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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2023

Der vergessene Geburtshelfer des britischen Rundfunks
von Kai Böhne

Keine britische Briefmarke erinnerte an den 100. Gründungstag der British Broadcasting Corporation (BBC) am 18.Oktober 2022, aber die Postverwaltungen der Isle of Man und Serbiens. Sie brachten einen Sondermarkenblock und eine zwölfteiligen Markenserie dazu heraus.
Die Post auf der Insel in der Irischen See erinnerte an den in Castletown geborenen Insulaner Sir Frank Gill (1866–1950), der in der Gründungsphase der BBC eine entscheidende Rolle spielte.

Der ausgebildete Ingenieur Gill arbeitete für eine Telefongesellschaft in London und stieg, dank seiner Talente und seines Engagements, schnell im Unternehmen auf. 1919 wurde Gill Chefingenieur in der Londoner Zentrale des US-Unternehmens Western Electric Company. Während sich die noch junge Radiotechnik in Großbritannien als Hobby von Bastlern ausbreitete, die ihre eigenen Empfangsgeräte bauten, erlebte das neue Medium in den USA einen regelrechten Boom mit landesweit mehr als 550 Sendestationen. Die britische Post, bei der die Telegrafie und die Telefonie angesiedelt waren, sah in der amerikanischen Sendervielfalt ein Durcheinander und eine Gefahr. Sie fürchtete, dass die verschiedenen Hersteller von Radios ihre Einnahmen dazu verwenden würden, eigene Radioprogramme auf den Markt zu bringen und untereinander zu konkurrieren. Das wollte sie nicht.
Bei mehreren von Frank Gill geleiteten Treffen mit Geräteherstellern im Institute of Electrical Engineers (IEE) wurden diese aufgefordert zusammenzuarbeiten, statt untereinander in Wettbewerb zu treten. IEE-Präsident Gill verlangte vor allem von den beiden größten Produzenten, Marconi und Metropolitan Vickers, ihre Differenzen zu begraben und sich für eine Radioorganisation mit öffentlich-rechtlichem Ansatz zu entscheiden.
Zunächst hatten die beiden Elektrotechnikunternehmen darauf bestanden, getrennte Wege zu gehen. Doch Gill sprach sich entschieden dagegen aus. In Amerika, wo es keine gesetzlichen Regularien gab, hatte er erlebt, wie konkurrierende Anbieter ihre Mitbewerber bei deren Sendebeginn technisch störten und blockierten. Derartige Zwistigkeiten sollten in Großbritannien verhindert werden: Eine einzige Organisation sollte die britische Rundfunkproduktion verwalten, sie sollte nicht durch Patentstreitigkeiten und differierende Unternehmensinteressen behindert werden.
Im Juli 1922 übergab Gill den Vorsitz des Vermittlungsgremiums an Sir William Noble, um eine Anstellung in den USA anzutreten. Rückblickend sieht Elizabeth Bruton, Kuratorin für Technologie und Ingenieurwesen im Wissenschaftsmuseum in London, Gills größten Verdienst in dessen vermittelnder Rolle bei der Gründung der BBC. Laut Bruton hatte Gill ein sehr gutes Gespür und Talent dafür, Menschen zusammenzubringen und sie von der zukunftsweisenden Bedeutung der Telekommunikation für Unternehmen und private Nutzer zu überzeugen. Gills Diplomatie und seinem Namensvorschlag, »British Broadcasting Company«, der 1927 in »British Broadcasting Corporation« modifiziert wurde, sei es zu verdanken, dass er alle beteiligten Unternehmen in ein gemeinsames Boot holte.
Im November 1922 erfolgte die erste terrestrische Radioübertragung der BBC. Für seine Verdienste um die Telefonindustrie wurde Frank Gill, der Junge aus dem kleinen Küstenort Castletown im Süden der Insel Man, 1941 zum Ritter geschlagen.
Die Motive des zwölfteiligen 73-Pence-Markensatzes, der von der ­Isle-of-Man-Post seit Mai 2022 ausgegeben wird, wurden in Zusammenarbeit mit den BBC-Studios entworfen. Ziel war es, an die vielen legendären BBC-Programme zu erinnern, etwa an die Science-Fiction-Serie Doctor Who, das Sportprogramm Match of the Day, die Kinderserie Blue Peter und die Unterhaltungssendung Strictly Come Dancing.

Zwei herausragende Mitarbeiter
Auch die serbische Post würdige das 100jährige Bestehen der BBC im Dezember 2022 mit einem Sonderblock. Der Block zu 105 serbischen Dinar zeigt die beiden Schriftsteller George Orwell (1903–1950) und Borislav Pekic (1930–1992) hinter einem klassischen BBC-Mikrofon. Beide haben tatsächlich mehrfach dort hineingesprochen.
George Orwell verfasste zwei bedeutende Romane des 20.Jahrhunderts: Farm der Tiere und die Dystopie Neunzehnhundertvierundachtzig. Orwell hatte ein feines Gespür für soziale Ungerechtigkeiten und politische Unterdrückung. Im Dezember 1936 reiste er als Freiwilliger nach Spanien, um auf Seiten der Republik gegen die faschistischen Militärs unter General Franco zu kämpfen. Nach dem deutschen Überfall auf Polen meldete sich Orwell erneut als freiwilliger Kämpfer, wurde jedoch wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung abgelehnt. Von August 1941 bis zum Herbst 1943 arbeitete der in Indien geborene unermüdliche Streiter gegen Unfreiheit in der Südostasien-Abteilung für die BBC.
Auch der serbische Schriftsteller Borislav Pekic (1930–1992), der bis 1971 in Jugoslawien lebte, arbeitete für die BBC. Für den Auslandsrundfunk, BBC World Service, verlas Pekic von 1986 bis 1991 wöchentlich seine »Briefe aus London«, in denen er auf humorvolle Weise die Zuhörer mit originellen Beobachtungen über Land und Leute in Großbritannien unterhielt.

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