›Es ist die alte Geschichte vom Golem…‹
Gespräch mit Eberhard Fiebig
Laut Marx tritt eine Epoche sozialer Revolution ein, wenn die materiellen Produktivkräfte in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen, sprich: den Eigentumsverhältnissen geraten. Der Bildhauer Eberhard Fiebig ordnet das durch den 3D-Druck mögliche, additive Produktionsverfahren in diesen Zusammenhang ein. Darüber sprach Angela Klein mit ihm.
Fiebig hat ein handwerkliches Verhältnis zur Kunst. Er sagt: »Handwerk kommt vor Mundwerk.« Immer wieder fragt er: Wie reagiert ein Material, wenn wir versuchen, es umzuformen?
1945, unmittelbar nach der Kapitulation, lernte er in Fallingbostel das Bauern. Nach dem Umzug der Familie nach Wiesbaden wechselte er den Beruf, wurde Chemielaborant und übernahm in den Chemischen Werken Albert die Leitung des Technikums. Mit 30 Jahren gab er, wie er gerne sagt, den Kampf gegen die Kartoffelkäfer auf, um sich der Bildhauerei zu widmen. Zunächst erprobte er unsystematisch, welche Gestaltungsmöglichkeiten Ton, Holz, Stein und diverse Metalle bieten. Schließlich wurde Blech das Material seiner Wahl. 1973 folgte er dem Ruf an die Universität Kassel.
Vor einigen Jahren haben Sie das Terrain gewechselt und widmen sich seitdem ausschließlich der additiven Fertigung, die fälschlicherweise 3D-Druck genannt wird. Was hat diesen Wechsel herbeigeführt?
Wie so oft war es der Zufall. Mich hat immer der Stand der sich entwickelnden Produktivkräfte interessiert. Ich habe alle großen technischen Messen besucht und dabei erlebt, wie sich auf der Hannovermesse der Bereich der rechnergestützten Konstruktion rasant entwickelte. Am Anfang stand die Möglichkeit, auf dem Bildschirm eines Computers 3D-Darstellungen erzeugen zu können auf der Basis unterschiedlicher Programme, die alle auf den Boolschen binären Algorithmen basieren. Damit können Sie Gegenstände scheinkörperlich entwerfen.
Ich habe mich sehr früh für diese 3D-CAD-Konstruktion interessiert und bin auf der Cebit 1984, nach heftigem inhaltlichen Disput auf dem Messestand von Siemens zusammen mit Paul Bliese und Dorothea Wickel eingeladen geworden, Entwicklungspartner zu sein. Die Zusammenarbeit währte zwölf Jahre.
Bildhauer sind Generalisten! Sie arbeiten in vielen unterschiedlichen Bereichen, auch in solchen, die für Techniker nicht unbedingt im Vordergrund stehen, aber berücksichtigt werden müssen. In solchen Fällen haben wir Siemens geholfen, Lösungen zu entwickeln.
Eines Tages, ich war inzwischen Mitglied der Arbeitsgruppe Rapid Prototyping, wurde ich von Dr.Meyer von der Fraunhofer-Gesellschaft, gebeten, eine komplexe Plastik zu entwerfen. Sie sollte die Bedeutung der additiven Fertigung sinnlich erfahrbar machen. Hier hatte sich eine Allianz von Technik und Kunst entwickelt, die von den Kunstwissenschaftlern ignoriert wurde. Obgleich Siemens 10000 Broschüren mit dem Titel »Kunst und Computer« unters Volk brachte, haben sich die Kunstdeuter nie dafür interessiert, wie die Dinge zustande kommen.
Aber der Schritt, am Computer ein dreidimensionales Objekt zu konstruieren, bis zum Bau eines eigenen 3D-Druckers ist ja noch mal ein Stückchen Weg.
Es ist kein Drucker, es ist ein Modellierer, die Patente lauten auf 3D-Modeling. Die Verfahren haben mit Drucken nichts zu tun. Zum Drucken brauche ich eine Druckvorlage. Aber hier gibt es keine Vorlage, hier gibt es nur einen Datensatz, einen schriftlich fixierten binären Code, der von einem Modellierer in einen Gegenstand umgesetzt werden kann.
Der Modellierer war nicht das Ergebnis gezielter Forschung. Es war ein Mädchen von drei Jahren, das ihren Vater bat, ihr einen Frosch zu fertigen. Dieser Mann, Scott Crump, konnte offenbar nicht schnitzen und Gips hatte er vielleicht auch nicht im Haus. Da kam er auf die Idee, seine Heißklebepistole zu nehmen und mit dieser aus dem Kleber einen Frosch zu modellieren. Der macht die Tochter glücklich und den Vater erstaunt. Crump war Ingenieur und sagte sich, mein Gott, diesen Prozess kann ich doch automatisieren. Er baute seinen Plotter um und schuf damit den ersten 3D-Modellierer. Auf der Basis hat er eine Firma gegründet, die es heute noch gibt.
