Technik ist nicht die Lösung…aber auch nicht das Problem!
von Michael Heldt
In jüngster Zeit sorgt das Programm ChatGPT für Schlagzeilen. Der Internet-Chatbot erzeugt auf von den Nutzer:innen eingegebene Fragen »natürlichsprachige Antworten« – Texte, die wirken, als seien sie von Menschen verfasst worden. Deshalb droht weder der Weltuntergang, noch wird die Technik von allein den gesellschaftlichen Nutzen vermehren, argumentiert Michael Heldt.
Müssen sich Sozialist:innen mit ChatGPT beschäftigen, bzw. mit dem medialen Hype um Künstliche Intelligenz (KI, auch AI – Artificial Intelligence genannt)? Ja, das müssen wir, weil solche Programme unsere Zukunft bestimmen werden, möglicherweise einen qualitativen Sprung im Umgang mit Technik einleiten können. Die Technik wird die sozialen Verhältnisse nicht von Grund auf umgestalten, so wenig, wie es die massenhafte Nutzung des Internets getan hat. Aber die Programme schaffen neue Möglichkeiten und Zugänge, wenn wir es wollen. Arbeiter:innen, Migrant:innen, Menschen, denen es schwer fällt sich zu artikulieren und ihre Gedanken in die Welt zu tragen, bekommen durch Programme wie ChatGPT einen größeren Spielraum.
Andererseits machen sich einige weniger qualifizierte Schreibtischarbeiter:innen Sorgen um ihre Arbeitsplätze. Ob solche Ängste vor einer KI-gestützten Rationalisierung wirklich berechtigt sind, muss die Zukunft zeigen. Als Sozialist:innen ist es unsere Aufgabe, in jeder technischen Entwicklung den Funken Hoffnung zu erspähen. Aufhalten können wir die technische Entwicklungen nicht.
Die Begriffe KI oder AI deuten bereits daraufhin, worum es geht: um eine Simulation, etwas Nichtnatürliches. Maschinen werden so programmiert, dass sie in der Lage sind, Aufgaben so auszuführen wie Menschen. Dazu gehört bspw. das Lernen aus Erfahrungen, Problemlösungen oder das Verstehen von natürlicher Sprache.
Der Offene Brief
Das treibt die bürgerliche Gesellschaft, ihre herrschende Klasse und die Wissenschaftler um: Wie kann ein Marktvorteil erschlichen werden? Im März forderten Unternehmer:innen und namhafte Wissenschaftler:innen die einschlägigen Forschungsinstitute dazu auf, das Training von AI-Systemen für mindestens sechs Monate zu unterbrechen. Unter den Unterzeichneten war auch der Tesla- und Twitter-Chef Elon Musk, aber auch Wissenschaftler:innen, die sich in ihrer Forschung seit Jahrzehnten mit der Entwicklung von KI beschäftigen, die technischen und gesellschaftlichen Folgen abwägen. Darin betonen sie die Risiken, die mit KI-Systemen einhergehen. Diese könnten bald die menschliche Intelligenz übertreffen, heißt es in dem Offenen Brief.
Die Initiatoren kritisieren den unkontrollierten Wettlauf um immer leistungsfähigere Systeme und fordern mehr Sorgfalt und Ressourcen für deren Planung und Verwaltung, außerdem mehr Steuergelder für die »KI-Sicherheitsforschung«. KI-Institute und unabhängigen Experten sollten gemeinsame und weltweit gültige Sicherheitsprotokolle erarbeiten, die Entwickler enger mit politischen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten.
Das Ziel des Offenen Briefs ist nach eigenen Aussagen »eine blühende Zukunft mit KI«. Es gehe darum, der Gesellschaft die Chance zu geben, sich an die technologischen Veränderungen anzupassen. Dieser Wunsch ist damit vergleichbar, bei der Einführung des Internets eine Atempause einzufordern.
Dahinter stecken vor allem: Kapitalinteressen. Die Motive dürften bei den ursprünglichen Unterzeichneten jedoch sehr unterschiedlich aussehen. Andere wollen Konflikte zwischen den verschiedenen Akteuren in der KI-Entwicklung vermeiden und eine kooperative Herangehensweise fördern. Das mag eine aufrichtige Motivation sein. In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Gemengelage wird dies allerdings ein frommer Wunsch bleiben.
Vor allem handelt es sich bei dem Offenen Brief um den Versuch von KI-Unternehmen, einen Wettbewerbsvorteil zu gewinnen. Durch ein Moratorium bei der Weiterentwicklung ließe sich die eigene Position im Wettbewerb verteidigen oder ausbauen und die Gefahr vermindern, von der Konkurrenz entthront zu werden. Gleichzeitig bietet die Initiative zweifelhaften Charakteren wie Elon Musk die Gelegenheit, sich als Menschenfreunde darzustellen, die um die Zukunft dieses Planeten in Sorge seien.
Wir sollten den technischen Fortschritt dialektisch begreifen. Dazu gehört, die Gefahren nicht schönzureden. Realistischer als eine Machtergreifung der KI ist aber ein Prozess der gesellschaftlichen Entfremdung und eine ausufernde Erfassung und Verarbeitung von persönlichen Daten. Und natürlich sind solche Werkzeuge auch ein Geschenk für jede Desinformationskampagne, denn ChatGPT »erfindet« gerne Quellenangaben inklusive der dazugehörigen Internetseiten. Wer damit arbeiten will, darf also nie auf dieses Instrument vertrauen..
Wir sollten uns die Technik aneignen, sie nutzen und eigene Erfahrungen mit ihr machen. Die Skepsis darf nicht dazu führen, dass wir den gesellschaftlichen Anschluss verlieren und grundlos auf Fortschritte bei Produktivität und Effizienz verzichten.
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