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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2023

Ein Geschenk an die Autoindustrie
von Thomas Fritz

1999 beschloss die EU mit den Mercosur-Ländern Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay eine engere wirtschaftliche Partnerschaft. Zwanzig Jahre lang wurde um ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur verhandelt. Im Juli 2019, als der rechtsextreme Jair Bolsonaro Präsident Brasiliens war, kam es zu einer politischen Einigung.

Als Teile der Absichtserklärung der Öffentlichkeit vorgelegt wurden, bestätigten sich die Befürchtungen von Umweltorganisationen, Wissenschaftler:innen, Gewerkschaften, Landwirt:innen und Indigenen: Das geplante Abkommen soll dafür sorgen, dass die EU von den Mercosur-Staaten noch mehr billiges Rindfleisch und Futtersoja im Tausch gegen die profitablen Exporte von Pestiziden, Autos und Autoteilen bekommt.
Die Automobilindustrie sitzt bei internationalen Handelsabkommen immer mit am Tisch. Den Mercosur sieht sie als »Zukunftsmarkt« an – vor allem für den Verbrennungsmotor.

Seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs, wodurch Russland als Rohstoff- und Energielieferant ausfällt, befindet sich die EU in einer misslichen Lage, die durch die starke Abhängigkeit ihrer Wirtschaft von China noch verstärkt wird. Als alternative Rohstofflieferanten kommen deshalb die Mercosur-Länder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay ins Spiel. Die Verhandlungen laufen derzeit auf Hochtouren, noch 2023 soll ein verbindliches Handelsabkommen unterzeichnet werden. Das Pariser Klimaschutzabkommen wird damit endgültig zur Makulatur werden.
Die bisher veröffentlichten Vertragsteile des geplanten Assoziierungsabkommens enthalten zahlreiche Regelungen, die die europäische Autoindustrie, ihr ressourcenintensives Produktionsmodell und ihre Lieferketten teils erheblich begünstigen. Zugleich enthält das Abkommen keine effektiven Regelungen, um die ökologischen und menschenrechtlichen Risiken der Autoindustrie einzugrenzen.
Ganz im Gegenteil haben die Vertragsparteien zahlreiche Vereinbarungen getroffen, die den Handel mit riskanten Rohstoffen, Komponenten und Endprodukten der Autoindustrie noch ausbauen sollen. Das Lobbying der EU-Autoindustrie war insofern überaus erfolgreich. Leidtragende aber sind Mensch und Umwelt beiderseits des Atlantiks.

Zukunft Verbrennungsmotor
Die Lobbypolitik für die Autoindustrie geht nicht nur von den Konzernen aus, sondern in großem Maße von der Ministerialbürokratie selbst. Proaktiv gingen Mitarbeiter:innen des deutschen Wirtschaftsministeriums und der EU-Kommission auf die Hersteller zu, um deren Wünsche zu erfragen und in die Verhandlungen mit dem Mercosur einzuspeisen.
Ein Ergebnis des Lobbyings sind zahlreiche Vertragselemente, von denen die EU-Autoindustrie profitiert, darunter die Beseitigung von Zöllen auf Autos, Autoteile, mineralische Rohstoffe und Biodiesel sowie eine EU-Importquote für Bioethanol.
Die Mercosur-Staaten verzichten ferner auf diverse Exportsteuern, anerkennen schwache EU-Tests und Zertifikate und willigen in flexible Herkunftsregeln ein, die den Wettbewerbsdruck auf ihren Märkten verstärken. Schließlich profitiert die Autoindustrie von den defizitären Schutzinstrumenten des Vertrags, die dessen ökologische und menschenrechtliche Risiken kaum begrenzen können.
Die EU-Autoindustrie, die mit zahlreichen Produktionsstätten im Mercosur vertreten ist, dominiert auch den interregionalen Handel und erzielt für die EU seit vielen Jahren einen überaus hohen Handelsüberschuss gegenüber dem Mercosur.
Der Handel mit Kraftfahrzeugteilen ist dabei weit bedeutsamer als der mit Autos. Bei den EU-Pkw-Exporten in den Mercosur entfällt der Löwenanteil noch immer auf Benziner. Im Hinblick auf die innereuropäischen Anteile dominieren mit großem Abstand deutsche Hersteller den EU-Mercosur-Handel.
Bisher setzen europäische Firmen nur sehr geringe Anteile von E-Autos im Mercosur ab. Die E-Mobilität ist in der Region noch nicht sehr weit verbreitet und hat bisher auch nur eine geringe staatliche Förderung erfahren. Hinzu kommt in Brasilien die starke Konkurrenz durch die Flex-Fuel-Pkw, die mit beliebigen Mischungen aus Benzin und Bioethanol betankt werden. Der Löwenanteil des Bio­ethanols wird in Brasilien aus Zuckerrohr erzeugt.
Die vereinbarten Zollsenkungen tragen dazu bei, die Rohstoffversorgung der Autoindustrie abzusichern und zu verbilligen. Dies gilt vor allem für Eisen, Stahl, Kupfer, Lithium sowie diverse weiterverarbeitete Rohstoffe. Doch die Bergbauaktivitäten vor allem in Argentinien und Brasilien verursachen zahlreiche Konflikte mit lokalen Gemeinschaften und indigenen Gruppen, nicht nur wegen der Umweltschäden beim Rohstoffabbau, sondern teilweise auch wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen.
Im trockenen Norden Argentiniens etwa protestieren lokale Gemeinschaften gegen die dortige Lithium-Förderung. Ihre Kritik richtet sich gegen den hohen Wasserverbrauch und die giftigen Rückstände der Minen.
In Brasilien wiederum steht das Eisenerz für eine der größten Bergbaukatastrophen, als im Januar 2019 in der Gemeinde Brumadinho der Damm eines Rückhaltebeckens brach, was 272 Menschen das Leben kostete. Kurz zuvor hatte eine brasilianische Tochter des deutschen TÜV Süd die Stabilität des Damms zertifiziert.
Die Vertragsbestimmungen zu den Agrotreibstoffen verstärken ebenfalls ökologische und menschenrechtliche Risiken. Die Bioethanolquote der EU begünstigt die Expansion brasilianischer Zuckerrohrplantagen, die mit Umweltschäden und Landkonflikten einhergeht.
Ähnlich befördert der von Argentinien zugestandene Abbau von Exportsteuern auf Soja und Biodiesel die Expansion der Sojafront und weitere Entwaldung.
Das Abkommen verstärkt zudem die Nachfrage nach Rindsleder, das die europäische Autoindustrie zu Ledersitzen verarbeitet. Laut dem Vertrag beseitigt die EU Importzölle, die Mercosur-Staaten Exportsteuern auf Rindsleder. Doch in Brasilien, Argentinien und Paraguay tragen die Rinderherden erheblich zur Entwaldung bei. Weil die Rückverfolgung mangelhaft ist, können europäische Autohersteller nicht garantieren, dass ihr Leder nicht aus illegaler Brandrodung etwa in Amazonien stammt.
Auch schwere Menschenrechtsverletzungen am Ursprung ihrer Lieferketten, wie Angriffe auf Indigene und Landarbeiter:innen, können sie nicht ausschließen.

