›Wir brauchen breite gesellschaftliche Bündnisse‹
›Justice is Global‹ will aktive Beschäftigungsbündnisse gegen die Klimakatastrophe
Gespräch mit Georg Rainov
Georg Rainov ist seit November 2021 bei »Justice is Global Europe«, aktiv. Ziel dieses Organizing-Kollektivs ist es, aktivistische Beschäftigtenbündnisse für eine sozialökologische Transformation der Wirtschaft aufzubauen, um so Klima und Klasse zu verbinden. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit.
Was genau macht ihr?
Unsere Organisation gibt es seit 2020. Wir sind ein Ableger von Justice is Global U.S., die wiederum ein Teil des US-Organigramms People’s Action sind, eine nationale »Grassroots-Organizing«-Plattform.
Neben dem klassischen, nach außen gerichteten Organizing arbeiten wir auch für unsere interne Entwicklung im Bereich »leadership development« – wofür es leider keinen guten deutschen Begriff gibt. Im Gespräch miteinander sowie im gegenseitigen Mentoring versuchen wir, persönliche Hürden und Blockaden zu überwinden, etwa Hemmungen bzw. die Angst, sich in bestimmte Situationen zu begeben, und so Verbindlichkeit und Führung herzustellen. Das ist wesentlich für Justice is Global und sehr effektiv. Darüber hinaus haben wir teilweise externe Beratung für den Blick von außen.
Wir sind eine kleine Organisation, Teile von uns arbeiten auch bezahlt als Teil des Kollektivs. Unser Grundbudget erhalten wir durch Klein- und Dauerspenden von Unterstützer:innen, die von unserer Arbeit überzeugt sind. Ich bin zur Zeit als Werkstudent bei Justice is Global tätig. Bisher sind wir vor allem in Deutschland aktiv.
Wieso ist euch die Verbindung von Klima und Klasse wichtig?
Das kann ich gut anhand meiner eigenen Entwicklung erklären. Beim Erstarken der Klimabewegung 2018 wurde ich erstmals aktiv. Damals war ich in England für ein Auslandsjahr. Für mich war Klima das Überproblem unserer Zeit. Ich fand die Klimabewegung schön, war aber unzufrieden, wie das vor Ort ausgetragen wurde – das war in einem studentischen Kontext. Da wurde über normale arbeitende Menschen mit relativ niedrigem Einkommensniveau abgelästert.
Ich wohnte damals in Coventry, das ist eher eine Arbeiterstadt. Also hab ich mich bei der erstbesten linken Adresse vor Ort – das war zufällig die Socialist Party – gemeldet. Mir war eher egal, wie sich diese Partei international bzw. national einordnet. Damals sollte im Rahmen der vermeintlichen Klimapolitik der britischen Regierung eine Stadtmaut eingeführt werden. Wir stellten uns dagegen, denn sie wäre unsozial gewesen. Mir wurde klar, dass Klimaschutz mitunter missbraucht wird für unsoziale Politik. Für Klimamaßnahmen müssen wir aber die Mehrheit der Leute abholen. Bei Justice is Global ist dieses Grundverständnis vorhanden, dass soziale Belange berücksichtigt, dass Klima und Klasse zusammengedacht werden müssen. Arme Leute sind stärker vom Klimawandel betroffen, sowohl global gesehen als auch innerhalb der Länder des globalen Nordens. Außerdem ist es so, dass die Durchsetzung von Klimapolitik eine andere ist, wenn Klimaaktivist:innen gemeinsam mit Beschäftigten und Gewerkschaften auftreten.
Ihr meint also, dass man für die Bekämpfung der Klimakatastrophe Mehrheiten braucht und deshalb die Arbeiterklasse mitnehmen muss.
Ja, ganz genau.
Wie sieht eine Transformation konkret für euch aus?
Wir haben durchaus eine eigene Programmatik und Analyse: Verkehrswende, integratives Verkehrskonzept, wollen die aber nicht so sehr in den Vordergrund stellen. Da kann die Tür schnell zugehen. Wir sind eher im Modus des aktiven Zuhörens.
Der Praxistest erfolgte dann in Eisenach?
Wir überlegten uns, an welchem Ort sich die Transformationskonflikte rund um den Wandel in der Automobilindustrie zuspitzen. Da war Eisenach einer der herausragenden Orte, außerdem ist es zentral gelegen und aus allen Richtungen gut erreichbar. Eisenach weist zudem eine krasse Polarisierung von links und rechts auf. Es gibt eine linke Oberbürgermeisterin, in Eisenach ist aber auch die Landeszentrale der NPD. Es ist einer der größten Industriestandorte in Thüringen und vor allem von der Autoindustrie geprägt. Diese wurde in den letzten zehn, zwanzig Jahren stark zurückgefahren und viele Zulieferbetriebe werden wohl bei der Elektrisierung wegfallen. Deshalb gingen in den letzten zehn Jahren 3000 Arbeitsplätze allein im Automobil- und Zuliefererbereich verloren.
Wie seid ihr aufgenommen worden?
