Die SoZ-Redakteurin Violetta Bock ist Kandidatin der LINKEN zur OB-Wahl in Kassel
Gespräch mit Violetta Bock
Violetta Bock ist 35 Jahre alt, seit 2016 im Stadtparlament, seit 2021 Co-Fraktionsvorsitzende
(www.violetta-bock.de). Das Gespräch mit ihre führte Angela Klein.
Du kandidierst zu den Oberbürgermeisterwahlen am 12.März in Kassel. Du bist ja recht exponiert auf dem linken Flügel der Partei. Hattest du Gegenkandidaten?
Nein, ich hatte 100 Prozent Zustimmung bei der Aufstellung und bei der Nominierung. Wir sind ja auch ein linker Kreisverband.
Was ist denn euer Programm für Kassel?
WIr hatten vor kurzem Kommunalwahlen, da haben wir schon ein ausführliches Programm aufgestellt. Unser Motto ist »Radikal sozial«. Es gab viel Diskussion darum, ob »radikal« vielleicht zu abschreckend ist. Aber wir haben uns entschieden, das nach vorne zu stellen, weil viele Probleme radikale Lösungen erfordern und weil wir nicht einen Wohlfühlwahlkampf machen wollen, sondern ehrlich die Probleme ansprechen, die da sind.
Da ist einmal die Ungleichheit. In Kassel ist jedes vierte Kind in Armut, bei den Senioren sind es 8 Prozent. Viele hängen in prekären Jobs. Durch die Inflation steigt die Armut noch mehr. Radikal sein heißt ja, an die Wurzel gehen. Ich sag auf meinem Flyer, der Kapitalismus ist die Hauptwurzel.
Wir werden nicht alle Probleme in der Kommune lösen können, wir können aber durchaus die Selbstorganisation fördern und das in eine sozialistische Perspektive einbinden.
Armut hängt oft davon ab, wie die Arbeitsbedingungen sind oder waren. Da ist die Kommune schon beteiligt, gerade was Ausgliederungen betrifft, etwa die Gebäudereinigung oder die Situation von Sozialarbeiter:innen, oder wenn es um den Kampf für die Entfristung von Verträgen geht. Wenn wir das anpacken, können wir Armut schon zurückdrängen und der Sache noch stärker an die Wurzel gehen.
Unser zweites Thema ist Klimagerechtigkeit. Kassel hat entschieden, bis 2030 klimaneutral zu werden. Seitdem wurden viele Maßnahmen beschlossen, aber es geht alles zu langsam.
Unser drittes Thema ist die Daseinsvorsorge – was eine Kommune alles leisten muss, von der Kita bis zur Pflege im Alter. Mitten in der Tarifrunde öffentlicher Dienst nutzen wir die Öffentlichkeit, die der Wahlkampf bietet, um Solidarität mit den Beschäftigen im Tarifkampf zu organisieren.
Es ist Krieg und Kassel ist Panzerstadt. Hier werden die Panzer für die Ukraine produziert. Spielt das in eurem Wahlkampf eine Rolle?
Im Wahlkampf natürlich schon, wobei man sagen muss, dass es insgesamt kein zentrales Thema ist – auf Podiumsdiskussionen etwa. Da geht es mehr um die Unterstützung der Flüchtlinge und wie sie verbessert werden kann.
Kassel ist mit Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall eine Rüstungshochburg. Am 27.1., dem Holocaust-Gedenktag, kam der hessische Ministerpräsident Boris Rhein nach Kassel, um an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Direkt anschließend hatte er einen Termin bei Krauss-Maffei-Wegmann, um einen Panzerdeal einzufädeln – das ist zynisch. Nicht wenig von den 100 Milliarden für die Bundeswehr fließt nach Kassel.
Wir haben eine Mahnwache gemacht, bei der wir ganz klar gegen Waffenlieferungen auftraten. Man merkt an den Infoständen, dass diese mehr zum Thema werden, die Panzerlieferungen sind für viele eine Grenzüberschreitung. Jetzt sind auch Leute dagegen, die anfangs nicht so klar waren. Sie haben Angst vor der Eskalationsspirale.
Es werden dich viel mehr Menschen wählen, als sich aktiv in gesellschaftliche Kämpfe einbringen. Was tut ihr, um diese Menschen zu aktivieren? Nicht nur im Wahlkampf, sondern vor allem danach?
Wir schauen nicht nur auf den 12.3., sondern darüber hinaus. Wir nutzen die drei Monate von Januar bis März, um langfristig etwas aufzubauen. Erfolg ist, wenn wir danach besser organisiert sind als vorher. Und das auf zwei Ebenen.
Die eine ist die Vernetzung von bereits Aktiven, die sich zum Teil noch nicht kennen. Dadurch, dass ich seit fast zehn Jahren auf Stadtebene mit verschiedenen Bewegungen zu tun habe, kann es gelingen, dass Leute aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen praktisch für den Wahlkampf zusammenarbeiten – ich freu mich schon auf die Wahlparty am 12.März.
