Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2023

Die Vorhaben der Regierung Meloni
von Franco Turigliatto

Die Rechtskoalition, die maßgeblich von der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia (FdI) angeführt wird, hat die Parlamentswahlen vom 25.September gewonnen. Damit beginnt eine Phase voller Gefahren für die Arbeiterbewegung und die bürgerlichen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte der Bürger.

»Gott, Vaterland, Familie« heißt das reaktionäre Projekt der Regierung Meloni, das eine konservative und identitätsbasierte Gesellschaft wiederherstellen will. Es übernimmt in großem Umfang ultraliberale Politik­ansätze und räumt der Wirtschaft eine zentrale Stellung ein. Die Zeitung Il Manifesto hat es als »bösartige Verbindung zwischen der extremen Rechten und der neoliberalen Doktrin« bezeichnet.
Ignazio Benito La Russa stellt sich in die Kontinuität der faschistischen Geschichte; er wurde zum Präsidenten des Senats (das zweithöchste Amt im Staat) gewählt. Lorenzo Fontana wurde zum Präsidenten des Parlaments gewählt (dem dritthöchsten Staatsamt); er ist ein Reaktionär: homophob, abtreibungs-, frauen- und migrantenfeindlich. Insgesamt verkörpert die Zusammensetzung der neuen Regierung unter der Führung von Giorgia Meloni perfekt ihr Projekt, die italienische Gesellschaft von Grund auf umzukrempeln. Dabei ist Italien schon durch die Niederlagen der Arbeiterbewegung und die Sparpolitik der vorherigen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen erschüttert worden.
Es ist eine Regierung der Mittelmäßigen, von erklärten Reaktionären und Postfaschisten. Elf Minister waren schon in der Ära Berlusconi dabei, was die politische, ideologische und materielle Substanz der rechten Strömungen aufzeigt. Wir blicken auf ein engstirniges, kleinbürgerliches Italien, das eine lange Geschichte hat, aber gut mit den derzeitigen nationalen und internationalen Führungsmächten des Kapitalismus vernetzt ist.
Diese Rechte konnte sich dank der ideologischen Rückständigkeit vieler Arbeiterinnen und Arbeiter sowie der Politik der Mitte-Links-Regierungen durchsetzen, die große Teile der Bevölkerung verunsichert und enttäuscht haben. Sie wird die ihr zur Verfügung stehenden politischen und institutionellen Kräfte voll ausschöpfen.

Die ersten Maßnahmen
Die ersten Maßnahmen der Regierung sind eindeutig: drakonische polizeistaatliche Vorschriften für alle Demonstrationen oder Besetzungen von Plätzen oder Gebäuden mit mehr als 50 Personen, die eine gefährliche Situation schaffen könnten. Die Teilnehmenden hätten nicht nur horrende Geldstrafen zu erwarten, sondern vor allem Gefängnisstrafen von bis zu sechs Jahren. Die Verordnung wird als Maßnahme gegen Rave-Partys dargestellt, in Wirklichkeit zielt sie jedoch auf Streiks, Mahnwachen und Schul- bzw. Universitätsbesetzungen (Studierende der Universität Rom wurden bereits am Tag nach der Regierungsbildung brutal zusammengeschlagen), vor allem auf Fabrikbesetzungen.
In bezug auf die Covid-Pandemie wurden selbst die minimalsten Präventionsmaßnahmen aufgehoben. Es wird keine Einschränkungen mehr geben; Ärzte, die sich geweigert hatten zu impfen, durften sofort wieder ihren Dienst antreten. Die Botschaft lautet: »Keine weiteren Einschränkungen« und ein Dankeschön an die »No-Vax-Leute«, mit denen die Rechten schon immer geflirtet und von denen sie viele Stimmen gewonnen haben.

Das Regierungsprogramm
Giorgia Meloni hat bei der Erläuterung des Programms ihrer Dreifaltigkeit »Gott, Vaterland, Familie« eine vierte Gottheit hinzugefügt, der alles geopfert werden muss: die Wirtschaft. Es steht in völliger Kontinuität zur Wirtschaftspolitik der Regierung Draghi und bildet den Mittelpunkt ihres Programms. In den letzten Monaten vor der Wahl hatte sie sich immer mit ihm abgestimmt, obwohl sie formell noch in der Opposition war.
Die Geschäftstätigkeit der Bosse darf in keiner Weise behindert werden, ihre Devise lautet: »Wer vorankommen will, darf nicht gestört werden.« Meloni schlägt Maßnahmen vor, die die Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen bereits seit Jahren umsetzen, ohne dass dies den Bossen (aber auch nicht den Arbeitenden) genützt hätte:
– Steuersenkungen;
– Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, die die Unternehmen für ihre Beschäftigten abführen;
– Steuersenkungen für Unternehmen, die Beschäftigte einstellen;
– Zuschüsse an Unternehmen;
– Vereinfachung der Vorschriften und damit der Kontrollen.
Hinzu kommen eine regressive Pauschalsteuer und die Liberalisierung der Bargeldmenge, die man für Transaktionen verwenden kann, was Steuerhinterziehung und Korruption Tür und Tor öffnet.

