Kommt jetzt ein Bundeskongress?
von Gerhard Klas
Oberflächlich betrachtet hat das Jahr für die Klimagerechtigkeitsbewegung schlecht angefangen: Das Dorf Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier haben RWE und die NRW-Landesregierung dank eines martialischen Polizeiaufgebots innerhalb einer Woche abgeräumt und zerstört. Dabei hatte sich die Klimabewegung monatelang auf die Räumung vorbereitet, dutzende Baumhäuser, technisch raffinierte Barrikaden und Tunnel errichtet. Und über ihre Presseteams und soziale Medien für zwei Wochen die Schlagzeilen dominiert.
Lützerath war kein Einzelfall: Die Besetzung des Fechenheimer Walds in Hessen wurde ebenso schnell abgeräumt und gerodet – für eine umstrittene Autobahnerweiterung. Beide Bundesländer werden von einer schwarz-grünen Koalition regiert. Die Räumung eines besetzten Waldstücks in Dresden, das einer Kiesgrube weichen soll, steht kurz bevor.
In der Spitze waren allein in Lützerath bis zu 3700 Polizisten gleichzeitig im Einsatz. Trotz aller öffentlichen Lippenbekenntnisse für das Anliegen der Besetzer:innen und Demonstrierenden hatten sie offenbar von vorneherein den Auftrag, mit Konzepten der militärischen Aufstandsbekämpfung den Widerstand der Besetzer:innen möglichst schnell zu brechen.
Im Klartext: einschüchtern, Infrastruktur lahmlegen und in kritischen Situationen Öffentlichkeit aussschließen. Polizisten haben als erstes die Volksküche in der Mitte des Dorfes zerstört, um die Versorgung der Besetzer:innen zu erschweren. Journalist:innen kamen zeitweise nur mit einer speziellen Akkreditierung durch die Aachener Polizei in das Dorf – ein völlig unübliches Vorgehen, das offensichtlich kritische Berichterstattung verhindern sollte.
Allein die Polizei spricht von neun Demonstrant:innen, die mit Gehirnerschütterung, Arm- und Beinwunden ins Krankenhaus eingeliefert worden seien. Bei der Räumung, aber vor allem bei der Demonstration, hat es laut Sanitäter:innen und Sprecher:innen der Klimabewegung zahlreiche Kopfverletzungen nach Schlagstockeinsätzen gegeben und mindestens eine durch Bisse eines Polizeihunds. Einige Beamte hätten außerdem sog. Schmerzgriffe angewendet, eine Form der Folter, die keine sichtbaren Spuren hinterlässt.
NRW-Innenminister Reul bezeichnete den Einsatz dennoch als »professionell und äußerst besonnen«. Der Schlagstockeinsatz sei eine Reaktion auf Steinwürfe und den Einsatz von Pyrotechnik gewesen. Allerdings: von den offiziell hundert verletzten Beamten seien viele im Dienst geblieben und ohne »Fremdeinwirkung« verletzt worden.
»Bei der Großdemonstration am 14.Januar 2023 mit rund 35000 Teilnehmenden haben wir den Einsatz von Faustschlägen, Schlagstock, Pfefferspray und Wasserwerfern beobachtet und mehrere verletzte Protestierende gesehen«, bestätigt das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das mit einem Team im Kohlerevier unterwegs waren, um Räumung und Demonstration zu beobachten. Die Polizei sei immer wieder unvermittelt in stehende Menschengruppen gerannt. Zudem seien Hunde und Pferde gegen Demonstrierende eingesetzt worden.
»Die Polizei schien wahllos ohne Rücksicht auf Verluste ihre Gewaltmittel einzusetzen, um Menschen auf den Äckern vor der Festung Lützerath abzuräumen. Die Entscheidung für die Räumung war die Entscheidung für Gewalt«, kommentierte Michèle Winkler, politische Referentin des Grundrechtekomitees. »Ohne Sicherheitsabstand räumte die Polizei Baumbesetzungen und Menschen in Traversen in Eile, oft ohne angemessene Ankündigung. Oft wurden Bereiche für RWE zur Rodung und Abriss freigegeben, obwohl keine ausreichenden Abstände zu Besetzer:innen bestanden. Sowohl Polizei als auch RWE riskierten dadurch vielfach fahrlässig Menschenleben«, ergänzte Britta Rabe, eine weitere Mitarbeiterin des Komitees.
Entgegen den Verlautbarungen der Landes- und Bundesregierung, 2030 komplett aus der Braunkohle auszusteigen, hat sich RWE vertraglich die Option auf eine »Braunkohlereserve« von 50 Millionen Tonnen einräumen lassen, die auch anschließend noch in den RWE-Kraftwerken verfeuert werden kann. Die Entscheidung darüber soll 2026 gefällt werden.
Wie weiter?
Braunkohle und Kies sind noch längst nicht abgebaggert, die Autobahn in Hessen noch nicht gebaut. Überall im Energie- und Verkehrssektor bieten sich zahlreiche Optionen für Boykotte, Blockaden, Streiks und Sabotage, die zum Teil über die bisherigen Ansätze des zivilen Ungehorsams hinausgehen. Kurzum: es könnte einen Bumerangeffekt geben. Der rechte Kampfbegriff »Klimaterroristen«, bemüht von zahlreichen Politikern, ist zum Unwort des Jahres 2022 geworden.
Und trotz aller Hetze in Medien und Politik hat sich die Klimabewegung nicht spalten lassen. Im Gegenteil, das rücksichtslose Vorgehen der Regierungen und Konzerne wider jede ökonomische und ökologische Vernunft wird die Akteure enger zusammen schweißen.
Vor allem in Lützerath haben verschiedenste Gruppen gemeinsam agiert, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln: Greenpeace, Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Letzte Generation, Extinction Rebellion, Ende Gelände, Zucker im Tank, Fridays for Future, Parents for Future. Nicht zu vergessen zwei Aufrufe zum Erhalt des Dorfes, unterschrieben von insgesamt mehreren tausend Wissenschaftlern und Kulturschaffenden. Und schließlich die vielen Familien aus dem Umland, die mit ihren Kindern zur Demonstration und den Dorfspaziergängen gekommen sind.
Diskutiert wird nun in einigen Kreisen eine Art Bundeskongress der Klimabewegung, bei dem viele der Gruppen, die bisher weitgehend eigenständig handeln, sich intensiver koordinieren und möglicherweise ein gemeinsames Profil in der Öffentlichkeit entwickeln können. Vorbild dafür könnte die Bundeskoordination Internationalismus sein, die 1977 aus den vielen Solidaritätsbewegungen (Vietnam, Chile, Nicaragua, El Salvador, Südafrika), zahlreichen Eine-Welt-Läden und diversen linken Gruppierungen entstand, die einer kapitalistisch geprägten »Entwicklungspolitik« kritisch gegenüberstanden.
Die Grünen, soviel dürfte bereits feststehen, werden dabei draußen bleiben müssen.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.