Gewerkschafter aus Liberia, plädiert für ein internationales Vermittlungssystem
von George Poe Williams
Solange in den Zielländern vorhandenes Fachwissen nicht eingesetzt wird, verschlimmert Migration die Unterversorgung im Herkunftsland nicht, argumentiert der Krankenpfleger und Gewerkschaftsaktivist.
Die Anwerbung von Pflegekräften aus dem globalen Süden und ihre Abwanderung in den globalen Norden wird fast durchgängig abgelehnt. Im Vordergrund stehen dabei die negativen Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme der Herkunftsländer, insbesondere der brain drain, die Abwanderung der Qualifizierten. Tatsächlich gibt es zum Teil solche negativen Folgen. Wir müssen aber im gleichen Maß die Notlage der Pflegekräfte im globalen Süden berücksichtigen. Trotz ihrer Fachkenntnisse leiden sie nicht nur unter schlechten Arbeitsbedingungen, sondern auch unter bitterer Armut. Weltweite Solidarität verdienen auch diejenigen, die nach Überlebensmöglichkeiten suchen, wo immer sie Hoffnung finden.
Im globalen Süden sind Massen von medizinischen Fachkräften nicht erwerbstätig aufgrund der Sparmaßnahmen, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) diktiert werden. Gleichzeitig bilden die Ausbildungsstätten allerdings weiterhin tausende neue Kräfte aus.
Dass Pflegekräfte in den Gesundheitssystemen des globalen Südens fehlen, liegt am mangelnden politischen Willen, verstärkt durch die Auflagen von IWF und Weltbank, weshalb über die Gesundheitsbudgets kein Personal finanzieren werden kann.
In Ghana stürmten im November 2022 Tausende von arbeitslosen Krankenschwestern das Finanzministerium, um eine Anstellung zu erreichen. Eine Umfrage in Nigeria ermittelte im Jahr 2020, dass 95 Prozent der Krankenpfleger bereit waren, auch in ländlichen Gemeinden zu arbeiten. Einige von ihnen hatten allerdings noch bis zu acht Jahre nach ihrem Ausbildungsabschluss keine Stelle. Malawi wiederum »exportiert« jedes Jahr Tausende von Pflegekräften, gleichzeitig bleibt die Hälfte der Stellen im öffentlichen Sektor unbesetzt.
Als in Liberia Covid-19 grassierte, schickte die Regierung zahlreiche Angestellte zwangsweise in Pension. Das System war wohlgemerkt schon zuvor unterbesetzt gewesen und wurde mit angelernten Kräften aufrechterhalten. Viele ausgebildete Pfleger arbeiten jahrelang unbezahlt, in der vagen Hoffnung, bei einer künftigen Anstellung zum Zug zu kommen. Einer großen Menge von Pflegekräften und Sanitätern steht ein Mangel an Fachärzten und Spezialisten gegenüber. Während der Pandemie 2020 kam es zu einem Streik. Die Beschäftigten im Gesundheitssektor verlangten Lohnerhöhungen und Gefahrenzulagen. Aber die Regierung verweigerte Gespräche mit der Gewerkschaft, streikendes Personal wurde entlassen.
Die Gesundheitssysteme in den Herkunftsländern sind unterfinanziert und schlecht verwaltet. Minimale Qualitätsanforderungen können nicht erfüllt werden. Selbst wenn die Fachkräfte in ihrer Heimat blieben, gäbe es eine Art brain drain, weil das vorhandene Fachwissen nicht genutzt wird. Beschäftigte haben kaum Aussicht auf eine reguläre, abgesicherte Anstellung. Daher machen sie sich auf den Weg, um im globalen Norden ein besseres Leben zu finden.
Aus diesen Gründen wäre es notwendig, ein organisiertes Anwerbungssystem einzurichten. In diesem System würden Arbeitsmigrant:innen nicht ausgebeutet und bekämen berufliche Fortbildung und Orientierung, gleichzeitig würden ihre Kollegen in den Zielländern nicht benachteiligt werden. Die Vermittlung sollten die Behörden der beteiligten Länder übernehmen, nicht private, profitorientierte Agenturen. Vertreter der Beschäftigten sollten auf jeden Fall in den entsprechenden Kommissionen vertreten sein und über die Kontingente von Ausreisenden beziehungsweise Einreisenden mit entscheiden.
Außerdem sollten die Arbeitsbedingungen und Tarife einheitlich geregelt und bekannt und das Recht auf eine freie Wahl der Gewerkschaft gewährleistet sein. So könnten beide Seiten, Herkunftsland und Zielland, profitieren. Die Beschäftigen in den Zielländern sollten ihre zuwandernden Kollegen solidarisch aufnehmen und ihnen gewerkschaftlichen Schutz bieten, diese wiederum den Gewerkschaften beitreten und sich nicht dazu benutzen lassen, Arbeitsstandards und Gewerkschaftsrechte zu untergraben.
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