Die Rolle der Internet- und Technologiekonzerne lässt sich ohne ihre Geldgeber nicht verstehen
von Nils Peters
»Web3« ist der neueste Hype aus dem Silicon Valley. Was das eigentlich bedeutet, bleibt schwammig. Die Rede ist von einer Dezentralisierung und Demokratisierung des Internet, die mit neuen kryptografischen Verfahren wie Blockchain erreicht werden soll.
Ein Brancheninsider brachte kürzlich auf den Punkt, warum solche Hoffnungen unangebracht sind. »Web3 gehört nicht euch«, schrieb Jack Dorsey, einer der Gründer von Twitter. »Es gehört den VCs und den LPs!« VC steht für Venture Capital, Risiko- oder Wagniskapital. LP steht für Limited Partners, die Geldgeber von VC-Firmen. Diese finanziellen Akteure haben das Internet geformt. Wie konnte der Fahrdienstvermittler Uber ein Jahrzehnt lang wirtschaften, ohne Gewinn zu machen? Warum hat Google sein Werbegeschäft aufgebaut? Wie konnte Facebook seine Konkurrenten abwehren? Eine Plattform aufzubauen und zu betreiben, ist enorm teuer. Bei jeder unternehmerischen Entscheidung müssen wir uns fragen: Wie wurde sie finanziert?
Wagniskapital ist riskant, aber lukrativ. Die meisten Investitionen scheitern, dafür erzielt eine kleine Anzahl überdurchschnittliche Renditen. Ein berühmtes Beispiel ist die Investition der VC-Firma Benchmark in Höhe von 12 Millionen US-Dollar in Uber – die Anteile stiegen auf einen Wert von sieben Milliarden. Die Risikokapitalgeber beschaffen sich das Geld bei Pensionsfonds, Stiftungen, Versicherungsgesellschaften, Unternehmen und vermögenden Privatpersonen. Diese Geldgeber sind alles andere als neutral, denn sie stehen unter dem Druck, Renditen für ihre Stakeholder und Aktionäre zu erwirtschaften. Kein Technologieunternehmen kann ohne VC-Finanzierung groß werden, schon deshalb, weil es mit finanzstärkeren Anbietern nicht konkurrieren könnte.
Im folgenden geht es weniger um die etablierten Big-Tech-Unternehmen wie Amazon, Alphabet, Apple oder Meta. Sobald die Unternehmen an die Börse gegangen sind, verliert das Risikokapital seinen Einfluss weitgehend. In der entscheidenden Zeit zwischen Gründung und Börsengang spielen die frühen Finanziers allerdings eine entscheidende Rolle.
Wem gehört Big Tech?
Larry Summers, ein ehemaliger Ökonom der Weltbank und zeitweise Berater des US-Präsidenten Barack Obama, sprach von einer »säkularen Stagnation«, in der die westlichen Volkswirtschaften seit Anfang der 2000er Jahre gefangen seien. Seine zutreffende Analyse: Die übermäßige Sparquote bremst die Nachfrage, da die Ersparnisse nicht investiert werden und daher kein Einkommen schaffen. Die Ersparnisse des reichsten einen Prozent der Bevölkerung sind aber in diesem Zeitraum stetig gewachsen. Laut Larry Summers verstärken die digitalen Plattformen den Trend zu niedrigen Investitionen: »Denken Sie an die Auswirkungen von Airbnb auf den Hotelbau, die Auswirkungen von Uber auf die Autonachfrage, die Auswirkungen von Amazon auf den Bau von Einkaufszentren…« Die Folgen seien ein dauerhaft geringes Wachstum, ein Kapitalismus ohne Dynamik. Dies ist der ökonomische Hintergrund für den Aufstieg der Plattformökonomie.
Die Regierungen und Zentralbanken stemmten sich im Jahr 2008 mit fiskalischen Sparmaßnahmen und einer expansiven Geldpolitik gegen die globale Finanzkrise. Die Fed, die Bank of England, die Europäische Zentralbank und andere senkten den Leitzins auf nahezu Null und kauften Staats- und Unternehmensanleihen (Quantative Easing). Indem sie die Kredite verbilligten, versuchten sie, Investitionen und Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die Anleger konnten sich deshalb nicht mehr auf Zinszahlungen verlassen, um die gewünschten Renditen zu erzielen. Nennenswertes Wachstum war nur noch über Gewinne auf Aktienmärkten möglich. Dies war vor allem für »institutionelle Anleger« wie Pensionsfonds, Stiftungen und Versicherungsgesellschaften problematisch.
