Verhandeln heißt nicht kapitulieren
von Angela Klein
Der Aufruf Schwarzer/Wagenknecht für einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen hat einen Nerv getroffen, mehr als eine halbe Million haben ihn Ende Februar unterschrieben.
Die Initiator:innen repräsentieren eine große politische Bandbreite, die reicht vom Brigadegeneral a.D., Peter Gauweiler von der CSU über Heike Sander und Jürgen Grässlin bis zu Wolfgang Streeck und Christoph Butterwegge. Selbst ein AfD-Chef hat ihn unterzeichnet. Kein Wunder, denn dieser Aufruf klammert die Klassenfrage völlig aus und spricht stattdessen davon, »Schaden von Deutschland abwenden zu wollen«. Die Sorge, der Protest könne von extrem rechts unterlaufen werden, ist dennoch unbegründet: Rechte stehen für militärische Sicherheit, das Grundsatzprogramm der AfD fordert eine »umfassende Befähigung der Bundeswehr«.
Zugegeben, eine solche Gemengelage ist für Linke unbehaglich. Aber der Aufruf fokussiert auf das Richtige: »die Sorge um die Ausweitung des Krieges«. Richtig ist auch, dass Verhandeln nicht kapitulieren bedeutet, sondern Kompromisse machen. Deshalb sagt er ein klares Nein zu weiteren Waffenlieferungen.
Warum geht eine solche Initiative nicht von links aus? Warum lässt die Linke es zu, dass ihr das Banner der Antikriegspartei aus der Hand genommen wird?
Die Eskalation
Viele Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit Angst hat vor einer Eskalation des Krieges und seinen langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen.
Die Sorge ist begründet. Die Entscheidung, der Ukraine Kampfpanzer zu liefern, hat eine Lawine neuer Forderungen der ukrainischen Regierung ausgelöst: nun will sie auch Kampfjets, weitreichende Raketen und eine Flugverbotszone – also das direkte Eingreifen der NATO in ihren Krieg gegen Russland. Auf NATO-Seite nimmt der Widerstand dagegen immer stärker ab. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg antwortete auf der Pressekonferenz im Anschluss an das NATO-Außenministertreffen am 13.Februar auf die Frage der FAZ, ob er immer noch gegen die Lieferung von Kampfflugzeugen sei: Kampfjets ja, Flugverbotszone nein. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann die ukrainische Regierung den Krieg auf russisches Territorium ausweitet.
Inzwischen ist auch klar, dass Waffenlieferungen unmittelbar zur Aufrüstung führen, Linke also nicht gleichzeitig für Waffenlieferungen und gegen Aufrüstung sein können. »Die gegenwärtige Frequenz des Munitionsverbrauchs der Ukraine ist um ein Vielfaches höher als unsere gegenwärtige Produktionsrate«, sagt Stoltenberg. Deshalb sollen die Kapazitäten der Rüstungsindustrie der NATO-Länder jetzt maximal hochgefahren werden. Die Ukraine selber kann keinen Nachschub mehr herstellen, weil ihre Waffenproduktion zerstört ist.
Für wen?
Spätestens wenn Kampfjets und Raketen den Krieg auf russisches Territorium tragen, nähern wir uns einer Situation, die die russische Führung als Kriegsbeteiligung der NATO betrachten kann. Spätestens dann wird der Abwurf einer Atombombe auf Kiew eine reale Möglichkeit. Spätestens dann werden die Bevölkerungen in den anderen europäischen Ländern nicht mehr nur Zuschauer sein, sondern russische Gegenschläge riskieren. Spätestens dann würden wir für den Krieg in der Ukraine nicht nur mit tiefen Einschnitten in unsere Lebenshaltungskosten, anhaltende Preissteigerung und wirtschaftliche Rezession, sondern auch mit Leib und Leben bezahlen.
Spätestens dann müssten wir uns die Frage stellen, für wen wir das eigentlich alles opfern? In der Ukraine ist eine kleptokratische Klasse an der Macht, die sich nur bereichern will und unfähig ist, dem Land eine Zukunft weisen. Weshalb sie westlichen Konzernen die Tore weit aufmacht (früher waren es auch russische Konzerne) und das Land an sie verscherbelt, solange sie sich davon eine Scheibe abschneiden kann.