2002 gab es den ersten Kongress zum Rapid Prototyping in Frankfurt am Main. Siemens und Fraunhofer hatten mich gebeten, den Festvortrag zu halten. Dabei wurde auch mein Modell vorgestellt, das hieß noch doppelter Rotulus. Später wurde er umgetauft in Aleph; weil das die erste Plastik war, die in additiver Fertigung hergestellt wurde, haben wir ihn nach dem ersten Buchstaben im phönizischen Alphabet benannt.
Ich vergleiche den Datensatz gerne mit einer Partitur. Wenn Sie in der Musik eine Partitur haben, können Sie das Stück auf der Violine oder auf der Orgel spielen. Das Stück kann an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit aufgeführt werden; es gibt für die aufgeführte Musik kein Original. Die Musik kann niemand besitzen. Jede Person kann eine Partitur kaufen, damit besitzt sie das Musikstück aber nicht.
Ähnliches ist jetzt eingetreten im Bereich der bildhauerischen Techniken. Wir können den Gegenstand auf der Ebene einer algorithmischen Ordnung entwerfen und dann in unterschiedlicher Weise, mit unterschiedlichsten Materialien, in unterschiedlicher Größe modellieren. Tendenziell muss der Bildhauer oder Modelleur den Gegenstand selber nicht mehr herstellen, er verkauft nur die Partitur. Und jeder, der so einen Modellierer hat. kann sich den Gegenstand selber herstellen oder von einem Dienstleister herstellen lassen.
Das Verfahren, über das wir sprechen, ähnelt der Geschichte vom Golem, jener menschenähnlichen Figur, die sich, der Legende nach, ein Rabbiner in Prag modellierte, der ihm so etwas wie eine Seele einhauchte. Der Rabbiner steckte dem Golem einen Zettel in den Mund, darauf stand etwa: Geh zum Rabbi Weiß und tritt ihm in den Hintern – dann machte der Golem das. Ähnliches machen wir auch. Wir haben einen Datenträger, den schieben wir in den entsprechenden Slot, und der Modellieren beginnt, gehorsam wie Golem zu modellieren.
Immer mehr Firmen wechseln über in die additive Fertigung. Denn diese bietet eine Fülle von technischen und finanziellen Vorteilen.
Einer dieser Vorteile ist, dass sich jeder, der Zugriff auf einen Datensatz hat, das Produkt selber herstellen kann. Also könnte eine Plastik tausendfach gefertigt werden.
Das ist doch großartig. Endlich ist Schluss mit dem kapitalistischen Tanz um das Original. Wir müssen im Bereich der kulturellen Zuweisungen tatsächlich über die bürgerlichen Vorstellungen vom Genie nachdenken.
Die Kunstdeuter sagen: das Genie gibt der Kunst die Regel… Nein, das Material gibt die Regeln. Ob ich einen Gegenstand einfach reißen kann oder ob ich ein Werkzeug brauche, um ihn zu zertrennen – die reale materielle Beschaffenheit macht den Unterschied. Aber das wollen die Deuter nicht wahrhaben. Es ist dieses unsägliche griechische Erbe, das hier durchschlägt. Dass der Geist über allem steht. Lässt sich leicht sagen in einer Sklavenhaltergesellschaft, in der die landwirtschaftliche Arbeit von Sklaven erledigt wird. Von wegen, das Geistige in der Kunst. Die von Hand gemacht wird.
Inzwischen hat sich eine internationale Bewegung formiert, die nennt sich The Maker. Die sagen von sich: Wir definieren uns nicht mehr durch das, was wir besitzen, sondern durch das, was wir mit anderen teilen. Wir arbeiten im open source und ermöglichen, möglichst kostenfrei, jeder Person Zugang zu Wissen und Können. Es gibt bereits mehrere Millionen Modelle, die Sie aus dem Internet kostenfrei herunterladen und modellieren dürfen. Hier entwickelt sich eine neue Form von Solidarität und von kollektivem Wissen. Ein solches Verfahren verträgt sich nicht mit bürgerlichen Besitzansprüchen.
Das ist ein Prozess, der mit der kapitalistischen Verwertungslogik nicht kompatibel ist.
Ja, und es ist die Frage, wie sich das entwickeln wird. Wir brauchen nicht mehr die Fabrik, wir müssen nicht mehr Walzstahl herstellen, wir haben den Stahl als Pulver, als Mehl und wir können nahezu jedes Produkt dezentralisiert herstellen. Das Verfahren ist gesamtgesellschaftlich ökonomisch wie ökologisch ein großer Zugewinn.
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