Washington verschärft die Spannungen mit Peking
von Gilbert Achcar
In seinem 1997 erschienenen Buch The Grand Chessboard (Das große Schachbrett) definierte Zbigniew Brzezinski »die drei großen Imperative der imperialen Geostrategie« wie folgt: »Absprachen unter den Vasallen verhindern und ihre sicherheitspolitische Abhängigkeit aufrechterhalten; die Tributpflichtigen gefügig halten und schützen; und die Barbaren davon abhalten sich zusammenzutun.«
?Der frühere nationale Sicherheitsberater von Jimmy Carter fasste damit in der für ihn typischen machiavellistischen Sprache eine Politik zusammen, die sein republikanischer Amtskollege Henry Kissinger in kühner Weise entworfen und auf den Weg gebracht hatte, als er einen Kalten Krieger par excellence, Richard Nixon, dazu brachte, in der US-amerikanischen Chinapolitik eine Wende einzuleiten.
In den letzten beiden Jahrzehnten des Kalten Krieges gingen die Vereinigten Staaten eine enge Zusammenarbeit mit China gegen die UdSSR ein. Sie ging so weit, dass die USA auf dem Höhepunkt der chinesisch-sowjetischen Spannungen Waffen an China verkauften, als China in den späten 1970er Jahren gegen Vietnam kämpfte. Das wäre heute unvorstellbar.
Die »Dreieckskonstellation« der US-Beziehungen zu China und der UdSSR war ein brillanter strategischer Schachzug, der Washington half, die Widrigkeiten des Vietnam-Debakels zu überwinden. Und doch hat Washington seit dem Ende des Kalten Krieges, beginnend mit der Regierung Bill Clinton, Brzezinskis dritten großen Imperativ nicht beachtet: Es hat Peking verärgert und damit zur Zusammenarbeit mit Moskau gedrängt.
1996 inszenierte Washington rund um Taiwan Militärmanöver, die der ehemalige Chefkorrespondent der New York Times, Patrick Tyler, als »den ersten Akt amerikanischer Nötigung gegen China seit 1958« bezeichnete. Seitdem verfolgt Washington den ersten von Brzezinskis drei großen Imperativen – die Aufrechterhaltung einer sicherheitspolitischen Abhängigkeit der den USA unterstellten Länder – auf Kosten des dritten: Es hat sich dazu entschieden, Spannungen mit Moskau und Peking zu provozieren, um seine europäischen und ostasiatischen Verbündeten in Abhängigkeit von seiner militärischen Oberhoheit aufrechtzuerhalten. Dies hat den unvermeidlichen Effekt, dass China und Russland angesichts dessen, was sie als »Hegemonismus« der USA bezeichnen, ihre Reihen schließen.
In den vergangenen Jahrzehnten war eine andere Politik möglich, nicht zuletzt, weil Chinas wirtschaftliche Verflechtungen mit den Vereinigten Staaten lange Zeit weitaus besser waren als die mit Russland. Berauscht von der Hybris seines »unipolaren Moments« nach dem Kalten Krieg, der sich unter der Präsidentschaft von George W. Bush und seinem Kriegstreiben nach dem 11.September 2001 noch verschlimmerte, hat Washington so getan, als würde es glauben, es könne seine beiden globalen Rivalen weiterhin gegeneinander aufbringen.
Die Position Chinas
Den einzigen Versuch, die Dreieckskonstellation zu erneuern, hat auf ungeschickte Weise Donald Trump unternommen, dessen überstürzte Feindseligkeit gegenüber China mit dem – dann frustrierten – Wunsch einherging, sich mit Wladimir Putin anzufreunden. Sein Nachfolger im Weißen Haus, Joe Biden, setzte Trumps Erbe der verstärkten Feindseligkeit gegenüber China genau zu dem Zeitpunkt fort, als die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Russland aufs äußerste angespannt waren – eine Lage, die mit den schlimmsten Momenten des Kalten Krieges vergleichbar war.
Man hätte erwarten können, dass Russlands Eskalation seiner militärischen Aktionen gegen die Ukraine im Jahr 2021, auf die ein Jahr später sein Einmarsch in das Territorium seines Nachbarn folgte, die Regierung Biden dazu veranlassen würde, Peking aus dem Weg zu gehen (wenn nicht sogar aktiv die Beziehungen zu China zu reparieren). Und dass sie versuchen würde, China dazu zu bewegen, Druck auf Moskau auszuüben, um ein Ende des Krieges und eine von den Vereinten Nationen unterstützte politische Lösung zu erreichen.
Peking hatte Washington zu Beginn des Krieges einen entsprechenden Hinweis gegeben: Im März 2022 veröffentlichte der heutige Außenminister und damalige Botschafter in den Vereinigten Staaten, Qin Jang, einen Artikel in der Washington Post, in dem er folgendes erklärte:
»Was die Ukraine betrifft, so ist Chinas Position objektiv und unparteiisch: Die Ziele und Grundsätze der UN-Charta müssen in vollem Umfang eingehalten werden; die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder, einschließlich der Ukraine, muss respektiert werden; die legitimen Sicherheitsbedenken aller Länder müssen ernst genommen werden; und alle Bemühungen, die einer friedlichen Beilegung der Krise förderlich sind, müssen unterstützt werden.«
Konfrontation
Es wäre sicherlich möglich gewesen, aufbauend auf dieser Erklärung gemeinsam mit Peking auf eine friedliche Lösung des Konflikts hinzuarbeiten, wohl wissend, dass Russlands rücksichtsloses militärisches Abenteuer seine Abhängigkeit von China erheblich verstärkt hat.
