Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Kunst 1. Februar 2023

Von der Vermessenheit des moralischen Zeigefingers – eine Kölner Ausstellung
von Angela Klein

Einer Geschichte in den Apokryphen des ­Alten Testaments zufolge lauern zwei ­Älteste und Richter der ehrbaren Frau eines Kollegen in ihrem Garten auf und wollen sie nötigen. Die Frau wehrt dies mit stolzen Worten ab, anerkennt dabei aber zugleich, dass sie verloren ist: Denn wenn sie den Männern nachgibt, bricht sie das Gesetz des Mose, gibt sie ihnen nicht nach, muss sie damit rechnen, von den Männern vor Gericht gestellt zu werden, wo sie keine Stimme und gegen die Autorität der Ältesten keine Chance hat. Sie gibt ihnen nicht nach, schreit um Hilfe, kann ihre Vergewaltigung damit abwehren. Als sie anderntags vor Gericht gestellt wird, tritt der Jüngling Daniel auf und nimmt die beiden ­Ältesten ins Kreuzverhör. Sie widersprechen sich und werden zum Tod verurteilt.

Es gibt von dieser Geschichte, die nicht Teil der hebräischen Bibel ist, zwei Versionen. Die ältere ist Teil der Septuaginta, der ursprünglichen Übersetzung der Bücher des Alten Testaments ins Griechische; die jüngere ist eine unter dem hellenistischen Judentum verbreitete griechische Erzählung, die es, im Gegensatz zur älteren, jedoch in die Vulgata, die lateinische Bibelübersetzung geschafft hat, die Jahrhunderte hindurch das abendländische Bibelverständnis geprägt hat. Diese Erzählung führt das Bademotiv ein, das in der älteren fehlt – aber auch hier nur als Absicht, als etwas, das die Mägde vorbereiten sollen, nicht als eine Handlung Susannas.

Dennoch wird Susanna, wenn sie gemalt wird, als Badende gemalt – und das schon im frühen Mittelalter, explosionsartig aber in der späten Renaissance und im Barock. Das Motiv liegt auf der Hand: Eine Badende kann man nackt malen, und wenn es sich dabei um eine Bibelgeschichte handelt, die die Rechtgläubigkeit und eheliche Treue der Frau zum Thema hat, darf man das, ohne dabei zu sündigen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Figur der Susanna damit in einer klassisch patriarchalischen Umdeutung pervertiert wird. Nur in seltenen Fällen stellten die Künstler und Künstlerinnen die Gerichtsszene dar, die doch das Kernstück der Erzählung bildet, weil hier die Schuld der Ältesten und ihre gerechte Bestrafung demonstriert wird. Als Nackte aber wird Susanna entwürdigt und muss sich gegen den im abendländischen Bewusstsein tief verankerten Topos der Sünderin behaupten, die sich für ihre Nacktheit zu schämen hat.

Die erzählte Geschichte der Susanna ist eine ganz außergewöhnliche: Da geht es um den Machtmissbrauch höchster Autoritäten und eine kluge, selbstbewusste, unerschrockene Frau, die die Stirn hat, diese Autoritäten zurückzuweisen – sie wurde deshalb als Anti-Eva bezeichnet. Die ältere Geschichte spielt zur Zeit der Hasmonäer, einem jüdischen Königsgeschlecht im 2.Jahrhundert v.u.Z.; in der jüngeren Version wurde die Handlung um 400 Jahre in die Zeit der babylonischen Gefangenschaft zurückversetzt.

Die gemalte Geschichte der Susanna im Bade ist, bis auf wenige Ausnahmen, die Geschichte einer versuchten Nötigung bis Vergewaltigung, bei der die Frau, ebenfalls bis auf wenige Ausnahmen, die, wenn auch widerstrebend Erduldende, die Passive, das Opfer ist.

Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln hat in einer bislang einmaligen Zusammenschau Bilder zu dem Thema aus verschiedensten Jahrhunderten zusammengetragen, vom späten Mittelalter bis ins 20.Jahrhundert. Ausdrücklich wird der Bezug zur #MeToo-Debatte hergestellt. Damit wird die Ausstellung von vornherein mit dem Anspruch aufgeladen, Kriterien an die Hand zu geben, was »gute« und was »schlechte« Bearbeitungen des Themas sind; was einen voyeuristischen, männlich-lüsternen Blick nahelegt und was eine Selbstbehauptung der Frau. Man kann getrost sagen, dass das nicht gelungen ist.
Die Begleittexte zu den Bildern gehen auf Distanz zur (theologisch-)feministischen Interpretation, die die Susanna-Bilder »als religiös verbrämte Pornographie für ein männliches Publikum« verurteilt. Nachvollziehbar ist diese Kritik nicht. Denn die Darstellung Susannas als nackt Badende hat mit der biblischen Erzählung nichts zu tun, wohl aber mit den Vorlieben der männlichen Oberschicht der frühen Neuzeit, etwas Verbotenes, nämlich die Anschauung des nackten Körpers der Frau, mit dem Zweck darzustellen, den Betrachter zu erregen. Die Bilder wurden zumeist für die private Sammlung reicher Männer gemalt, die sie in einem Kabinett hielten, manchmal zugehängt und nur vor ausgewähltem Publikum »entschleiert«. Der Maler hatte also zusätzlich zu seiner eigenen Haltung auch die Wünsche des Auftraggebers zu berücksichtigen.
Die frühe Neuzeit ist eine Zeit, die sich durch vermehrte Herabwürdigung und Verfolgung der Frau als Sünderin und Hexe auszeichnet. Die herabgesetzte Rolle der Frau als Objekt der Begierde wurde damals als solche nicht kritisiert; Gewalt gegen Frauen war kein Delikt, nur Ehebruch und Entjungferung wurden gerichtlich geahndet.
Diesen gesellschaftlichen Kontext zu ignorieren und nur die individuellen Bemühungen des Künstlers in den Blick zu nehmen, muss zu Missverständnissen führen. Denn der Betrachter und seine Zeit bleiben außen vor.
Was haben die Maler gemalt? In aller Regel zwei ältere Männer (selten jüngere), die einer schönen nackten Frau auflauern, manchmal schauen sie hinter der Hecke hervor, manchmal scheinen sie die Frau regelrecht vergewaltigen zu wollen. Die Frau macht auch abwehrende Körperbewegungen, manchmal ein erschrockenes Gesicht (nicht immer), oft schaut sie hilfesuchend zum Himmel empor, was man durchaus als resignierende Ergebenheit lesen kann. Die Begleittexte in der Ausstellung deuten das in der Regel als Parteinahme für die Frau. Opferhaltung, ja, sogar Widerstand der Frau kann Geilheit aber sogar noch beflügeln. Die meisten Bilder bewegen sich in der Grauzone zwischen Lüsternheit und moralischer Korrektheit – abhängig vom Standpunkt des Betrachters – siehe oben das Bild von Artemisia Gentileschi, das auch als Werbeplakat für die Ausstellung verwendet wurde. Sie ist die bekannteste Barockmalerin und hat das Thema fünfmal gemalt! Die auf dem Plakat gezeigte Version unterscheidet sich in ihrer Aussage nicht von Bildern ihrer männlichen Kollegen.
Dieser Abhängigkeit entkommt ein Maler nicht. Wollte man ihm wirklich gerecht werden, müsste man schon sehr tief in seiner Biografie graben – sofern das überhaupt möglich wäre. Und selbst dann hat das Bild seine eigene Wirkung, macht sich, einmal in die Welt gesetzt, vom Maler unabhängig.
Umso interessanter ist, welche Wege Maler manchmal finden, um mit rein gestalterischen Mitteln einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Zwei Beispiele seien genannt:
Geldorp Gortzius präsentiert den Mann als hässlich und Opfer seiner Lüsternheit, die Frau als schön und würdevoll. Punkt.
Tintoretto lässt von der Susanna-Geschichte nur noch den Vorwand stehen in Gestalt der beiden Männer, die die Frau belauschen. Für die Bildkomposition sind sie unwichtig. Eine Belästigung gibt es nicht. Stattdessen eine Frau, die aus dem Bad steigt und mit sichtlicher Freude im Spiegel ihren schönen Körper betrachtet, den sie putzt und schmückt. Hier werden die gängigen Attribute der Eitelkeit (Kamm, Spiegel usw.) umgekehrt in Attribute der Schönheit. Das ist ein radikalerer Bruch mit männlichen Sehgewohnheiten als der Appell an das Mitleid des Betrachters.

Die Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum ist noch bis zum 26.Februar geöffnet. Dazu ist ein Katalog erschienen:
Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo. Hrsg. Roland Krischel, Anja K. Sevcik. Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2022, 384 S., über 220 Abb., 29,95 Euro.

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