Die Ukraine bietet sich als Testfeld für die neuesten Entwicklungen in der Waffentechnologie an
von Christoph Marischka
Der Krieg in der Ukraine stellt tatsächlich eine »Zeitenwende« dar – auch im Hinblick auf die beschleunigte Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien auf dem Schlachtfeld. Das gilt insbesondere für Drohnen im Sinne von unbemannten Luftfahrzeugen. Manches, was gerade in der Ukraine passiert, war absehbar. Anderes ist überraschend, und vieles gibt den Drohnenkritiker:innen im nachhinein leider Recht.
Die Drohnendebatte setzte ab 2010 ein, maßgeblich vorangetrieben von der Friedensbewegung. Sie wurde von den sogenannten »gezielten Tötungen« der US-Regierung überschattet, es ging aber vor allem um die Beschaffungsprogramme der Bundesregierung und die Frage, ob die deutschen Drohnen bewaffnungsfähig sein würden. 2013 wurde eine Kampagne ins Leben gerufen, die den Einsatz unbemannter Flugfahrzeuge in all ihren Formen kritisierte: »Gegen die Etablierung einer Drohnentechnologie zur Kriegsführung, Überwachung und Unterdrückung!«
Im Gegensatz zu dieser umfassenden Kritik forderten Expert:innen aus Militär und Denkfabriken, bei der Technologie nach Funktion, Größe/Reichweite, Bewaffnungsfähigkeit und anderen Merkmalen zu unterscheiden. Zum Teil befürworteten sie entsprechende Forschungen und die Anschaffung von Drohnen für bestimmte Einsätze.
In bezug auf unbewaffnete Drohnen verweisen Befürworter auf die Vielzahl ziviler Anwendungen. In bezug auf den militärischen Einsatz heben sie die angeblich deeskalierenden oder gar humanitären Potenziale hervor, weil Drohnen beispielsweise zur Kontrolle von Abrüstungsvereinbarungen eingesetzt werden können. Wegen ihrer Zielgenauigkeit und bei Echtzeitüberwachung könne die Technik zivile Opfer vermeiden helfen und zu einer »saubereren Kriegführung« beitragen.
Irrtümer und (böse) Überraschungen
Viele dieser Behauptungen sind seit den ersten Wochen des Ukrainekriegs vom Tisch. Drohnen werden umfangreich und erfolgreich eingesetzt, vor allem von der ukrainischen Seite. Umgerüstete Hobbydrohnen werden von Spezialkräften der Ukraine zur Aufklärung eingesetzt. Sie sollen entscheidend dazu beigetragen haben, den russischen Vormarsch auf Kiew zu stoppen.
Solche Drohnen werden jedoch auch mit Sprengsätzen bestückt, die sie über gegnerischen Stellungen abwerfen. Unbewaffnete Drohnen dienen der psychologischen Kriegführung: den Feind einschüchtern und die eigene Kampfmoral steigern, etwa durch Bilder zerstörter feindlicher Waffensysteme oder Videos von fliehenden Soldaten.
Auch die größeren Kampf- und Aufklärungsdrohnen liefern eine Vielzahl von Aufnahmen, die sorgfältig ausgewählt und für die Propaganda eingesetzt werden. Zugleich sind sie Teil der Zielerkennung, unter anderem für den Artilleriebeschuss. Kampfdrohnen ermöglichen es, aus großer Entfernung feindliche Stellungen, Panzer und andere Ziele anzugreifen. Auch die Global Hawks der USA liefern aus großer Höhe vom NATO-Bündnisgebiet aus Informationen über die russischen Aktivitäten, die an die ukrainischen Streitkräfte weitergegeben werden.
Die Stimmen, die die Drohnen mit einer »Zivilisierung der Kriegführung« in Verbindung brachten, werden seit dem Krieg um Berg-Karabach im Jahr 2020 leiser. Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nannte diesen Konflikt den »ersten echten Drohnenkrieg«. Damals erschienen eindringliche Berichte über den Horror, den Drohnenattacken der aserbaidschanischen Armee unter armenischen Truppen und in der Zivilbevölkerung auslösten.
Die von Russland eingesetzten iranischen Kamikazedrohnen Shahed-136 werden hierzulande oft als »Terrorwaffen« bezeichnet. In der frühen Phase des Ukrainekriegs zeigten das ukrainische Militär und westliche Medienberichte häufig, wie Drohnen bei russischen Soldaten Angst und Schrecken auslösten. Vereinzelt gab es aber auch vergleichbare Berichte über russische Drohnenangriffe in der Schlacht um Bachmut, die oft als »Fleischmühle« (meat grinder) bezeichnet wird.
Drohnen als Massenware
Bislang hat die Bundeswehr fünf grundsätzlich bewaffnungsfähige Drohnen geleast und die Beschaffung auf den Weg gebracht. Die Entwicklung der sogenannten Eurodrohne wird seit 2013 vorbereitet und mit Milliardensummen finanziert. Die Auslieferung der ersten von insgesamt 63 Exemplaren ist für 2028 vorgesehen. Von der Eurodrohne verspricht sich das Militär eine grundlegend neue Qualität und Überlegenheit.