Der Vernetzung dienen auch unsere Bürger:innenversammlungen. Da machen wir keine Frontalveranstaltung, wo vorne erzählt wird, was mein Programm für die Stadt ist. Da überlegen wir zusammen mit den Leuten, wie Stadt und Kommune organisiert sein müssen, um sie zu verändern. Anfang Februar haben wir den Auftakt gemacht mit zwei Leuten aus Graz, wo es seit einem Jahr eine linke Bürgermeisterin gibt. Wir haben vor allem zugehört, wie die KPÖ Graz das geschafft hat, wie die Bürgermeisterin konkret arbeitet, sich um Themen kümmert…
In der zweiten Februarwoche drehte sich die Bürger:innenversammlung um das Thema »eine menschenwürdige, klimagerechte und sorgende Stadt«. Am Anfang gab es drei Stunden lang einen offenen Rahmen mit Essen und Kinderprogramm und Jobcenter-Beratung für Leute, die sonst keine Zeit haben, zur Beratung zu gehen. Es waren Leute vor Ort, die direkt helfen konnten, es ging aber auch darum, die Fragen aufzugreifen, die in dem Viertel Thema sind: Wie kann man sich organisieren, um was zu verändern?
Die Versammlung fand im Norden Kassels statt, da sind eher die armen Stadtteile, da wollen wir auch Hausbesuche machen. Hausbesuche machen wir auch außerhalb vom Wahlkampf, aber jetzt ist es konzentrierter, da geht es um ganz konkrete Themen wie der Spielplatz vor der Tür oder der Erhalt von einem Bolzplatz.
Die Bürger:innenversammlungen sind auch Organisierungsorte. Wir stellen den Rahmen, man muss an dem Tag nicht selber kochen oder die Kinder wegorganisieren, die sind willkommen, man kann Papierkram überprüfen lassen und hat dadurch überhaupt erst die Möglichkeit, sich mit den Nachbar:innen auszutauschen und eine gemeinsame Organisierung zu starten.
Um die klimagerechte Stadt ging es eine Woche später, da sind wir in einen Stadtteil gegangen, der stark vom Autobahnausbau und die dadurch bedingten Baustellen bedroht ist. Da haben wir erst ein offenes Format angeboten und abends eine Podiumsdiskussion zum Thema: »Wie kriegt man die Wende der Industrie hin?« Angedacht war sie mit dem Betriebsratsvorsitzenden von VW, mit jemandem von Fridays for Future und mit mir. Was heißt Verkehrswende aus gewerkschaftlicher Sicht? Was heißt sie aus der Klimaperspektive, aber auch aus der Nachbarschaftsperspektive?
Die dritte Bürger:innenversammlung wird zum Thema sorgende Stadt sein, in einem Stadtteil, wo wir bisher noch nicht so gut verankert sind, wo aber massiv Kita-Plätze fehlen. Da gibt es ein Seniorenhaus, das war vor zwei Jahren kommunal, wurde dann gegen unsere Stimmen verkauft. Anfang Februar hat der Betreiber nun Insolvenz angemeldet. Nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Ich kann mir vorstellen, dass die Veranstaltung dazu genutzt wird, nachbarschaftliche Solidarität dazu zu organisieren.
Im zweiten Teil der Veranstaltung geht es um die Sorgenden. Wir planen einen Austausch zur Tarifrunde öffentlicher Dienst und was wir dazu machen können.
Darüber hinaus gibt es natürlich die üblichen Elemente: Infostände, Plakate, Wahlkampfflyer und, ganz wichtig: Haustürgespräche. Wir bauen auf die, mit denen wir in den letzten Jahren zusammengearbeitet haben. Darunter sind viele, die nicht Parteimitglieder sind.
Und wenn wir schon so viel unterwegs sind, wollen wir den Wahlkampf auch dazu nutzen, um für eine konkrete Forderung Druck aufzubauen, nämlich den Nulltarif. Wenn ab Mai das 49-Euro-Ticket kommt, wollen wir, dass es eine soziale Variante gibt, denn 49 Euro ist für Menschen mit wenig Geld immer noch zu viel. Wir sammeln Unterschriften dafür, dass Schüler:innen, Studierende und alle, die von der Wohngeldbehörde abhängig sind, einen Nulltarif bekommen. Das funktioniert ganz gut, dadurch gewinnt man Orte, wo Leute sich in einem niedrigschwelligen Rahmen treffen können.
Wie ist die Resonanz? Die LINKE hat ja deutlich an Einfluss verloren. Wie reagieren die Leute auf eure Initiativen?
Eigentlich ziemlich gut. Man spricht natürlich nie mit allen, deshalb kriegt man nur einen Teil mit. Der bundesweite Trend wird sich natürlich bemerkbar machen, ich kann das nicht einschätzen. Bei der letzten Kommunalwahl sind wir knapp über 11 Prozent gekommen. Und wir sind ganz gut aufgestellt. Es ist ja auch eine Personenwahl und die Reaktionen auf mich sind bisher ganz gut. Gerade Parteilose sagen, Die LINKE wähle ich nicht, aber meine Kandidatur unterstützen sie. An den Infoständen geht es freilich oft um Migration und Wagenknecht, an der Haustür aber sind es die Themen vor Ort.
Du rechnest mit 11 Prozent?
Keine Ahnung, etwas zwischen 3 und 15 Prozent.
Dann wünschen wir dir, dass es 15 Prozent werden.
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