Kleinbürgerliche Basis
Hier zeigt sich eine italienische Besonderheit: Klein- und Mittelbürgertum sind in Umfang und Rolle viel größer als in anderen Ländern. Viele Unternehmen, z.B. im Tourismus oder im Gastgewerbe, überleben den kapitalistischen Wettbewerb nur dank der intensiven Ausbeutung ihrer Beschäftigten sowie dank der Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, Steueramnestien und staatlichen Subventionen. Das sind die Millionen Menschen, die die Massenbasis der rechten Kräfte bilden, insbesondere der Lega (Salvinis Partei) und der FdI.
Diese Menschen fühlen sich durch die tiefe Wirtschaftskrise stark bedroht; sie sind wütend auf die politischen Parteien, sie äußern soziale Ressentiments gegenüber anderen, wie etwa Migranten, und sind generell rebellisch. Die FdI hat viel Unterstützung aus dieser sozialen Schicht erhalten.
Um diese Basis zu befriedigen, muss Meloni die Mittel für andere Bereiche der Gesellschaft kürzen. So kürzt sie das »Bürgergeld«. Dabei handelt es sich um eine recht bescheidene Sozialleistung, die nur 7 Milliarden Euro pro Jahr kostet, viel weniger als die Dutzende Milliarden, die an die großen und kleinen Unternehmen ausgeschüttet werden. Dennoch hat diese Sozialleistung mehreren Millionen Menschen, insbesondere im Süden, das Überleben ermöglicht.
Diese Regierung kümmert sich nicht um die fünf Millionen Menschen, die in absoluter Armut leben, die weiteren fünf Millionen in relativer Armut, die hohe Arbeitslosigkeit, die prekäre Beschäftigung sowie die niedrigen Löhne und Renten, die durch die Inflation (derzeit 12 Prozent) aufgezehrt werden.

Ein Präsidialsystem
Die Vorschläge der Regierung für institutionelle Veränderungen ergeben sich logisch aus ihrem Gesamtprogramm und ihrer autoritären Ideologie. Sie entsprechen den Tendenzen, die auch in anderen kapitalistischen Ländern zu beobachten sind: ein Präsidialsystem, aber auch die differenzierte Autonomie der Regionen, die Italien noch mehr spalten wird.
Meloni hat auch die nationalistische und imperialistische Rolle Italiens bekräftigt, das mehr denn je seine Truppen im Ausland unterhalten müsse, um seine Interessen zu verteidigen. Eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben ist unabdingbar, das Parlament hat sie bereits fast einstimmig beschlossen, indem es die Ausgaben von 25 auf 38 Milliarden jährlich angehoben hat. Der italienische militärisch-industrielle Komplex erhält volle Unterstützung. All dies ist im Rahmen der USA und des NATO-Bündnisses geplant. Der italienische Imperialismus bleibt eng mit dem westlichen Imperialismus verflochten.
Für die Regierung ist die Familie nur als die traditionelle Familie denkbar, die mit »einem umfassenden Plan zur Wiederentdeckung der Schönheit der Elternschaft« unterstützt werden soll.
Für junge Menschen will die Regierung viel Sport, etwas Kultur, aber vor allem die Förderung einer »Kultur des Unternehmertums« und von Studienkrediten. Junge Menschen, die sich gegen die bestehende Ordnung auflehnen, werden mit den alten und neuen repressiven Gesetzen konfrontiert werden.
Bei den Migranten geht es um die brutale Ausbeutung derer, die es bis nach Italien geschafft haben, und um den bereits in der Vergangenheit praktizierten Versuch, die Migration von der anderen Seite des Mittelmeers zu blockieren. Wer vor Krieg und Hungersnot flieht, kann sterben, aber nicht vor unseren Augen.
Nach drei Jahren Pandemie – einem riesigen sozialen Drama mit 180000 Toten und einem kollabierenden Gesundheitssystem – hätte das öffentliche Gesundheitswesen im Mittelpunkt der Regierungspolitik stehen müssen. Um es wiederzubeleben, werden massive Mittel benötigt, stattdessen gibt es nichts außer ­grünes Licht für weitere Privatisierungen.

Antwort auf das Projekt der Rechten
Die Gewerkschaftsbewegung, die sich seit Jahren der Politik des Kapitals unterworfen hat, hat bisher keine Reaktion gezeigt. Die Vorstände haben zweideutige und abwartende Positionen eingenommen, wie zum Beispiel: »Wir werden die Regierung auf der Grundlage dessen beurteilen, was sie tut.«
Doch viele politische und soziale Kräfte, Verbände und Gewerkschaften sowie demokratische und »fortschrittliche« Kräfte sind dabei, Antworten auf die vielfältigen Angriffe der Kapitalisten und der Regierung zu finden. Die Liste der geplanten ­Initiativen und Demonstrationen ist sehr lang und unterstützenswert. Die Herausforderung besteht darin, eine Massenreaktion anzustoßen und die notwendige Kooperation dafür zu finden, um genügend gesellschaftliches Gewicht zu entfalten.

Der Autor ist ein führendes Mitglied von Sinistra Anticapitalista (https://anticapitalista.org).

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