Anuk Arudpragasam: Nach Norden. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Berlin: Hanser, 2022. 320 S., 25 Euro
von Gerhard Klas
Wie schon in seinem Debutroman Die Geschichte einer kurzen Ehe beschäftigt sich Anuk Arudpragasam auch in seinem neuen Buch wieder mit dem Krieg. Diesmal stehen die Nachwirkungen und Traumata des Bürgerkriegs im Norden Sri Lankas gegen die Unabhängigkeitsbewegung der Tamil Tigers von 1983 bis 2009 im Mittelpunkt.
Der Roman beginnt mit einer langsamen Annäherung an den Krieg: Krishan, von Abstammung Tamile, wächst in einem Akademikerhaushalt in der Hauptstadt Colombo auf. Schon als Student im indischen Neu-Delhi, fernab vom blutigen Krieg, entwickelt er Schuldgefühle.
Die unmittelbarste Auseinandersetzung mit den Folgen des mittlerweile beendeten Krieges erlebt er Jahre später bei der Begegnung mit Rani, der Haushälterin seiner Großmutter, die aus dem Kriegsgebiet kommt. Sie hat beide Söhne im Krieg verloren, den jüngsten, elf Jahre alt, am letzten Kriegstag durch einen Granatsplitter. Sie hat eine schwere Depression entwickelt, die mit einer sog. Elektrokrampftherapie, also mit Stromschlägen, behandelt wird. Mit seiner bildhaften Sprache und philosophischen Diskursen führt Arudpragasam die Absurdität nicht nur dieser Therapie vor Augen.
Als Rani aus einem Urlaub im Norden nicht mehr zurückkehrt, weil sie sich beim Sturz in einen Brunnen das Genick gebrochen hat, beginnen sich Krishans Gedanken um die Ursachen ihres Todes zu drehen. Er beschließt, zu ihrer Beerdigung zu fahren und nach Antworten suchen. Er findet Antworten, die in einem starken Kontrast stehen zum offiziellen Umgang mit dem Bürgerkrieg. Denn die Regierung zerstört alles, was an die Tamil Tigers erinnern könnte: Wandmalereien, Gebäude, Denkmäler, sogar Friedhöfe.
Arudpragasam hat den Opfern des Krieges mit seinem Buch ein literarisches Denkmal gesetzt. Dabei erweckt das assoziative Schreiben des Autors nie den Eindruck der Beliebigkeit, sondern markiert die Verbindungen zwischen den Protagonisten des Romans und der Gesellschaft, in der sie leben.
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