Mit den Erträgen finanzieren diese Anleger Rentenauszahlungen, Versicherungsleistungen und ihre Ausgaben beziehungsweise machen reiche Leute noch reicher. Auf der Suche nach rentablen Anlagemöglichkeiten begaben sie sich in die Arme großer Vermögensverwalter wie BlackRock. So kam es zu einer jahrzehntelangen Hausse bei börsennotierten Big-Tech-Aktien und privat gehaltenen Aktien der Technologie-Start-ups. Die sogenannten Einhörner – Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar – wurden zu Aushängeschildern eines scheinbar unaufhörlichen Trends nach oben. Die Zahl der Einhörner stieg in Großbritannien von zehn im Jahr 2010 auf 80 im Jahr 2020.
Risikokapital und Plattformen
Risikokapitalgeber erwerben Minderheitsbeteiligungen an privaten Unternehmen in einer frühen Phase nach der Gründung. In der Regel sitzen sie in den Vorständen dieser Unternehmen und beraten sie aktiv. Investoren müssen sich bis zu zehn Jahre lang engagieren, bevor sie eine Auszahlung erwarten können, weshalb Risikokapital oft als geduldig bezeichnet wird. Gewinne können sie nur realisieren, wenn das Unternehmen übernommen wird (durch eine Fusion oder einen Aufkauf) oder wenn das Unternehmen an die Börse geht. Im Fall von Uber vergingen zwischen der Gründung und dem Börsengang zehn Jahre.
Trotz ihrer angeblichen Geduld haben VC-Fonds in der Regel eine begrenzte Laufzeit. Investoren und Start-ups vereinbaren ehrgeizige Wachstumsraten. Deren Geschäftsstrategien hängen wiederum davon ab, dass die Investoren über einige Jahre willens und in der Lage sind, finanzielle Verluste zu verkraften.
Für Plattformen ist Rentabilität weniger wichtig als schnelles Wachstum. Sie verfolgen unterschiedliche Strategien. Zum einen setzen sie auf Netzwerkeffekte. Sie treten auf, wenn der Wert eines angebotenen Dienstes steigt, wenn mehr Menschen ihn nutzen. Beispielsweise steigt der Nutzen von Instagram und anderen Apps für Direktnachrichten, je mehr Nutzer über sie erreichbar sind (direkte Netzwerkeffekte). Auch der Nutzen von Uber wächst umso mehr, je mehr Mitfahrgelegenheiten dort zu finden sind (indirekte Netzwerkeffekte). Ab einem gewissen Punkt führen solche Effekte zu einem natürlichen Monopol. Dann sind die Nutzer an einen einzigen Dienst gebunden und Wettbewerber haben es immer schwerer.
Das Risikokapital drängt die Unternehmen also dazu, eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen und Konkurrenten auszusperren. Die Plattformen verwenden das Geld der Investoren, um Kunden durch Werbung, Rabatte und nichtkostendeckende Preise zu gewinnen. So verdrängen sie Konkurrenten und verstärken ihre Wettbewerbsvorteile. Das schnelle Wachstum ist dabei keine freigewählte Geschäftsstrategie, sondern eine notwendige Voraussetzung, um irgendwann in der Zukunft rentabel zu arbeiten: Die erwartete Rentabilität hängt davon an, den Markt zu beherrschen.
Jedes Jahr ein neuer Hype
Dutzende von Plattform-Start-ups versuchen gegenwärtig, sich einen Platz an der Sonne zu erobern und eine »Disruption« der älteren Sektoren auszulösen. Es scheint, als ob jedes Jahr ein neuer Hype die Investoren umtreibt. Den Reigen eröffneten Fahrdienste, mit einem erbitterten Kampf zwischen Uber und Lyft. Danach waren es Lebensmittellieferungen (JustEat, UberEats, Deliveroo), die »Mikromobilität« mit Mietfahrrädern und -rollern (Bird, Lime, Bolt) und neue Internet-Finanzdienstleister (Monzo, Revolut, N26). Als Reaktion auf die Pandemie wurden auch schnelle Lebensmittellieferungen (Getir, Gorillas) und Tools für die Zusammenarbeit in der Büroarbeit mit Geld überschwemmt.
