In der Tarifrunde Deutsche Post AG geht es um mehr als um Lohn
von Tim Laumann
Nach drei Streikwellen ließ sich der Post-Vorstand endlich zu einem Angebot an die Verhandlungsführung der Gewerkschaft Ver.di herab. Es ist unmäßig kompliziert und besteht im wesentlichen aus einer Aufsplitterung der als »Inflationsbekämpfung« deklarierten steuer- und damit auch sozialabgabenfreien 3000 Euro, deren Auszahlung die Bundesregierung ermöglicht hatte. Ein Teil dieses Betrags wird nach Ablauf von einem bzw. zwei Jahren in die Entgelttabelle eingetragen.
Mit dem Angebot eines Festgeldbetrages soll zum einen Verwirrung gestiftet werden: Beliebig können auf diese Weise gegenüber den Medien und unter den Kollegen Prozentangaben genannt werden, um Verwirrung in die Diskussion über das Angebot zu tragen. Außerdem sind Festgeldbeträge greifbarer und haben den »Charme«, untere Einkommen angeblich besonders zu begünstigen. Das stimmt hier nicht, denn der »Corona-Abschluss« 2020 zwischen Ver.di und der Post brachte verteilt über zwei Jahre 4 Prozent, also pro Jahr 2 Prozent. Bei einer Inflation von 8 Prozent im Jahr 2022 macht das allein für dieses Jahr 6 Prozent Reallohnverlust. Da ist ein Festgeldbetrag von 100 bzw. 150 Euro ein Tropfen auf den heißen Stein, aber keine Verbesserung der unteren Einkommensgruppen.
Der Propagandaaufwand der Post ist – auch im Vergleich zu vorherigen Tarifrunden und selbst zum Kampf gegen die Ausgliederung der Delivery im Jahr 2015 – riesig. Bereits zu den Mitarbeiterversammlungen in der Vorbereitung und Durchführung der Tarifrunde stellte der Vorstand Argumentationsmaterial bereit, das einige Niederlassungsleitungen auch nutzten. Niederlassungsleitungen und Leitungen der Zustellstützpunkte mit Leitungsfunktion (ZSPL) kamen in die Zustellstützpunkte und »erklärten« den Arbeitern das Angebot.
Gepaart wird das mit den üblichen Medientricks: Schon vor der Tarifrunde verbreiteten die Medien, die Post plane die Ausgliederung oder sogar Einstellung der Briefzustellung in der Bundesrepublik, es wurde über Treffen mit der Bundesnetzagentur und Planspiele berichtet. Auf dem Fuße folgte aber auch das Dementi, man wolle langfristig sichere Jobs und die Zukunft der Briefpostzustellung hieß es – damals.
In ihrer ersten Reaktion auf die Ablehnung des Angebots der Post durch die Verhandlungskommission und, darauf folgend, durch die Tarifkommission von Ver.di verschärfte die Post nun den Ton: Ver.di habe ein historisches Angebot ausgeschlagen und riskiere nun die sicheren Arbeitsplätze, die man doch habe anbieten wollen. Gleichzeitig tauchen in den Medien wieder Spekulationen über die Ausgliederung von Zustellbezirken oder gleich der ganzen Briefzustellung auf, werden bemerkenswert viele Jobangebote online und anderswo geschaltet, wohl wissend, dass man damit Angst schüren kann.
Die Post will mehr Flexi
Die Arbeiter und ihre Gewerkschaft stehen nun vor der Urabstimmung und vor der Frage eines unbefristeten Erzwingungsstreiks. Die Aufklärung über das Angebot nimmt derzeit viele Kräfte in Anspruch, deutlich wird erneut, was viele bereits bei den Warnstreikwellen gesehen hatten: Es gibt massive Mängel in der Organisation.
Gerade dort, wo durch jahrzehntelange Sozialpartnerschaft und Stellvertreterpolitik die Organisation, vor allem an der Basis, verkümmert war, wurden ZSPLs nicht zum Streik aufgerufen, weil der eine (!) Vertrauensmann krank war; wurden Streikende zu wenig erfasst und kaum auf Kämpfe vorbereitet. An einigen Orten wurden konkrete Forderungen nach Stärketests abgelehnt. Dieser Stärketest wird der Gewerkschaft nun durch die Urabstimmung aufgezwungen, die selbst hoch gewählte Mindestquote von 75 Prozent wird zur Nagelprobe auch des Kampfwillens der Arbeiter an der Basis, die in dieser speziellen Lohnrunde – unter Inflationsbedingungen – den Kampf erzwingen müssen.
Die Argumentation der Post beweist, dass es hier um mehr geht. Die Post hat trotz aller Fehler und Mängel eine funktionierende, an einigen Stellen kämpferische gewerkschaftliche Struktur. Diese fesselt das Kapital an den Standort Deutschland und erzwingt einen relativ großen Stamm an Personal. Beweisen die Arbeiter in diesem Kampf, dass sie sich wehren können, wird das auch die kommenden Auseinandersetzungen um die Zukunft der Post beeinflussen.
Veränderte Produktions- und Konsummuster haben zu schwankenden Brief- und Paketmengen geführt, darauf will die Post mit immer mehr Flexibilisierung und Arbeitsverdichtung reagieren. Das hat die Post bereits getan – durch die Zweiteilung ländlicher Bezirke in einen A- und einen B-Teil, wovon pro Tag nur einer die »ganze« Post bekommt und bestimmte Sendungen zurückgehalten werden; und durch »Flex-Bezirke«, die bei Personalmangel oder niedriger Postmenge unter die anderen Zusteller aufgeteilt werden.
Weitere Schritte in dieser Flexibilisierungsstrategie gehen nun an die Grenze des nach Postgesetz und Bundesnetzagentur Machbaren. Ver.di setzt auf diese Grenze und zeigt damit ein Vertrauen in den bürgerlichen Staat, das den Postlern seit der staatlich betriebenen Privatisierung zugunsten von BlackRock und anderen eigentlich vergangen sein sollte.
Im Kampf um das »große Ganze« ebenso wie bei der Aufklärung über das magere Angebot des Post-Vorstandes muss es heißen: Vertraut auf die eigene Kraft!
Der Autor ist Briefzusteller bei der Deutschen Post, er schreibt regelmäßig für Unsere Zeit (UZ), die Zeitung der DKP.
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