Klimaabkommen ignoriert
Der rasche Zollabbau auf Autos und Autoteile sowie die Herkunftsregeln verschärfen den Wettbewerbsdruck vor allem auf die Autoindustrie des Mercosur. Durch die Flexibilisierung der Herkunftsregeln genießen billige Vorprodukte aus Drittstaaten, die in EU-Exporten enthalten sind, die Zollpräferenzen des Mercosur. Der dadurch verschärfte Wettbewerb gefährdet dortige Arbeitsplätze und verstärkt die Tendenz zur Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse.
Das Abkommen schwächt die Bemühungen, die Emissionen der Autoflotte zu reduzieren. Im Automobilanhang des Vertrags willigen die Mercosur-Staaten grundsätzlich ein, Tests und Zertifikate der Automobilzulassung anzuerkennen, die auf Basis von UNECE- oder EU-Regulierungen erfolgten. Doch die schwachen Test- und Zulassungsverfahren in der EU erleichterten den Autokonzernen nicht nur Abgasmanipulationen, sondern ermöglichen ihnen auch heute noch die rechnerische Schönung ihrer Emissionsbilanzen.
Zusätzlich profitiert die Autoindustrie von der defizitären Ausgestaltung jener Bestimmungen des Abkommens, die ökologische, soziale und menschenrechtliche Risiken eindämmen sollen. Zu nennen sind hier vor allem das nichtsanktionsbewehrte Nachhaltigkeitskapitel, die fehlende Operationalisierung des Pariser Klimaschutzabkommens sowie der Mangel an effektiven Regeln zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten oder entwaldungsfreien Lieferketten.
Nicht zuletzt ist zu befürchten, dass das Abkommen mit einer nur schwachen Menschenrechtsklausel ausgestattet wird. Aufgrund dieser Defizite kann es entlang der transatlantischen Lieferketten der Automobilindustrie weiterhin zu erheblichen Umweltschäden und schweren Menschenrechtsverletzungen kommen.
Aufgrund der schwachen Instrumente zur Risikoprävention erschwert das Abkommen eine sozialökologische Regulierung der Autoindustrie – unabhängig davon, ob sie auf Verbrennungs- oder Elektromotoren basiert. Durch die Begünstigung der Automobilwirtschaft behindert es zudem die erforderliche Mobilitätswende, etwa Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und zur Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs zugunsten öffentlicher Transportmittel.

Der erhebliche Einfluss, den die Automobilindustrie und die mit ihr verbundenen Wirtschaftszweige auf das EU-Mercosur-Abkommen nehmen konnten, unterstreicht die Dringlichkeit einer tiefgehenden Reform der EU-Handelspolitik. Ein Abkommen, das so deutlich die Handschrift der Autoindustrie trägt, deren Mensch und Umwelt schädigende Lieferketten absichert und dabei eine dringend erforderliche Mobilitätswende behindert, sollte nicht mehr ratifiziert werden.

Der Autor forscht seit Jahrzehnten zu den sozialökologischen Auswirkungen des globalen Handels. Im Kontext des geplanten EU-Mercosur-Abkommens untersuchte er im vergangenen Jahr, im Auftrag von Attac, Greenpeace und anderen NGOs, den Einfluss des Automobilsektors.

Der Artikel ist eine Zusammenfassung der Studie »Mobilitätswende ausgebremst – Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie«, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors (www.attac.de/ ­fileadmin/user_upload/Kampagnen/ttip/Mercosur-Abkommen/Studie_ Mobilitaetswende_ausgebremst_ web_ ­final-3.pdf).

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