Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2023

Für die Berliner LINKE wäre viel mehr drin gewesen
von Lucy Redler und Hermann Nehls

Der Ausgang der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen ist in vielerlei Hinsicht beachtenswert.

Zunächst: Die Berliner LINKE ist mit einem blauen Auge davongekommen. Sie erreichte 12,2 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Sie hatte im Wahlkampf besonderen Wert daraufgelegt, sich eine Berliner Marke zu verpassen. Streitigkeiten um Sahra Wagenknecht und vor allem um die Haltung der LINKEN zum Ukrainekrieg sollten keine Rolle spielen. So war der Wahlkampf ganz darauf abgestellt, die Erfolge im Bündnis mit SPD und den Grünen herauszustellen und sich wieder als »progressiver« Koalitionspartner anzudienen.
Was die Arbeit in der Koalition angeht, betitelte der Tagesspiegel treffend die Arbeit des Spitzenkandidaten Klaus Lederer mit den Worten »konsolidieren und Konflikte vermeiden«. Dazu passt kein profilierter Wahlkampf. Beispielhaft stand dafür ein Wahlplakat in der heißen Phase des Wahlkampfs, auf dem großflächig zu lesen war: »Wählen Sie!« – mehr nicht. Man segelte unter dem Radar und wollte in der Hoffnung auf eine erneute Regierungsbeteiligung nicht anecken.
Bei aller Erleichterung, dass die Berliner LINKE mit einem blauen Auge davongekommen ist, dürfen die eklatanten Fehler, die das Ergebnis zeigt, nicht übersehen werden. im Vergleich zur Wahl 2021 hat die Berliner LINKE 70000 Stimmen verloren (1,9 Prozentpunkte bei den Zweitstimmen). Die Ost-Bezirke sind nicht mehr das Kraftzentrum, das die Spitzenwerte sichert.
Angesichts zentraler politischer Polarisierungsachsen in Berlin wie Wohnungs- und Verkehrspolitik und natürlich die Folgen der Teuerung ist dieses Ergebnis enttäuschend. Objektiv hätte die Berliner LINKE das Potenzial zu einem viel besseren Wahlergebnis gehabt. Sie hat es leider nicht ausreichend genutzt, weil sie darauf verzichtet hat, SPD und Grüne anzugreifen. Das war falsch, entsprach aber dem Ziel der Fortsetzung der Regierungskoalition durch die Fraktions- und Landesspitze. Nicht zuletzt deshalb beteiligten sich 40000 ehemalige LINKE- Wähler:innen nicht an der Wahl; es war nicht erkennbar, wofür die Berliner LINKE eigentlich steht.

Deutsche Wohnen enteignen
Das könnte auch dazu beigetragen haben, dass es nur unzureichend gelungen ist, die eigene Wählerbasis zu mobilisieren. Die Berliner LINKE hat es nicht geschafft, den Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« umzusetzen und hat damit Vertrauen verspielt. Das wird nicht nur der LINKEN, sondern auch anderen Parteien der Koalition angelastet, aber Die LINKE war 2021 als die Partei angetreten, die den Volksentscheid durchsetzen wollte und hat dessen Umsetzung dann nicht mal zur Gretchenfrage in der Koalition gemacht.
Dieser Faktor hat dazu geführt, dass viele Mitglieder keine Lust hatten, für ein »Weiter so« Wahlkampf zu machen. Und in der Debatte um Waffenlieferungen und überhaupt um die Haltung zum Krieg in der Ukraine wurde ein innerparteilicher Maulkorb verhängt, streng nach dem Motto: »Besser nicht thematisieren.« Dabei hielt sich Klaus Lederer mit einer Befürwortung von Waffenlieferungen nicht zurück.
Ein anderes Bild lieferten der Bezirksverband Neukölln und andere Genoss:innen. Die Neuköllner LINKE hatte sich mit den Forderungen »Löhne rauf, Preise runter, Menschen vor Profite« ein eigenes Profil gegeben und es mit einem aktiven, antikapitalistischen Wahlkampf, zu dem über 10000 Haustürbesuche gehörten, geschafft, Wähler:innen zu mobilisieren. Die LINKE-Kandidatinnen Jorinde Schulz und Lucy Redler sorgten mit Erststimmenergebnissen von 30,7 und 26,3 Prozent für Spitzenwerte.

Die CDU hatte leichtes Spiel
Was sicher wahlentscheidend war: Die Zufriedenheit mit dem seit der Wahl 2021 amtierenden Berliner Senat, der von SPD, Grüne und der LINKEN gestellt wurde, war vor der Wahl am 12.Februar 2023 auf einen historischen Tiefstand gesunken. Drei Viertel der Wahlberechtigten gaben in Umfragen an, mit seiner Arbeit weniger oder gar nicht zufrieden zu sein. Auch große Teile der Anhänger:innen der Senatsparteien waren mit der Arbeit unzufrieden: mit der SPD, die immerhin die Regierende Bürgermeisterin stellte, fast die Hälfte; mit den Grünen mehr als die Hälfte; mit der LINKEN knapp zwei Drittel. Die Regierungsparteien haben es der CDU leicht gemacht, als Protestpartei zu punkten, andere gingen erst gar nicht mehr zu Wahl.
Die CDU hat die Wahl klar gewonnen und sich deutlich verbessert. SPD und Grüne lagen gleichauf auf Platz zwei. Für die SPD ist es das schlechteste Ergebnis in Berlin seit 1945. Die Grünen haben nur sehr leicht gegenüber 2021 verloren. Die LINKE verlor etwas stärker, kam aber wieder auf den vierten Platz.
Bei den übrigen Parteien ergibt sich folgendes Bild: Die AfD legte leicht zu, die FDP scheiterte an der Fünfprozenthürde und ist nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten. Die CDU legte auch bei den Erststimmen deutlich zu und gewann fast alle Direktmandate außerhalb der Innenstadt. In der Innenstadt gingen fast alle Direktmandate an die Grünen. Die SPD und die LINKE verteidigten jeweils nur deren vier, die AfD ihre zwei Direktmandate in Marzahn-Hellersdorf.
Die CDU wurde zum Magneten für einen Teil der politisch Unzufriedenen. Die Hälfte ihrer Wähler:innen stimmte aus Enttäuschung über andere Parteien für sie (laut Infratest dimap, ARD-Analyse). Der Wahlsieg wurde maßgeblich von 60000 Wähler:innen bestimmt, die von der SPD zur CDU wechselten, vornehmlich über 60 Jahre alt und durch die Themen »Sicherheit und Ordnung« motiviert waren. Mit dazu beigetragen hat sicherlich auch die rassistische Kampagne der Berliner und der Bundes-CDU im Anschluss an die Silvestervorfälle.

Die AfD hat sich stabilisiert
Was viel zu wenig Beachtung fand: Der Berliner AfD ist es gelungen, ihre Stammwählerschaft abzugreifen und die Zahl der Sitze im Berliner Abgeordnetenhaus von bisher 13 auf 17 Sitze auszubauen. Vor dem Hintergrund des positiven Bundestrends hatte sie auf mehr gehofft. Dass sie kein besseres Ergebnis erzielte, wurde in vielen Kommentaren mit Erleichterung aufgenommen.
Dazu besteht allerdings kein Grund. Die Berliner AfD geht immer stärker in Richtung des völkisch-nationalistischen Flügels der Partei. Jeanette Auricht und Gunnar Lindemann aus Marzahn-Hellersdorf, beide dem Höcke-Lager zuzurechnen, haben ihre Direktmandate verteidigt. Über die Landesliste rücken nun unter anderem Carsten Ubbelohde und Rolf Wiedenhaupt nach, die ebenfalls dem völkisch-nationalistischen Flügel zugerechnet werden, sowie Robert Eschricht, Chef der AfD Neukölln, die vor allem durch NPD-Nähe und Verwicklung in den Neukölln-Komplex bekannt ist.
Die AfD zieht mit Ausnahme von Friedrichshain-Kreuzberg in allen Bezirken in Fraktionsstärke in die BVVs ein, erringt insgesamt 64 BVV-Mandate und erhält in vier Bezirken Anspruch auf jeweils ein Mitglied im Bezirksamt (Spandau, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick).

Wie weiter?
Für die schwarz-rote Koalition, die jetzt kommt, gibt es einen gemeinsamen Nenner: Sie will verhindern, dass es zu einer Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne kommt. Nichts anderes verbirgt sich hinter dem von Kai Wegner und Franziska Giffey angekündigten »Vergesellschaftungsrahmengesetz«. Sie wollen lieber die Immobilienkonzerne schützen, statt der Forderung nach Vergesellschaftung von über einer Million Wähler:innen nachzukommen. Eine schwarz-rote Koalition wird genug Anlass geben, in Berlin auf die Straße zu gehen.
Jetzt ist es höchste Zeit für Die LINKE, statt nur organisatorischer auch politische Schlussfolgerungen aus den letzten Jahren zu ziehen und zu erkennen: Die LINKE kann ungebunden aus der Opposition heraus und an der Seite von Kämpfen und Bewegungen mehr Druck erzeugen denn als linker Flügel einer Regierung mit SPD und Grünen.

Die Autoren sind Mitglieder der Berliner LINKEN Neukölln und der Basisorganisation Reuterkiez.

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