nachvollziehbar sein mag, ist der überwiegende Teil der harschen Reaktionen anders gelagert. Denn der neoliberalen bis ökofaschistischen Klasse ist die Klimakatastrophe herzlich egal. Sie hat ihre Villen nicht im Ahrtal stehen und auch für ihre Nachkommen ist ein Platz auf einer Wohlfühlinsel in einer Gated Community in der Festung Europa gesichert.
In Anerkennung des menschengemachten Klimawandels und der notwendigen Intervention geht es ihnen um eine Bevölkerungsreduktion in den Ländern des globalen Südens – deren dort prognostizierter Bevölkerungsanstieg stellen sie als eine Hauptursache für den Klimawandel dar. Ein Zuwanderungsstopp nach Europa soll einigen wenigen auch in Zukunft ein gutes Leben in Europa sichern, während ein Großteil der Menschheit weltweit nur noch um das bloße Überleben kämpft.
Fossile Festung: Ein Dorf als Beute
Emanzipatorische Bewegungen zur Abwehr von Großprojekten hat es immer gegeben – etwa in Whyl, Brokdorf, auf der Frankfurter Startbahn West, in Gorleben, Stuttgart 21 oder im Hambacher Wald. Neben der Verteidigung dieser Orte selbst standen dabei auch immer die Rechte und Möglichkeiten von sozialen Bewegungen zur Disposition und mussten verteidigt werden.
Dramatisch deutlich wurde dies zuletzt an der Räumung und Zerstörung des Ortes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier. Neben dem Erhalt der darunter liegenden Kohle sowie der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens geht es bei dieser Auseinandersetzung um die Legitimität des Widerstands als solchem.
Im Vorfeld wurde bereits jeglicher Protest dagegen als unvernünftig diskreditiert, gehe es doch um unsere Versorgungssicherheit in der Energiekrise. Der Deal der Grünen zugunsten des RWE-Konzerns mit der Opferung Lützeraths wird darüber hinaus als alternativloser Kompromiss und demokratische Entscheidung verkauft. Damit werden nicht etwa die Interessen von RWE im Verbund mit politischen Entscheidungen am fossilen Festhalten kritisiert, sondern die Klimagerechtigkeitsbewegung als Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens diffamiert.
Die Strategien der Polizei gegen die Klimagerechtigkeitsbewegungen werden technisch derweil weiter ausdifferenziert, um dem vielgestaltigen Protest auch perspektivisch gut gerüstet zu begegnen: Mehr und mehr sind polizeiliche Spezialkräfte für die Entfernung von Festgeklebten auf Deutschlands Straßen, für Menschen in Bäumen oder zum Aufbrechen von Lock-ons im Einsatz.
Um in Lützerath den Zuzug weiterer Besetzer:innen zu verhindern und Öffentlichkeit auszuschließen, wurde dort zudem eine Technik angewandt, die wir aus Großstädten kennen: In Berlin werden für Räumungen, wie etwa bei der Liebigstraße 34 oder der Kneipe »Meuterei« ganze Straßenzüge weiträumig abgesperrt. Ebenso wurde nun mit dem Areal am Tagebau Garzweiler verfahren: Um Lützerath wurde ein zweireihiger Zaun plus Erdwall gezogen. Mit unzähligen Wachen und einer Kette von Polizeifahrzeugen wurde Lützerath zur Festung.
Die Autorin ist politische Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie.
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