Gemischt, aber es war auf jeden Fall eine extrem lehrreiche Erfahrung. Vor Ort konnten wir unsere Pläne und Strategien an der Realität testen. Bei all unserer Vorbereitung konnte uns niemand die Sachen sagen, die wir gebraucht haben und auf die wir hätten achten müssen – das haben wir dann vor Ort gelernt.
Die Planung begann im Frühling 2021, dafür waren wir einige Male vor Ort. Von Mitte Juli bis Ende August waren wir sechs Wochen am Stück dort. Im Laufe der Arbeit lernten wir Leute in Eisenach kennen, inzwischen arbeitet eine Person fest bei uns mit. Wir sind ohne große Einladung dort gewesen und arbeiteten uns dann müßig voran.
Wie waren die Reaktionen?
Unterschiedlich, von sehr ablehnend bis hin zu sehr positiv. Das variierte auch nach Personengruppen. Da waren die Beschäftigten der Auto- und Zulieferbranche, aber auch die Leute aus der Zivilgesellschaft bzw. die zivilen Aktiven aus verschiedenen Nachbarschaftsinitiativen oder Klimagruppen vor Ort. Die nahmen das total gut auf. Unsere Angst war, dass man denken würde, die kommen von außerhalb und versuchen uns zu sagen, wie’s läuft – das hat sich aber nicht bewahrheitet.
Wir luden zu einem Treffen ein, und die Leute wünschten sich, dass wir mit einem konkreten Vorschlag, einem plan to win kommen, wir waren aber eher zögerlich als bestimmend. Später wurde uns hoch angerechnet, dass wir tatsächlich eine Weile in Eisenach verbracht haben.
Wie reagierten die Beschäftigten?
Gegen Ende unserer Zeit versuchten wir eine Ansprache, ohne Betriebszugang oder verlässliche Kontakte, also am Parkplatz bzw. vor dem Werkstor. Wir haben getestet, wie das funktionieren kann, d.h. wie spricht man jemand effektiv in rund zehn Sekunden an. Viele weigerten sich einfach pauschal mit uns zu sprechen, ein Drittel hat sich auf ein Gespräch eingelassen und dann war das erstaunlich offen. Wir haben versucht, mehr über den jeweiligen Blick auf Transformationskonflikte herauszufinden – im allgemeinen, in bezug auf den Standort Eisenach, und auch auf die Klimabewegung. In den meisten Fällen war die Haltung nicht unbedingt abweisend, es gab eher Desinteresse oder neutrale Ansichten. Die Klimapolitik war einfach nicht der bestimmende Faktor.
Es herrscht eine gewisse Resignation vor. Vor einiger Zeit bestand die Gefahr, dass der Opel-Standort geschlossen wird, die Produktion sollte ins Ausland verlagert werden. Doch in der Vergangenheit drohte die Schließung schon mehrfach, dieser Schwebezustand ist also Normalität. Meines Erachtens ist es wichtig dran zu bleiben. Die Klimabewegung sollte auf die Beschäftigten zugehen und sie bei der Standorterhaltung unterstützen.
Wir haben aber auch gelernt, dass das Tagesgeschäft in so einem Gewerkschaftsbetrieb überwältigend voll ist und eine Kampagnenplanung Vorlauf braucht, damit es auch zu gemeinsamen Aktionen kommt. Wir haben uns dabei bemüht, uns in unserer Erzählung auf die Interessen von Beschäftigten und der Stadtgesellschaft zu konzentrieren und damit die negativen Erwartungen zu umgehen, die weite Teile der Bevölkerung leider gegenüber »Ökos« und Klimaaktivist:innen haben. Das hat uns vielleicht auch ein bisschen geholfen.
Es gibt einen Mangel an Erfahrung und Vorbildern in Bezug darauf, wie man mit einer Industriegewerkschaft in einer untypischen Branche umgeht. Bei der Tarifrunde Nahverkehr ist die gemeinsame Interessenlage einfacher. Unser einziges Vorbild in Deutschland war die gemeinsame Aktion von Klimaaktivist:innen bei Bosch in München.
Gibt es bei Opel schon irgendwelche Transformationstarifverträge mit der Gewerkschaft?
Da kann ich dir nur das sagen, was ohnehin schon öffentlich ist: Der Standort Opel Eisenach produziert einen elektrischen SUV, ein Modell, das einige Jahre aktuell bleiben wird. Für die Leute vor Ort scheint es ok zu sein zu wissen, dass es den Standort zumindest für weitere drei, vier Jahre geben wird.
Und wie waren die Reaktionen seitens der Klimabewegung?
Durchweg positiv und interessiert. Dieser Ansatz findet zunehmend Zuspruch. Blockaden oder Störaktionen mit Öffentlichkeitswirkung können ein Teil sein, aber darüberhinaus muss man breite gesellschaftliche Bündnisse suchen, auf Beschäftigte zugehen und versuchen, bei Arbeitskämpfen und Tarifauseinandersetzungen unterstützend zu wirken.
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