Doch das genaue Gegenteil ist eingetreten: Washington hat die Spannungen mit Peking durch eine Reihe von Erklärungen und Maßnahmen verschärft, z.B. durch die Aufstockung des Anti-China-Quad-Bündnisses mit Australien, Indien und Japan; durch die Gründung eines seltsamen Anti-China-Bündnisses AUKUS mit Australien und Großbritannien; durch die gefährliche Ausweitung des nordatlantischen Bündnisses auf Ostasien und den Pazifik auf dem NATO-Gipfel im Mai 2022 in Madrid; und durch die Zulassung unnötiger Provokationen in bezug auf Taiwan, wie z.B. den Besuch der ehemaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auf der Insel.
Als Peking zu Beginn des zweiten Jahres nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erneut versuchte, eine Lanze für die Ukraine zu brechen, indem es einen 12-Punkte-Plan für eine »politische Lösung der Ukrainekrise« veröffentlichte, wurde dieser von der Biden-Regierung sofort zurückgewiesen. Sie beschäftigte sich sogar mit potenziell selbsterfüllenden Prophezeiungen, indem sie Peking beschuldigte, Russland mit Waffen beliefern zu wollen.
Friedensstifter
Der neue chinesische Plan bekräftigt von Anfang an den Grundsatz, den Qin Jang vor einem Jahr betont hatte: »Die Souveränität, die Unabhängigkeit und die territoriale Integrität aller Länder müssen wirksam aufrechterhalten werden.«
Obwohl der Plan die westliche Politik kritisiert und die Beendigung »einseitiger Sanktionen« fordert, enthält er das Grundprinzip, das es Washington möglich machen müsste, mit Peking auf eine friedliche Beilegung des andauernden Krieges auf UN-Ebene hinzuarbeiten. Das gilt umso mehr, als Chinas Plan keinen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand fordert, der das Risiko birgt, dass er die derzeitige russische Besetzung eines erheblichen Teils des ukrainischen Territoriums einfriert.
Eine solche Forderung könnte Russland in die Hände spielen. Stattdessen fordert Pekings Plan alle Parteien auf, »Russland und die Ukraine bei der schnellstmöglichen Wiederaufnahme des direkten Dialogs zu unterstützen, um die Situation schrittweise zu deeskalieren und schließlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen«.
Glücklicherweise ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht in die Fußstapfen Washingtons getreten. Er bat um ein Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping, um mit ihm das 12-Punkte-Dokument Chinas zu besprechen.
Mitte Februar telefonierte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba mit Qin Jang. Der offiziellen Erklärung Chinas zufolge »gratulierte Kuleba China zu seinem jüngsten Erfolg bei der Vermittlung einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und betonte, dass die Ukraine ihre Beziehungen zu China langfristig anlegt. Die Ukraine wolle sich weiterhin strikt an das Ein-China-Prinzip halten und Chinas territoriale Integrität respektieren; er freue sich auf die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und die Vertiefung der Zusammenarbeit mit China in verschiedenen Bereichen.«
Dies wirft ein besonderes Licht auf den Besuch, den Chinas Präsident Xi am 20.März in Moskau machen wird. Es handelt sich dabei nicht um eine Geste der Billigung der russischen Aggression, wie manche meinen. Vielmehr ist dies, nach Pekings Erfolg bei der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen Riad und Teheran, ein weiterer und viel wichtigerer Schritt, um Chinas Rolle als Friedensstifter im Gegensatz zu der der Vereinigten Staaten herauszustellen.
Gilbert Achcar lehrt Entwicklungspolitik und Internationale Beziehungen an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Quelle: www.thenation.com/article/world/china-ukraine-settlement/.
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Chinas 12-Punkte-Plan
- Respekt für die Souveränität aller Staaten: Das allgemein anerkannte internationale Recht sowie die Charta der Vereinten Nationen gilt es »strikt« einzuhalten.
- Die Kalter-Krieg-Mentalität aufgeben: Die Sicherheit eines Landes soll nicht auf Kosten anderer angestrebt werden.
- Feindseligkeiten einstellen: Alle Parteien sollen »rational bleiben und Zurückhaltung üben« und nicht den Konflikt befeuern.
- Wiederaufnahme von Friedensgesprächen: Dialog und Verhandlungen sind die einzige gangbare Lösung für die Ukrainekrise.
- Die humanitäre Krise lösen: Alle Maßnahmen, die zur Linderung der humanitären Krise beitragen, »müssen ermutigt und unterstützt werden«.
- Zivilisten und Kriegsgefangene schützen: Alle Konfliktparteien sollen sich an das internationale Recht halten und Angriffe auf Zivilisten vermeiden, ebenso wie auf zivile Infrastruktur.
- Atomkraftwerke sichern: China lehnt bewaffnete Angriffe auf Atomkraftwerke ab.
- Strategische Risiken reduzieren: Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt werden, Atomkriege dürfen nicht gekämpft werden.
- Getreideexporte erleichtern: Alle Parteien sollen das Schwarzmeer-Abkommen umsetzen.
- Einseitige Sanktionen stoppen: Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können das Problem nicht lösen, sie erzeugen nur neue Probleme.
- Lieferketten stabilisieren: Alle Parteien sollen das existierende Welthandelssystem bewahren und die Weltwirtschaft nicht als Waffe für politische Zwecke einsetzen.
- Wiederaufbaupläne: Die internationale Gemeinschaft soll Maßnahmen ergreifen, um nach dem Konflikt in den betroffenen Zonen Wiederaufbau zu leisten.
Verkündet am Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine