Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2023

In Frankreich hui, in Deutschland pfui
von Gerhard Klas

Während die Streiks in Frankreich gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters von einer deutlichen Mehrheit der dortigen Bevölkerung begrüßt werden, will die Mehrheit der Deutschen, dass das Streikrecht angesichts der aktuellen Tarifauseinandersetzungen eingeschränkt wird.

Das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Insa hervor, die das Marktforschungsinstitut im Auftrag des Wirtschaftsflügels der CDU erhoben hat: Vor allem Grüne und CDU sprechen sich dafür aus, Streiks im Bereich kritischer Infrastruktur, z.B. bei Bahnen, im Flugverkehr oder bei der Energie- und Wasserversorgung nur noch nach nach einer Vorankündigung von mindestens vier Tagen durchgeführt werden dürfen – bzw. durchgängig untersagt sein sollten. Nur 24 Prozent aller Befragten sind generell gegen eine Einschränkung des Streikrechts, darunter vor allem Wähler:innen der Linken. Und die der AfD – was in einem deutlichen Widerspruch zur neoliberalen Agenda dieser Partei steht.
Da nicht davon auszugehen ist, dass die insgesamt 59 Prozent der Befürworter:innen alle Rentiers, Unternehmer:innen oder Selbständige sind, drängen sich hier Fragen auf: Gehen all diese Leute, also auch die lohnabhängig Arbeitenden, davon aus, dass Urlaub, Höchstarbeitszeit, Mutterschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und andere Errungenschaften schon immer da waren und von Natur aus gegeben sind? Haben sie vergessen, dass sie von der Arbeiterbewegung mühsam erkämpft worden sind – auch mit Hilfe von Streiks? Oder ist diese Einstellung einfach nur Ausdruck eines völlig unreflektierten Individualismus nach dem Motto: Hauptsache, mein Paket kommt pünktlich und mein Flieger hebt ab?
Wie dem auch sei: In den Lehrplänen der Schulen in Deutschland sind die Kämpfe um diese Errungenschaften kaum Thema – anders als in der damaligen DDR, was die Umfrageergebnisse bei den Wähler:innen der AfD erklären könnte.
In Deutschland sind politische Streiks generell nicht zulässig, in Frankreich und anderen europäischen Ländern sind sie an der Tagesordnung. Und Klassenbewusstsein drückt sich dort nicht nur in der Unterstützung, sogar in den Aktionen der Streikenden selbst aus: In den besetzten Zentralen der französischen Energieversorger stellten sie die Stromversorgung für diejenigen wieder her, die wegen unbezahlter Rechnungen im Dunkeln saßen, und klemmten gleichzeitig die Arbeitsräume des Senatspräsidenten und der Amazon-Zentrale vom Strom ab.

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