Die kriegerische Praxis in der Ukraine sieht aber völlig anders aus. Die zu Hunderten vom Iran an Russland und von den USA an die Ukraine gelieferten Kamikazedrohnen (RUS: Shahed-136, UKR: Switchblade) sind vergleichsweise billige Massenware. Dies gilt auch für die türkischen Kampfdrohnen vom Typ TB-2, mit denen die Ukraine in den ersten Wochen des Krieges große Erfolge erzielte. Sie sind zwar relativ leicht abzuschießen, aber ihre Stückkosten werden auf »nur« etwa 6 Millionen US-Dollar geschätzt. »Wenn du eine, zwei, drei verlierst, ist es egal, solange andere das Ziel finden«, wird ein türkischer Rüstungsbeamter zitiert.
Auch für die Shahed-136 werden solche Kalkulationen angestellt. Wegen ihrer Lautstärke und technischen Einfachheit werden sie »fliegende Rasenmäher« genannt. Die Stückkosten werden auf lediglich 20000 US-Dollar geschätzt. Deswegen soll sich der recht zuverlässige Abschuss etwa durch IRIS-T-Lenkwaffen kaum lohnen, da eine einzelne solcher Raketen über 400000 US-Dollar kostet.
Entsprechend sind schnell die Lieferketten in den Blick der militärischen Planung gerückt. Beispielsweise stellte sich in Hinblick auf die TB-2 und ihre zahlreichen Abschüsse durch Russland schnell heraus, dass der türkische Hersteller »kein Problem« damit haben sollte, »die Produktion aufrechtzuerhalten«. Anders sehe das bei russischen Drohnen vergleichbarer Größe aus, da die Sanktionen es Russland erschweren, Zugang zu den in ihnen enthaltenen Hightechkomponenten zu bekommen.
Das ukrainische Verteidigungsministerium und ihm nahestehende Nichtregierungsorganisationen haben wiederholt Analysen und Listen von Komponenten veröffentlicht, die in der Shahed verbaut sind und von westlichen Firmen stammen, um den russischen Nachschub zu unterbinden. Darunter sind auch 40 Bauteile von 13 US-amerikanischen Firmen und ein Motor, der zunächst aus Deutschland stammte, nun aber im Iran nachgebaut wird. Allerdings sind viele dieser Komponenten so einfach und alltäglich, dass sie sich schwer sanktionieren oder leicht ersetzen und nachbauen lassen.
Abnutzungskrieg und Testfeld
Es wird intensiv diskutiert, wie die Lieferketten mittel- bis langfristig aufrechterhalten werden können, um den Krieges fortzusetzen – nicht nur in bezug auf Drohnen, sondern auch im Hinblick auf Munition und zunehmend Rekruten. Die Auseinandersetzung ist zu einem »Abnutzungskrieg« geworden. Zunächst war es die Friedensbewegung, die diesen Umstand zur Kenntnis nahm. Zunehmend wird er aber auch von regierungsnahen Medien und Thinktanks in den USA und Deutschland anerkannt.
Russland verfügt über ein deutlich größeres Mobilisierungspotenzial. Um es auszugleichen, gilt in Abnutzungskriegen technologische Überlegenheit und Innovationsfähigkeit als entscheidend.
Letztere war in der Ukraine schon vor dem russischen Einmarsch hoch. Bereits ab 2019 tauchten wie aus dem Nichts neue Unternehmen auf und versorgten die Streitkräfte – teilweise sehr informell – mit hochwertigen neuen Drohnentypen. Mit dem Einmarsch traten dann sehr schnell »zivilgesellschaftliche« Netzwerke und Crowdfunding-Kampagnen auf, um der Armee neue Technologien bereitzustellen.
Westliche Medien berichteten teilweise euphorisch von Tüftlerwerkstätten, in denen handelsübliche Drohnen umgebaut und bewaffnet wurden; anonyme »Entwickler« spendeten Software für die Schwarmsteuerung von Drohnen und deren Vernetzung mit der Artillerie. Vieles davon läuft hochgradig informell und kommt ohne großen Verzug an der Front an. Dass westliche Geheimdienste und Tarnorganisationen beteiligt sind, ist anzunehmen.
Der Krieg in der Ukraine hat sich zu einer gigantischen Rüstungsschau entwickelt, die langfristige Folgen haben wird. »Die Ukraine ist jetzt im wesentlichen ein Testgebiet«, zitiert Business Insider den ukrainischen Verteidigungsminister »Viele Waffen werden jetzt im Feld getestet, unter den realen Bedingungen des Kampfes gegen die russische Armee.« Die ukrainische Armee sei »interessiert an der Erprobung moderner Systeme« und lade Waffenhersteller ein, ihre neuen Produkte unter Gefechtsbedingungen zu testen.
Hanna Shelest, eine Autorin mit einer bemerkenswerten Karriere zwischen NATO-Thinktanks und ukrainischem Verteidigungsministerium, empfiehlt in einem Beitrag mit dem merkwürdigen Titel »Defend. Resist. Repeat« für das European Council on Foreign Relations (ECFR): »Die EU-Mitgliedstaaten können aus den Erfahrungen der Ukraine lernen, aber dies sollte in beide Richtungen gehen – die europäischen Länder sollten der Ukraine weiterhin Waffen liefern und Schulungen anbieten und im Gegenzug Einblicke in die Kriegspraxis erhalten.«
Der Autor ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.
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