Die niedrigen Zinsen nach 2000 ermöglichten es, jahrelang ohne Gewinne zu wachsen. Der makroökonomische Gezeitenwechsel seit 2022 setzt nun viele Technologieunternehmen unter Druck. Die steigenden Inflationsraten haben die Zentralbanken veranlasst, die Zinssätze zu erhöhen. Die Anleger wenden sich von risikoreichen Anlagen ab. Die Krise erfasst auch die Plattformen von morgen. Ein Beispiel dafür sind die schnellen Lebensmittellieferungen, die Firma Gorillas entließ Hunderte von Beschäftigten und hat sich aus vier Ländern zurückgezogen.
Der Aufstieg der Plattformen hat die Gesellschaften verändert. Beträchtliche Geldsummen sind in Unternehmen gebunden, die in dieser Form nur existieren, weil sie das Geld der Investoren verbrannt haben. Die Plattformen haben ihre Konkurrenz nachhaltig geschädigt. Verkehrsunternehmen wie Uber sind ein offensichtliches Beispiel. Ähnliches gilt für die verheerenden Auswirkungen von Airbnb auf Hotels und Pensionen, der Sozialen Medien auf die Zeitungen oder der Streamingplattformen auf die Musik- und Filmproduktion.
Die Finanzierung entscheidet
Wenn wir die Macht der Plattformen zurückdrängen wollen, müssen wir bei ihrer Finanzierung ansetzen. Gerade im Hinblick auf die Klimakatastrophe nehmen Aktivistinnen und Aktivisten zunehmend Finanzakteure ins Visier. Ihre Analysen haben aufgedeckt, wie Vermögensverwalter wie BlackRock, Vanguard und State Street durch ihren Aktienbesitz Macht anhäufen. BlackRock allein verwaltet 10 Billionen US-Dollar. Das Unternehmen hat dieses Geld für den Kauf von Aktien börsennotierter Unternehmen eingesetzt.
Vermögensverwalter wie BlackRock haben den Markt »indexiert«: Das Portfolio bildet große Teile der Wirtschaft ab. Wenn die Aktienkurse steigen, dann legt auch BlackRock an Wert zu. Ein »Nebeneffekt« davon ist, dass der Vermögensverwalter als Aktionär die Führung einer Vielzahl von Unternehmen beeinflusst. Wie und zu welchem Zweck der Vermögensverwalter diese Macht nutzt, wird aufgrund des Drucks von unten zunehmend als politische Frage empfunden.
Bezeichnenderweise haben einige große VC-Investoren begonnen, die Indexierungsstrategie der großen Vermögensverwalter nachzuahmen, so zum Beispiel Tiger Global oder Softbanks Vision Fund. Diese Märkte sind aufgrund fehlender Meldepflichten schwer zu durchleuchten. Ebenso fehlen Informationen darüber, welche institutionellen Anleger der Wagniskapitalbranche eigentlich wie viel Kapital zur Verfügung stellen.
Das neue makroökonomische Umfeld aufgrund der veränderten Geldpolitik wird zu Veränderungen führen. Welcher Art sie sein werden, lässt sich noch nicht absehen. Viele wünschen sich eine Dezentralisierung, sie sehnen sich zurück nach den idealistischen Zeiten, als das Internet noch jung und noch nicht von privaten Konzernen vereinnahmt war. Wer die Macht von Big Tech herausfordern will, kommt jedenfalls um die Frage ihrer Finanzierung nicht herum.
*Nils Peters lehrt Wirtschaftssoziologe an der London School of Economics (LSE). Sein Text »Holding the strings. The role of finance in shaping Big Tech« wurde im Februar vom Transnational Institute online veröffentlicht (www.tni.org/en/article/holding-the-strings). Wir veröffentlichen eine überarbeitete und stark gekürzte Version.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.