Ist das auch im Interesse der ukrainischen Arbeiterklasse? Diese Frage wird in den offiziellen Debatten ausgeklammert, stattdessen auf das Recht auf nationale Selbstbestimmung verwiesen. Wer und was aber ist die Nation? Der Begriff spiegelt ein gemeinsames Klasseninteresse vor, das es auch in der Ukraine nicht gibt. Ende Januar musste Selenskyj hochrangige Beamte aus seiner engsten Entourage wegen allzu dreister Korruption entlassen. Der Gouverneur von Saporischschja etwa hatte Hilfslieferungen für die Armee einfach gestohlen, andere haben sich beim Kauf von Generatoren oder bei der Belieferung der Armee mit Lebensmitteln bereichert. Die NZZ schrieb dazu: »Die Toleranz der Bevölkerung für die Selbstherrlichkeit der Elite sinkt angesichts der eigenen Opfer rapide. Doch das politische System macht ein hartes Durchgreifen fast unmöglich … [Selenskyjs] Bewegung ›Diener des Volkes‹ dient unterschiedlichen und nach wirtschaftlichen sowie persönlichen Loyalitäten organisierten Gruppierungen als ›Dach‹ zum Machterhalt. Auch die Position des Präsidenten innerhalb dieser Konstellation bleibt bis heute nicht vollständig geklärt.«
Solche Vorfälle sind ein weiterer Hinweis darauf, dass der Krieg an dem korrupten Regime nichts ändert, sondern nur dessen eigenes Klasseninteresse verfolgt. Der Chef der norwegischen Abwehr, Eirik Kristoffersen, sprach im vergangenen Januar gegenüber dem norwegischen Sender TV2 von 100000 getöteten oder verletzten ukrainischen und 180000 russischen Soldaten. Wofür wurden diese Verluste erbracht? Warum verschwindet jeder Klassendiskurs auch bei vielen Linken hinter einer Nebelwand? Die ukrainischen Werktätigen haben ein Interesse daran, dass die russischen Truppen sich aus der Ukraine zurückziehen, sie haben aber sicher kein Interesse an einem umfassenden Krieg gegen Russland, wie ihn Frau Baerbock gerne führen möchte.
Zwei Fehler
Gegen die Ablehnung weiterer Waffenlieferungen werden zwei Argumente ins Feld geführt:
1. Wenn Russland die Ukraine besiegt, wird es nicht Halt machen und als nächstes die angrenzenden Länder, etwa Polen oder die baltischen Staaten überfallen.
Falsch, denn Putin kann die Ukraine nicht besiegen.
Bisher wird der Krieg ganz konventionell, d.h. als Krieg zwischen zwei Staaten geführt. Sollte Putin über den Donbass hinaus die Ukraine besetzen, würde sich ein irregulärer nationaler Widerstand gewaltigen Ausmaßes entwickeln, gegen den der Widerstand der Mudschaheddin in Afghanistan klein erscheinen wird. Russland würde ein zweites Afghanistan erleben, und das hätte in Moskau politische Konsequenzen. Wenn der Krieg aber auf russisches Territorium getragen wird, wird dies die Bevölkerung hinter Putin eher zusammenschweißen.
2. Russland will nicht verhandeln, erst wenn die Ukraine eine militärische Überlegenheit erreicht hat, gibt es eine Chance dafür.
Falsch. In den ersten Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine hat der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett versucht, einen Verhandlungsfrieden zwischen Kiew und Moskau zu erreichen, berichtete die Berliner Zeitung am 8.Februar. Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen. Er ist vor allem an Boris Johnson gescheitert, der habe die Position vertreten, man müsse Putin weiter bekämpfen. Auf die Frage, ob die westlichen Verbündeten die Initiative letztlich blockiert hätten, antwortete Bennett: »Im Grunde genommen, ja. Sie haben es blockiert, und ich dachte, sie hätten unrecht.«
Wenn Linke die Forderung nach Waffenstillstand mit einem eigenen Profil untermauern wollen, dann suchen sie – über alle möglichen Meinungsverschiedenheiten hinweg – den Kontakt zu ukrainischen Gewerkschaften und der sozialistischen Linken.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.